Wohlstand erst erwirtschaften, bevor er verteilt wird

Christian Lindner
Saarbrücker Zeitung

Herr Lindner, die Koalitionspartner schärfen ihre jeweiligen Profile. Was setzt die FDP dagegen?

Lindner: Wir wollen den Wohlstand erst erwirtschaften, bevor er verteilt wird. Wir wollen eine liberale, aber kontrollierte Migrationspolitik.

Das ist typisch FDP und nicht neu.

Lindner: Unsere Grundsätze ändern sich nicht. Dafür sind wir lange kritisiert worden. Wir wollen den Soli zügig abschaffen, damit ein Wirtschaftseinbruch durch privaten Konsum und Investitionen verhindert wird. Die CDU hat das bei Jamaika verhindert, jetzt die Wende. Was die SPD aufführt, ist Retro-Politik. Die wollen populär werden, indem sie Geld versprechen, das nicht da ist.

Wie würden Sie den Zustand der Koalition jetzt beschreiben?

Lindner: Beide streben auseinander. Was Union und SPD wollen, ist unvereinbar. Es geht um Profilierung für Wahlkämpfe. Eine Regierung sollte lieber über Vorhaben sprechen, die tatsächlich in Angriff genommen werden.

Rechnen Sie immer noch mit einem vorzeitigen Aus der GroKo?

Lindner: Nein, ich bin immer davon ausgegangen, dass die GroKO bis 2021 weitermachen will. Wie das gehen soll, ist mir ein Rätsel. Ich befürchte Stillstand, teuere Kompromisse zu Lasten der Steuerzahler oder Dauerstreit. Nichts davon kann das Land sich leisten. 

AKK spricht von Humanität und Härte, sie bringt sogar Grenzschließungen ins Gespräch. Das gefällt ihnen, oder?

Lindner: Sie grenzt sich von Frau Merkel ab, aber das Regierungshandeln ist unverändert. Wir raten dazu, an der Grenze übergangsweise die Dublin-Regeln anzuwenden, bis es einen Konsens in der EU gibt. Asylbewerber aus EU-Ländern sollten also zurückgewiesen werden. Noch immer fehlt uns ein klar definiertes Einwanderungsrecht…

...mit dem Fachkräftezuwanderungsgesetz unternimmt die Koalition doch einen großen Schritt in diese Richtung.

Lindner: Das ist ein kleiner. Wir brauchen ein Recht nach kanadischem Vorbild, das den Zuzug Qualifizierter erleichtert. Zugleich empfehlen wir einen neuen Rechtsstatus für Flüchtlinge, um schnelle Arbeitsaufnahme und gelingende Rückführung in Friedenszeiten zu schaffen.

Was ist demgegenüber falsch daran, wenn die SPD Menschen aus der Armut holen will?

Lindner: Das wollen wir auch, aber indem wir Menschen in Arbeit bringen und besser qualifizieren, damit sie höhere Löhne bekommen. Die Vermögensschere vergrößert die SPD noch. Denn der Kleinaktionär soll künftig Aktiensteuer zahlen, Großinvestoren mit spekulativen Geschäften bleiben verschont. Wir wollen dagegen, dass in der Mittelschicht die Menschen Rücklagen aufbauen können. Man darf nicht nur über Superreiche und Arme sprechen.

Aktionäre gelten in der Regel nicht als arm – anders als viele Kinder in Deutschland. Wieso sperren Sie sich gegen eine Kindergrundsicherung?

Lindner: Weil ich Kinder nicht lösgelöst von ihren Eltern betrachte. Die Armut der Kinder ist die Armut der Eltern. Also müssen wir dafür sorgen, dass Menschen in den Arbeitsmarkt gelangen und ein akzeptableres Einkommen erzielen. Wir wollen etwa dafür sorgen, dass dem Hartz-IV-Empfänger mehr von seinem selbstverdienten Geld aus dem Mini-Job bleibt. Und wir wollen Weiterbildung in jedem Alter ermöglichen.

Ein Recht auf Weiterbildung will die SPD auch.

Lindner: Was die SPD vorschlägt, ist mir zu nebulös. Wir wollen zum Beispiel das Bafög öffnen auch für Menschen in mittleren Lebenslagen, die sich weiterbilden wollen. Warum das Bafög nur für die Erstausbildung gilt, erschließt sich uns nicht. 

Haben Sie auch einen neuen Namen für Hartz IV?

Lindner: Unser Name Bürgergeld, den wir seit 20 Jahren verwenden, ist im Moment in aller Munde. Weil die SPD ihn übernommen hat. Wir verstehen allerdings etwas anderes darunter. Nämlich ein Steuer- und Transfersystem aus einem Guss.

Ist eine Ampel- oder Jamaika-Koalition im Moment für Sie überhaupt noch denkbar?

Lindner: Wir sind immer gesprächsbereit. Die Ausgangslage ist aber kompliziert. Die SPD rückt nach links, die Grünen sind schon dort, was sich an ihrem Kulturkampf gegen das Auto zeigt. Die Frage der Leistungsgerechtigkeit spielt für beide Parteien keine Rolle mehr. Die Grünen wollen auch denjenigen Geld geben, die Arbeit ablehnen. Und die SPD will der Ehefrau des gut verdienenden Arztes die Rente aufstocken, wenn die 35 Jahre auch nur ein paar Stunden in der Praxis mitgearbeitet hat. Bei der Union ist manches positiv, andererseits will die eine französisch anmutende Staatsinterventionspolitik in der Industrie betrieben. Wir warten also ab.