Wir nehmen Geräusche in Kauf, bringen Deutschland aber dafür aus der Mitte voran.

Christian Lindner Rentenpolitik
Mediengruppe Bayern

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Herr Lindner, die FDP liegt in Bayern bei drei bis vier Prozent. Wie groß ist die Hoffnung auf den Wiedereinzug in den Landtag?

Lindner: Die einzige Umfrage, die mich interessiert, ist die am 8. Oktober. Die Stimmung in Bayern ist in Bewegung. Neben Vorschlägen für Fortschritte im Land hat die FDP ein starkes Argument: Als alle anderen mit CSU und Freien Wählern an der Spitze während der Pandemie in die Freiheit der Menschen eingegriffen haben, haben nur Martin Hagen und die Liberalen die Bürgerrechte hochgehalten. Das war der politische Charaktertest.

Offenbar erinnern sich die meisten nicht daran …

Lindner: Deshalb mache ich darauf aufmerksam, welchen Wert es hat, eine liberale Partei im Parlament zu haben. Das gilt nicht nur für den Ausnahmezustand. Wer seine Freiheit liebt, Respekt vor Leistung und Eigentum hat, an Fortschritt glaubt und großzügig andere ihr Leben leben lässt, für den sind wir das Angebot.

Laufen Ihnen die Freien Wähler in Bayern den Rang ab?

Lindner: Nein. Viele Unterstützer der Freien Wähler sehen unkontrollierte Zuwanderung, Bürokratismus und politische Besserwisserei kritisch. Das tun die Freien Demokraten auch. Der Unterschied ist, dass Liberale für Bayern in Deutschland und der Welt eine seriöse Visitenkarte abgeben können. Darauf kommt es gerade beim Wirtschaftsminister an.

Sie spielen auf Hubert Aiwangers Flugblatt-Affäre an?

Lindner: Nein, ich beziehe mich auf seine Amtsführung. Die Aufgabe eines Wirtschaftsministers ist nicht, erhitzende Reden im Bierzelt zu halten, sondern seine Kraft für Handwerk, Mittelstand und Industrie einzusetzen, damit Arbeitsplätze erhalten bleiben. Für die Zukunft des Verbrennungsmotors etwa setzt sich die FDP ein, aus Bayern sehe ich da wenig Hilfe. Auch von der CSU nicht. Dabei kann dieser Antrieb klimafreundlich betrieben werden. Er darf nicht verboten werden.

Die Flugblatt-Affäre scheint Aiwanger mehr zu nutzen als zu schaden. Wie denken Sie über das, was vorgefallen ist?

Lindner: Der Umgang mit den entsetzlichen Vorwürfen hat mich nicht überzeugt. Menschen machen Fehler und können sich ändern. Aber Transparenz und ehrliches Bedauern fehlen hier.

Zur Bundespolitik. Wie ist Ihre Bilanz zur Hälfte der Amtszeit?

Lindner: Deutschland ist besser durch die Krise gekommen, als befürchtet wurde. Die Bundesregierung hat Modernisierungsprojekte auf den Weg gebracht. Planungs- und Genehmigungsverfahren werden beschleunigt, die Vernachlässigung der Bundeswehr wurde beendet, um nur zwei Beispiele zu nennen. Es ist offensichtlich, welchen Beitrag die FDP leistet. Ohne uns gäbe es Steuererhöhungen, weil sogar die CDU damit liebäugelt. Stattdessen wurden Steuern gesenkt. Ohne uns wäre die Schuldenbremse aufgeweicht worden. Stattdessen sinkt die Schuldenquote. Wir sorgen dafür, dass wir eine Einwanderungspolitik bekommen, die die Gewinnung von Fachkräften erleichtert und die irreguläre Einwanderung eindämmt.

Warum sind Ihre Umfragewerte dann so mäßig?

Lindner: Warten wir die Wahl 2025 ab. Dann wird über die Rolle der FDP geurteilt. Ich kämpfe da wieder für ein zweistelliges Ergebnis. Klar ist aber, dass wir auch kontroverse Entscheidungen treffen. Um die Schuldenbremse einzuhalten, muss ich manchen Wunsch verneinen. Insgesamt sind die Umfragewerte für die Mitte einer Wahlperiode okay. Vor allem wenn man bedenkt, dass wir in einer schwierigen Koalition mit zwei linken Parteien regieren müssen.

Was im Moment vor allem wahrgenommen wird, sind die Scharmützel innerhalb der Regierung.

Lindner: Ich würde mir wünschen, es ginge geräuschlos. Mitunter stehen wir aber vor der Wahl: Entweder wir schweigen zu Vorschlägen, die das Land nach links führen. Oder wir nehmen Geräusche in Kauf, bringen Deutschland aber dafür aus der Mitte voran.

Teilen Sie die weit verbreitete Ansicht, dass Deutschland wirtschaftlich im Sinkflug ist oder sogar ein Sanierungsfall?

Lindner: Wir dürfen weder blauäugig sein noch schwarzmalerisch. Wir haben eine konjunkturelle Delle – Stichwort Zinssteigerung und chinesische Nachfrage. Aber unsere Wirtschaft hat große Substanz. Dennoch müssen wir ran an die strukturellen Defizite, die teilweise Jahre von der Vorgängerregierung verwaltet wurden. Dazu verbessern wir die Einwanderung von Fachkräften, bauen Bürokratie ab und geben steuerliche Impulse mit dem von mir vorgelegten Wachstumschancengesetz. Bei der Klima- und Energiepolitik war Deutschland zu lange ideologisch unterwegs.

Ohne grundlegende Reform läuft die Altersversorgung auf den Kollaps zu. Warum geht die Ampel-Koalition das nicht an?

Lindner: Moment, die Schwierigkeiten haben nun CDU und CSU mit der Rente mit 63 vergrößert. Wir gehen das an. Ich gehe davon aus, dass wir in wenigen Wochen das sogenannte Generationenkapital auf den Weg bringen – eine zusätzliche Säule in der gesetzlichen Rente, die im Sinne einer Aktienrente kapitalgedeckt ist. Aber wir müssen auch beim Arbeitsmarkt Fortschritte machen, um unser Rentensystem dauerhaft stabil halten zu können.

Nämlich?

Lindner: Wir haben immer noch Hunderttausende Menschen, die arbeiten könnten, aber nicht arbeiten. Die müssen aus dem Bezug von Sozialleistungen in Erwerbstätigkeit gebracht werden. Das geht etwa durch Qualifikation und bessere Kinderbetreuung, weil es zu oft – gerade bei Frauen – auch ungewollte Teilzeit gibt. Außerdem brauchen wir Anreize: Arbeit muss sich schlicht lohnen, weshalb die Sozialtransfers nicht zu hoch sein dürfen. Übrigens sollten wir auch Anreize für Ältere schaffen, länger zu arbeiten.

Muss nicht irgendwann auch über eine weitere Anhebung des Rentenalters diskutiert werden?

Lindner: Ich wäre für eine Individualisierung. Ab dem 60. Geburtstag könnte jede und jeder selbst entscheiden, wann sie oder er in den Ruhestand eintritt – mit einer genau für jeden Jahrgang versicherungsmathematisch exakt errechneten Rentenhöhe. Wenn jemand sagt, ich will jetzt die Rente, die ich mir erarbeitet habe, beziehen, dann soll sie oder er sie bekommen. Aber man muss auch ohne bürokratische Hürden und ohne in die Sozialversicherungssysteme einzahlen zu müssen noch berufstätig sein dürfen, wenn man das möchte.

Das wird nicht reichen, um die gesetzliche Rente zu stabilisieren.

Lindner: Doch, wenn uns diese Arbeitsmarktpolitik gelingt, wird das zusammen mit dem Generationenkapital gelingen. In jedem Fall wollen wir auch die private Altersvorsorge verbessern. Die Riester-Rente ist nicht der Weisheit letzter Schluss.

Was heißt das konkret?

Lindner: Wir brauchen Altersvorsorgeprodukte, die einfacher und günstiger sind und eine attraktive Rendite erzielen. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, würde es so etwas geben wie ein steuerlich begünstigtes Altersvorsorge-Depot. Millionen Menschen, gerade jüngere, haben heute einen ETF-Sparplan. Man könnte diese Depots auch für die Altersvorsorge nutzen. Andere Länder machen das schon. Eine regierungsinterne Fokusgruppe hat bereits Empfehlungen gemacht, die in diese Richtung gehen.