Wechsel im europäischen Asylsystem ist kaum zu überschätzender Erfolg

Christian Lindner Migration
Münchner Merkur

Lesedauer: 4 Minuten

 

Sie sind Finanzminister, wollen Ausgaben kürzen. Man hört von energischem Protest anderer Minister, sogar der Kanzler müsse eingreifen, es gebe Krisenrunden. Wie wüst laufen die Verhandlungen?

Lindner: Gar nicht. Aber es sind die schwierigsten Haushaltsberatung seit 2010. Damals mussten Minister im Koalitionsausschuss vorsprechen. Ich war als Generalsekretär dabei. Die letzten Jahre hat die Große Koalition vom niedrigen Zins profitiert. Die Bundeswehr wurde vernachlässigt. Sozialleistungen wurden ohne nachhaltige Finanzierung eingeführt. Dann wurde wegen der Pandemie die Schuldenbremse aufgehoben. Wir machen die Staatsfinanzen wieder solide. Ich habe den Ressorts Ende Mai die mögliche Ausgabenhöhe mitgeteilt. Ich habe da schon gesagt, dass ich bei Erläuterungsbedarf den Bundeskanzler dazu bitten werde. Dadurch will ich unterstreichen, dass es keinen Nachschlag geben kann.

Wie groß ist die Einsicht?

Lindner: Das sind engagierte Kabinettsmitglieder, die gute Vorhaben verfolgen. Aber die Möglichkeiten sind begrenzt. Die Politik muss lernen, mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auszukommen. Höhere Staatsausgaben auf Pump würden die Inflation anfeuern. Und Steuererhöhungen sind ausgeschlossen.

Da sind sich alle einig?

Lindner: Es ist bekannt, dass die Koalitionspartner das ohne FDP anders machen würden. Ich halte höhere Belastungen in der Rezession aber für gefährlich. Angesichts der schon hohen Belastung der arbeitenden Menschen wären sie auch unfair.

Es knirscht ja nicht nur beim Geld. Ist denn der Streit ums Heiz-Gesetz nun endlich gelöst?

Lindner: Da sind die Fraktionen am Zug. Die FDP setzt sich dafür ein, dass wir das Gebäudeenergiegesetz technologieoffen und praxistauglich ausgestalten. Für Deutschland werden wir eine Lösung finden, aber Sorgen macht mir Europa. Die EU-Kommission könnte eine exklusive Fokussierung auf die Wärmepumpe vorsehen, obwohl sie sich nicht für jedes Gebäude eignet. Die FDP wird sich in der Bundesregierung dafür einsetzen, dass es eine solche Regel aus Brüssel nicht gibt. Gut wäre aber, wenn CDU und CSU ihre Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon vorher bremsen würden.

Nach all diesen Debatten, dem Streit – wie ramponiert ist ihr persönliches Verhältnis zum grünen Vizekanzler Habeck nun?

Lindner: Das war immer gleich gut. Diese Erzählungen sind Erfindungen der Medien.

Sie gehen also auch mal ein Bier trinken?

Lindner: Oder eine Pizza essen.

Um die Koalitionsstatik, auch mitten in den heftigen Asyldebatten, machen Sie sich keine Sorgen?

Lindner: Nein.

Die Grünen-Basis äußert schon sehr viel Zorn über die Asyl-Lösung. Müssen die Minister Habeck und Baerbock ihre Partei enger in den Griff kriegen? Weniger um die Welt tingeln?

Lindner: In parteiinterne Angelegenheiten mische ich mich nicht ein. Aber in der Sache kann ich für mich sagen, dass der Wechsel im europäischen Asylsystem ein kaum zu überschätzenden Erfolg ist. Viel zu lange ist an Deutschland gescheitert, die EU-Grenzen besser zu schützen und den Zugang nach Europa zu kontrollieren. In der Migrationspolitik ist das eine Zäsur nach der Merkel-Ära. Ich setze mich dafür ein, dass das Europäische Parlament diesen Meilenstein nicht aufweicht.

Wär’s nicht manchmal einfacher, an der Seite der Union zu regieren?

Lindner: Das ist Fiktion. Eine Jamaika-Koalition nach der letzten Bundestagswahl ist an der Uneinigkeit der Unionsparteien gescheitert. Da geht viel auf das persönliche Konto von Markus Söder. Einfacher wäre es aber auch nicht. Man sieht ja, dass sich die Union hübsch macht für künftige Koalitionen mit den Grünen. So liebäugelt die CDU ja mit Steuererhöhungen.

Die AfD steigt und steigt, bundesweit auf 20, im Osten auf 32 Prozent. Wer ist schuld?

Lindner: Als Grund sehe ich vorrangig Probleme und Sorgen, die noch nicht gelöst sind. Erstens besorgt die Menschen zum Beispiel ungeordnete Zuwanderung. Wir müssen Kontrolle gewinnen und zwischen Schutzbedürftigen, Qualifizierten und irregulärer Migration unterscheiden. Hier hat die Bundesregierung endlich eine politische Wende erreicht. Zweitens: Wir brauchen eine Klimapolitik ohne Ideologie und Verbot. Die Menschen erwarten, dass physikalische Realitäten, technisch Mögliches, sozial Akzeptiertes und wirtschaftlich Vernünftiges beachtet wird. Drittens treibt viele Menschen um, dass mitunter Verständnis geäußert wird für Sachbeschädigung und gewaltsame Straßenblockaden, wenn es um Klimaschutz geht. Die Klimakleber sind aber keine harmlosen Demonstranten, sondern stehen außerhalb des demokratischen Konsenses. Solche Themen müssen wir sachlich angehen und lösen. Dann wird die AfD kleiner.

Schauen wir nochmal aufs Geld. Bayern und Hessen verlangen, der Länderfinanzausgleich müsse neu geregelt werden. Zurecht?

Lindner: Das sollten Herr Söder und Herr Rhein zuerst mit ihren CDU-Kollegen in anderen Ländern besprechen. Nach meiner Erinnerung ist der geltende Länderfinanzausgleich von Markus Söder mitkonzipiert worden – jetzt ist er empört. Vielleicht ist das eine Pirouette für den Wahlkampf?

Inhaltlich: Zahlt Bayern zu viel?

Lindner: Beim Finanzausgleich gelten andere Gerechtigkeitsideen als im Steuerrecht. Die Bürgerinnen und Bürger brauchen ja überall in Deutschland zum Beispiel gute Schulen und handlungsfähige Polizei. Dabei sollten aber die Anreize für die Landespolitik nicht verloren gehen, die eigene Wirtschaft zu stärken. Die aktuelle Regelung ist ein Kompromiss.

Dass Bayerns FDP bei vier Prozent hängt: Ist das ein regionales Problem oder Ihre Mitschuld?

Lindner: Das ist lediglich eine Momentaufnahme. Wer eine liberale Politik der Selbstbestimmung, der Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft – nicht nur bei Heizungen und Verbrennungsmotoren – favorisiert, kann und sollte uns unterstützen. Wieviel Prozent hatte die bayerische FDP eigentlich bei der Landtagswahl 2018?

5,1 Prozent.

Lindner: Eben. Sie sehen, es gibt keinen Einbruch, sondern die Ausgangslage ist genauso wie damals. Es gibt nur einen Unterschied zu 2018, warum wir 2023 stärker abscheiden können: Die bayerische FDP hat seit der letzten Wahl bewiesen, welchen Wert sie für die Bürgerinnen und Bürger im Parlament hat. Erinnern wir uns an die Corona-Pandemie. Die ganzen unverhältnismäßigen Maßnahmen, die Markus Söder verhängt hat und zu denen die Freien Wähler zugestimmt haben – die FDP hat seriös und verantwortlich für Grundrechte und Freiheit argumentiert. Das war eine politische Charakterprobe, die die FDP in Bayern bestanden hat.

Wie wichtig ist ein Wahlerfolg in Bayern und Hessen am 8. Oktober für Ihr Überleben als Parteichef?

Lindner: Gerade bin ich für zwei Jahre mit einem guten Ergebnis von meiner Partei wiedergewählt worden. Es geht aber nicht um mich. Es geht darum, dass freiheitsliebende Menschen in den Parlamenten eine kräftige Stimme haben.