Vieles ist in Bewegung

Christian Lindner
Rheinische Post

Herr Lindner, AKK als neue Vorsitzende der CDU. Aufbruch oder Weiter so?

Lindner: Unser Land braucht einen neuen Aufbruch. Die Abkühlung der Wirtschaft ist ein Warnsignal. Die von Friedrich Merz geforderte „Agenda für die Fleißigen“ hätte ich daher für richtig gehalten. Jetzt sehe ich noch nicht, woher ein Aufbruch kommen sollte. Denn das dafür wichtige Amt ist das der Bundeskanzlerin. Und auch der Koalitionsvertrag von Union und SPD gilt ja weiter. Die Position von Frau Kramp-Karrenbauer ist daher unkomfortabel, Paul Ziemiak könnte sich im kommenden Jahr sogar in der Rolle des Kugelfängers wiederfinden.

Trauen Sie ihr zu, die Union wieder Richtung 40 Prozent zu bringen?

Lindner: Vieles ist in Bewegung. Gegen eine stabile Union hätte ich nichts. Innere Sicherheit und Vertrauen in den Rechtsstaat bei in der Migration, Konzentration auf das Erwirtschaften des Wohlstands statt auf Verteilung sowie eine rationale Politik bei Diesel, Klima und Energie scheinen mir dafür wichtig. Da bin ich gespannt, ob eine solche Wende kommt.

Rechnen Sie damit, dass die Koalition nun stabil bis 2021 arbeitet?

Lindner: Ich hoffe es, aber erwarte es nicht. Frau Kramp-Karrenbauer hat angekündigt, sich auch gegen Frau Merkel profilieren zu wollen. Die SPD ist von innerer Unruhe ergriffen. Wenn es nach mir geht, wird bald eine neue Regierung gebildet – vor oder nach einer neuen Wahl.

Die CDU-Vorsitzende hat als Ministerpräsidentin im Saarland die FDP aus der Regierung geschmissen. Sind von damals noch Vorbehalte in der FDP gegen Sie? 

Lindner: Frau Kramp-Karrenbauer hat damals Grüne und FDP aus der Regierung rausgeschmissen und die SPD an Bord geholt. Sie hat Nein zu Jamaika gesagt. Das kommt in den besten Parteien einmal vor. Wir sind quitt. Das ist für mich keine Belastung für die Zukunft.

Als Wirtschaftsliberale ist AKK bisher nicht aufgefallen. Gibt es schon Überläufer zur FDP aus dem frustrierten Merz-Flügel? 

Lindner: Ja, es haben sich bereits einige Persönlichkeiten bei uns gemeldet. Viele sind noch auf dem Sprung, wie mir scheint. Eine große Enttäuschung ist mit Händen zu greifen. Dass Vertreter des Wirtschaftsflügels innerhalb der eigenen Partei als alte, weiße Männer von gestern diffamiert wurden, hat offenbar viele verletzt.

Bei welchen Themen kann sich die FDP eine Kooperation mit der CDU-Chefin und der Bundesregierung vorstellen?

Lindner: Bei der Abschaffung des Solidaritätszuschlags bis 2021. Das war ja genau unsere Forderung im vergangenen Jahr. Dafür wurden wir von Frau Merkel, Herrn Altmaier und Herrn Kauder geradezu verhöhnt. Schwamm drüber, wir würden das sofort ins Gesetzblatt bringen. Aber 2017 wollte die Union das mit uns in Jamaika nicht umsetzen, jetzt ist sie in einer großen Koalition gefangen, die das nicht machen wird.

Was erwarten Sie von AKK im Streit um den Digitalpakt?

Lindner: Das ist jetzt eine Sache des Vermittlungsausschusses. Da richten sich jetzt alle Augen auf Armin Laschet. Er erzählt wider besseren Wissens etwas von Einheitsschulpolitik aus Berlin. In Wahrheit geht es lediglich um Qualitätsstandards. Kritisch aus Ländersicht sind insbesondere die Finanzierungsbedingungen. Die waren ein Anliegen der Unionsfraktion im Bundestag. Da ist die FDP flexibel. Wenn aber an den Qualitätsvorgaben im Interesse der Schülerinnen und Schülern gefummelt wird, würden wir im Deutschen Bundestag nicht zustimmen. Dann müsste Armin Laschet erklären, dass er auf Geld aus Berlin verzichtet hat. Lutz Lienenkämper müsste dann schauen, wie NRW das aus eigenen Mittel realisiert.

Die Migration und die Entscheidung im, Herbst 2015 soll in einem Werkstattgespräch nochmal aufgearbeitet werden. Richtig? 

Lindner: Mir wäre lieber, dass dies nach vorne gerichtet diskutiert wird. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, das weltoffener ist, als die CSU es sich vorstellt. Und zugleich mehr Kontrolle und Steuerung ermöglicht, als die Grünen gegenwärtig zulassen. Die bremsen und blockieren ja im Bundesrat zum Beispiel die Magreb-Staaten als sichere Herkunftsländer. Die Union hat die Grünen da öffentlich immer geschont. Es wird interessant, ob Frau Kramp-Karrenbauer das ändert.

Der Paragraf 219a ist ein Knackpunkt in der Koalition. Was sagt die FDP dazu? 

Lindner: Es ist geradezu absurd, dass die Koalition sich an diesem Punkt streitet. Es geht nicht um eine Änderung der Regeln zum Schwangerschaftsabbruch. Da bleibt alles beim Alten, weil es einen stabilen Konsens in unserer Gesellschaft geht. Es geht nur um die Entkriminalisierung von Medizinern. Wenn die Union da so altbacken und ideologisch ist, sollte die SPD mit uns die Modernisierung ermöglichen. Die Frage ist nicht im Koalitionsvertrag geregelt, da sollten ausnahmsweise wechselnde Mehrheiten möglich sein.