Ungeordnete Migration kostet uns viele Milliarden Euro.

Christian Lindner Migration
Ippen-Media

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Ihr Generalsekretär sagte: Wir nehmen niemanden aus Lampedusa auf. Ist das nur Wahlkampf-Geklingel oder eine knallharte Koalitionsfrage?

Lindner: Die Kontrolle an den Grenzen zurückzugewinnen, ist für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zentral. Das reicht weit über Wahltermine hinaus. Übrigens kostet uns ungeordnete Migration inzwischen viele Milliarden Euro. Dieses Geld fehlt für Investitionen, weil viele Jahre seit 2015 der Mut zur Konsequenz fehlte. Deshalb brauchen wir eine Wende in der Migrationspolitik, die vergleichbar ist mit dem Asylkompromiss Anfang der 1990er Jahre. Ich nehme große Offenheit für die Zuwanderung qualifizierter Menschen wahr, aber keinerlei Bereitschaft mehr, ungeordnete Migration in unsere Sozialsysteme zu tolerieren. Die Bundesregierung hat sich bereits auf Schritte geeinigt, die sich von der Vorgängerregierung unterscheiden: beispielsweise den Schutz der europäischen Außengrenzen, mehr Rückführungen, sichere Herkunftsländer – darauf warten wir seit Jahren. Aber es reicht noch nicht.

Das geht den Grünen doch eher zu weit. Passt die Richtung in der Koalition überhaupt, vom Tempo ganz zu schweigen?

Lindner: Die Grünen sind teilweise schon über ihren Schatten gesprungen. Das findet meine Anerkennung. Aber die Probleme erfordern mehr Konsequenz. Wir hätten beispielsweise bereits vor der Sommerpause mit Georgien und Moldau Rückführungsabkommen schließen und sie als sichere Herkunftsstaaten einstufen können, wenn es dazu die Bereitschaft gegeben hätte. Es ist an der Zeit, mit Wunschvorstellungen aufzuräumen. Auch aus einer verantwortungsethischen Betrachtung überwiegt jetzt das Interesse an Kontrolle die Bereitschaft zur Aufnahme. Denn ohne Steuerung der Einwanderung würde jedes System öffentlicher Ordnung und sozialer Sicherheit zwangsläufig zusammenbrechen.

Aus der Union kommt ein Vorstoß zu einer Arbeitspflicht für Asylbewerber. Finden Sie das illiberal?

Lindner: Man kann alles erwägen. Ich ziehe vor, dass Asylbewerber idealerweise ihre Verfahren vom Ausland aus beginnen und überhaupt erst mit einem positiven Bescheid einreisen.

Viele sind aber schon hier. Das Sachleistungsprinzip für abgelehnte Asylbewerber, zumindest die Chipkarte – begrüßen Sie diese Ideen?

Lindner: Bei abgelehnten Asylbewerbern ziehe ich die Rückführung vor, nicht den Bezug von Leistungen. Während des Asylverfahrens – das übrigens wesentlich beschleunigt werden muss – sollten wir aber viel stärker auf Sachleistungen setzen. Außerdem sollten wir ein „financial blocking“ prüfen: dass Geldleistungen nicht in die Herkunftsländer überwiesen werden, wie das gegenwärtig zu oft der Fall ist. Mit einer bundesweiten Bezahlkarte, wie die FDP sie vorschlägt, wäre das zu erreichen.

Blicken wir auf die Wahl in Bayern: Halten Sie Hubert Aiwanger für einen überzeugten Demokraten oder für einen vergesslichen Brandstifter?

Lindner: Jeder Mensch macht Fehler, jeder darf sich verändern. Entscheidend ist, wie man damit umgeht. Wir haben bei Herrn Aiwanger eine Salamitaktik in der Kommunikation und keine echte Abgrenzung gesehen. Für mich war das nicht glaubwürdig.

Warum profitiert die FDP davon null?

Lindner: Nach meinem Gefühl geht es in vielen Umfragen in Bayern nicht um Herrn Aiwanger selbst. Viele Menschen empfinden die Debatten in den Medien generell als einseitig links und machen jetzt ihrem Ärger Luft. Anders als in Umfragen sollte man bei Wahlen aber nicht mit Wut im Bauch abstimmen, sondern mit Köpfchen.

Überraschend hat sich neulich Horst Seehofer mal wieder gemeldet. Er empfiehlt der CSU in Bayern ein Bündnis mit der FDP, die aber wohl leider nicht in den Landtag komme. Ist das nett von ihm – oder eine Schmutzelei?

Lindner: Man kann Horst Seehofer nicht vorwerfen, dass er kein staatspolitisches Verantwortungsgefühl hätte. Er hat nämlich recht. Der Wohlstand Bayerns hängt am starken Mittelstand und an Spitzenunternehmen, die auf den Weltmärkten erfolgreich sind. Dafür braucht es einen Wirtschaftsminister, der Innovation statt Stammtische anheizen will und der auf den Weltmärkten Türen öffnen kann.

Auch in Hessen wird gewählt, hier steht die FDP laut Umfragen bei 6 und die AfD bei 16 Prozent. Leidet Ihre Partei unter der AfD?

Lindner: Unsere Wählerinnen und Wähler wandern in Hessen eher zwischen FDP und CDU. Man sieht ja etwa, dass die Union sich bundesweit für Steuererhöhungen und Aufweichungen der Schuldenbremse nach links öffnet. Wer das nicht will, sollte sich an uns halten. Nach meinem Eindruck ist die AfD für alle Parteien eine Herausforderung, inklusive der SPD. Die Wähler und Sympathisanten der AfD sind mitnichten alle Rechtsextreme. Das sind Menschen, die in der Schule ihrer Kinder und am Wohnungsmarkt die Folgen von Migration erleben. Die fragen sich, ob sich Arbeit noch lohnt. Die beklagen Bürokratismus. Diese Anforderungen an die Politik muss man ernst nehmen, dann wird die AfD auch kleiner.

Wie beurteilen Sie, wenn jemand wie der Historiker Andreas Rödder sagt, man solle vorsichtig sein mit dem Begriff Brandmauern, und zumindest in Thüringen könne man sich eine CDU Minderheitsregierung, die von der AfD toleriert wird, vorstellen?

Lindner: Die AfD will Deutschland aus der EU und der NATO herausführen. So würde Deutschland politisch isoliert und wirtschaftlich ruiniert. Deshalb darf sie keine Macht über diesen Staat erhalten.

Sie haben nach der Abstimmung über das Steuersenkungs-Gesetz im Thüringer Landtag die CDU für ihre Zusammenarbeit mit der AfD kritisiert, die FDP aber nicht. Die hätte aber das Gesetz aus der Opposition heraus verhindern können…

Lindner: Warum sollte die FDP eine Senkung der Grunderwerbsteuer verhindern? Vielmehr sollte man fragen, warum SPD, Grüne und Linke kein Verständnis dafür haben, dass Familien nicht mehr in der Lage sind, eine Wohnung oder ein Haus zu finanzieren. Wenn eine demokratische Partei wie die CDU einen Antrag stellt, der dem Programm der FDP entspricht, dann werden wir zustimmen. Ob die Union eine Unterstützung der AfD in Kauf nimmt, muss sie selbst klären. Ich hätte nur gezögert, weil die Union nicht wirklich glaubwürdig ist. Denn nahezu überall, wo sie regiert, handelt die CDU anders. So hat sie in Sachsen die Grunderwerbsteuer erhöht.

Aber finanzielle Unterstützung bekommt der FDP-Landesverband Thüringen für den Wahlkampf trotzdem nicht?

Lindner: Die Konferenz der Schatzmeisterinnen und Schatzmeister der FDP hat auf Grundlage unseres parteiinternen Regelwerks festgelegt, dass die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind.

In Ihrer Ampel-Koalition gibt es immer noch Streit beim Thema Kindergrundsicherung. Kommt es jetzt nun nächste Woche ins Kabinett? Wie sieht da der Zeitplan aus?

Lindner: Es gibt seit längerem eine Einigung. Auf der Basis hätten wir schon beschließen können. Bei der Übertragung in das Gesetz gab es allerdings Abweichungen. Ich halte es etwa nicht für angezeigt, das Asylbewerberleistungsgesetz in dieses Vorhaben aufzunehmen. Denn unsere Einigung bestand darin, dass es keine Ausweitung der Leistungen gibt, sondern dass bestehende Leistungen für die Familien leichter nutzbar gemacht werden. Wir haben bereits heute ein Niveau von Sozialtransfers, das arbeitende Menschen mit niedrigem Lohn zu oft die Sinnfrage stellen lässt. Das darf nicht sein. Es muss immer einen deutlichen Lohnabstand geben. Und bei denjenigen, die von Kinderarmut betroffen sind, gibt es öfters einen Zusammenhang mit Einwanderung. Da hilft nicht immer nur mehr Geld. Was es braucht, sind Sprachförderung, Integration der Eltern in den Arbeitsmarkt, sowie bessere Kitas und Schulen.

Ein weiteres Streitthema ist der Industriestrompreis. Was sagen Sie zu dem Vorschlag Ihrer grünen Kolleginnen und Kollegen?

Lindner: Wo waren die Sorgen um den Strompreis, als auf Betreiben der Grünen Kernkraftwerke abgeschaltet wurden? Diese Subvention löst das Problem nicht, sondern schafft neue. Wenn die Bürgerinnen und Bürger sowie der Mittelstand der energieintensiven Industrie die Preise reduzieren, ist das erstens eine Wettbewerbsverzerrung. Zweitens werden zugleich die Anreize für die Industrie reduziert, über langfristige Lieferverträge in erneuerbare Energien zu investieren. Angeblich wollen manche den Industriestrompreis nun aus dem Klima- und Transformationsfonds bezahlen. Dahin fließen die Einnahmen aus dem CO₂-Preis. Im Jahr 2025 werden es gut 13 Milliarden Euro sein, die die Bürgerinnen und Bürger bezahlen. Ich bin dafür, ihnen statt des Industriestrompreises einen großen Anteil davon im Jahr 2025 als Klimageld pro Kopf auszuzahlen. Das stärkt die Akzeptanz des Klimaschutzes insgesamt.