Sprechen wir wieder über Wirtschaftspolitik

Christian Lindner
Passauer Neue Presse

Herr Lindner, Sie sind auf dem Bundesparteitag mit gut 86 Prozent wieder zum FDP-Vorsitzenden gewählt worden. Beim letzten Mal waren es noch mehr als 91 Prozent. Ist das ein ehrliches Ergebnis oder doch ein Dämpfer?

Lindner: Das ist ein starker Vertrauensbeweis für meine Arbeit und eine Bestätigung des Kurses. Der Parteitag zeigt die Geschlossenheit der FDP, und wir fühlen uns bestärkt, diesen Weg der Eigenständigkeit weiterzugehen. Wir sind ja die Partei, die mit dem größten Optimismus auf Veränderungen schaut. Wir wollen die Menschen stark machen und von Bevormundung befreien. Wir wollen Offenheit für Technologie und eine freie Gesellschaft statt des Mainstreams der Verbote und staatlichen Planung.

Chinesische Schriftzeichen an der Hallenrückwand. Das Land der Mitte war auch Thema auf dem Parteitag. Warum spricht die FDP plötzlich chinesisch?

Lindner: Wir beschäftigen uns in Deutschland zu sehr mit uns selbst: Es geht um die Ausdehnung des Wohlfahrtsstaates oder um eine Klimapolitik, die mindestens 1,5 Billionen Euro in den nächsten Jahrzehnten kosten wird. Wir wollen wieder über das wirtschaftliche Fundament unseres Landes sprechen, das für solche Ziele nötig ist. Man kann nicht nur Geld ausgeben, man muss es auch im verschärften globalen Wettbewerb verdienen. Wir müssen unser deutsches Geschäftsmodell erneuern, damit wir unseren Wohlstand global verteidigen können. Dafür braucht es Steuerentlastungen, Bürokratieabbau bis hin zu Investitionen in Bildung, Forschung und digitale Infrastruktur für einen neuen Aufbruch.

China baut die neue Neue Seidenstraße. Es gibt immer mehr Kritik an dem Megaprojekt. Bietet es mehr Chancen oder mehr Risiken für Deutschland und Europa?

Lindner: China ist unser größter Handelspartner und wird die wichtigste Wirtschaftsregion der Welt werden. Da bietet eine engere Handelspartnerschaft für uns große Chancen. Es muss aber faire Regeln geben. Wir müssen gegen Dumping im Handel und Produktpiraterie vorgehen und auf die Einhaltung der Menschenrechte und Standards bei den Arbeitsbedingungen dringen. Es geht darum, freie, faire und marktwirtschaftliche Regeln im Handel mit China durchzusetzen. Das ist ein Schlüsselprojekt für die EU nach der Wahl.

Union und SPD schwächeln. Dennoch kann die FDP nicht profitieren, liegt in den Meinungsumfragen bei 9 Prozent. Woran liegt das? 

Lindner: Es ist kein Bundestagswahlkampf. Im Mai 2017 lagen wir bei 6 Prozent, im September 2017 waren es 10,7 Prozent bei der Wahl. Aber mit diesem Parteitag wechseln wir in den Offensivmodus. Im vergangenen Jahr mussten wir noch viele rückwärtsgewandte Fragen beantworten, warum Jamaika nicht geklappt hat. Die Entwicklung von CDU und Grünen bestätigt uns. Die Mitte wirtschaftlicher Vernunft und für Vertrauen in die Selbstbestimmung der Menschen ist frei. Wir schauen jetzt nach vorn bis auf die Bundestagswahl 2021. Wir haben uns auf dem Parteitag mit der Wahl unserer neuen Generalsekretärin Linda Teuteberg personell verbreitert. Sie ist ein weiteres Gesicht mit einer eigenen Tonlage und eigenen Themen. Als Vorsitzender sehe ich mich ja auch als Coach, der für die Aufstellung der Mannschaft verantwortlich ist und neue Spieler bringt.

Die Grünen erleben einen Höhenflug, sind laut Umfragen doppelt so stark wie die Liberalen und auf dem Weg zur zweitstärksten Kraft. Was macht die Ökopartei besser als die FDP? 

Lindner: Die Grünen haben sich klar nach links orientiert. Sie weiden die SPD aus. Herr Habeck träumt öffentlich davon, dass bald in Deutschland kein Fleisch mehr gegessen wird. Das finden offenbar Menschen gut. Ich finde, das sollte jeder selbst entscheiden. Die Grünen wollen Eigentum enteignen. Wir glauben, dass der Rechtsstaat wie seit 1949 weiterhin Eigentum achten soll.

CDU und CSU starten in die heiße Phase des Europawahlkampfes ohne Kanzlerin Angela Merkel. Wo ist die Regierungschefin?

Lindner: Es gibt eine parteipolitische Abstinenz von Frau Merkel. Die Kanzlerin befindet sich bereits im politischen Vorruhestand. Die Veränderungen der politischen Positionen in ihrer Partei dürften ihr nicht gefallen. Für die Positionen von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in der Flüchtlingspolitik ist die FDP zuletzt noch in die Nähe der AfD gerückt worden. In der Regierung folgt daraus aber keine Konsequenz. Partei und Kabinett entwickeln sich auseinander. Die Union befindet sich in einem Schwebeprozess. Wir wünschen uns Taten. Wo ist das Einwanderungsgesetz, das unser Land braucht? Die FDP ist weltoffener und toleranter als AfD und CSU, aber auf der anderen Seite klarer und fordernder als die Grünen und Frau Merkel. Ich halte das für mehrheitsfähig. Wir brauchen die gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften, Schutz wirklich Bedrohter und die funktionierende Abschiebung von Illegalen zugleich.

Sollte die Große Koalition auseinanderbrechen, wäre die FDP dann bereit, in eine Regierung einzutreten, oder setzen Sie auf Neuwahlen?

Lindner: Wir haben immer gesagt, dass wir zu Gesprächen bereit wären, wenn ein faires Miteinander und eine inhaltliche Trendwende im Land angestrebt werden. Wir wären aber auch sofort zu vorgezogenen Neuwahlen in der Lage. Ich rechne damit allerdings nicht vor 2021.

Nicht nur die Jungliberalen kritisieren, dass es in der Parteiführung zu wenig Empathie gebe und fordern eine emotionalere Politik. Ein berechtigter Vorwurf?

Lindner: Die FDP ist die einzige Partei, die Empathie für die Familien hat, die unter steigenden Strompreisen leiden und deren Gehaltserhöhungen vom Staat enteignet werden. Wer denkt außer uns an die? Wir haben Empathie für die Hunderttausenden von Beschäftigten der Autoindustrie hat. Deren Existenz steht jetzt auf dem Spiel, und es wird über ihre Köpfe hinweg entschieden. Wir haben Empathie für diejenigen in der Gesellschaft, die die Debatten in Berlin teilweise nicht mehr verstehen können.

Ihre Kritik an der Bewegung „Fridays for Future“ und ihre Aussage, Klimaschutz sei eine Sache für Profis, kamen auch in Ihrer Partei nicht gut an…

Lindner: Debatten und Beschlüsse sprechen eine ganz andere Sprache. Ich gehöre zu den wenigen, die „Fridays for Future“ ernst nehmen. Die FDP setzt sich in der Sache mit der Bewegung auseinander. Den Aktivisten von „Fridays for Future“ sage ich, dass eine zusätzliche Belastung von 8000 Euro pro Jahr für eine vierköpfige Familie sozial nicht verantwortbar ist. Das wäre aber die Folge eines CO2-Preises von 180 Euro pro Tonne, wie sie die Bewegung fordert. Wir haben Ideen, die Klimaschutz mit wirtschaftlichen Zielen besser vereinbaren. Unsere Mitbewerber von Union und Grünen nehmen dagegen gar nicht Stellung zu den Forderungen. Da ist viel Gefälligkeit im Spiel, nicht anecken zu wollen.

Es gibt immer mehr Befürworter für die Einführung einer CO2-Steuer. Wie will die FDP den Klimawandel stoppen?

Lindner: Unser Modell heißt Soziale Marktwirtschaft. Wir wollen keine von der Politik festgelegte Klimaabgabe. Wir wollen einen sich marktwirtschaftlich ergebenden Preis für CO2-Ausstoß quer durch alle Sektoren von Wirtschaft und Gesellschaft vom Verkehr bis zur Landwirtschaft. Das ist ein ganz anderes Modell. Da sollten nicht Politiker hineinfunken, die von den technischen Zusammenhängen keine Ahnung haben können. Auf viele Fragen beim Klimaschutz gibt es noch keine gesicherten Antworten. Deshalb brauchen wir technologieoffene Forschung.

Die FDP fordert die Soli-Abschaffung, Steuersenkungen und Bürokratieabbau - das klingt nach den alten Ladenhütern der Partei der Besserverdienenden?

Lindner: Richtige Forderungen werden nicht dadurch falsch, dass sie noch nicht umgesetzt sind. In der aktuellen Lage bei nur noch 0,5 Prozent Wachstum und den höchsten Strompreisen in Europa, einer verfehlten Energiepolitik und immer stärkeren bürokratischen Belastungen sind unsere Forderungen aktueller denn je. Schlimm nur, dass wir in der politischen Landschaft damit alleine stehen. Abgesehen vielleicht vom wenig einflussreichen Wirtschaftsflügel der CDU.

Heftigen Streit gab es auf dem Parteitag über Quote und Förderung von Frauen. Wie will die FDP attraktiver für Frauen werden?

Lindner: Die FDP hatte bei der letzten Bundestagswahl etwa so viele Wählerinnen wie die Grünen. Wir wollen dort noch stärker und attraktiver werden, indem wir inhaltliche Positionen ins Zentrum rücken. Wir sind die Partei, die am stärksten für die Selbstbestimmung von Frauen eintritt, etwa im Familienrecht. Weil wir marktwirtschaftliche Positionen haben und Leistungsgerechtigkeit fordern, nehmen wir nicht hin, dass es einen nicht erklärbaren Geschlechter-Unterschied bei den Gehältern von sechs Prozent gibt. Da wollen wir durch mehr Transparenz für einen fairen Ausgleich sorgen. Viele Frauen sind aber skeptisch gegenüber rigorosen Maßnahmen wie einer Quote. Sie wollen aus eigener Kraft Erfolg haben.

Die Grünen wollen eine Obergrenze für Mieten und notfalls sogar Baugrund und Wohnungen enteignen. Welche Rezepte hat die FDP gegen Wohnungsnot?

Lindner: Die Grünen verhindern in Berlin Flächen für 11 000 Wohnungen, wollen aber private Wohnungen enteignen. Die Enteignungen schaffen keine einzige neue Wohnung. Sie verschrecken nur private Investoren, die Wohnraum schaffen wollen. Außerdem müssten die Steuerzahler für Entschädigungen aufkommen. Wir sollten stattdessen Baugenehmigungen beschleunigen, neue Siedlungsflächen ausweisen, Baulücken schließen, Dachgeschosse aufstocken und Weiteres mehr. Ein Machtgleichgewicht zwischen Mieter und Vermieter gibt es erst dann wieder, wenn jeder Mieter die Chance hat, alternative Angebote zu finden. Wir müssen schneller, mehr und günstiger bauen.