Neue Sondervermögen nicht mit dem Geist der Schuldenbremse vereinbar

Christian Lindner Finanzen
Wirtschaftswoche

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Herr Minister Lindner, Sie haben ein altes Haus in Berlin gekauft und sanieren es gerade. Dürfen wir erfahren, für welche Heizung Sie sich entschieden haben?

Lindner: Das ist eine private Angelegenheit, da braucht sich niemand um mich zu sorgen.

Gibt es denn für Ihre neue Heizung Fördermittel?

Lindner: Es geht nicht um mich, sondern es geht um die Frage, ob die Menschen in der Lage sind, in ihrem eigenen Haus oder in einer gemieteten Wohnung den Preis für Wärme bezahlen zu können. Dafür brauchen wir einen realistischen und wirtschaftlich tragfähigen Weg beim Klimaschutz in Gebäuden - und eine zielgerichtete finanzielle Unterstützung. Damit Eigentum in Deutschland kein Luxusgut wird.

Wir kommen später noch einmal darauf zurück. Lassen Sie uns anders über Ihr Geld reden: Warum ist es in diesem Jahr so schwer, einen Haushaltsentwurf fürs nächste Jahr aufzustellen?

Lindner: Es ist jetzt so schwer wie zuletzt im Jahr 2010, weil wir heute wieder Zinsen auf dem damaligen Niveau bezahlen müssen. In der Zeit dazwischen ist in jedem Jahr die Zinslast gesunken, teilweise hat der Staat sogar mit seiner Verschuldung Geld verdient. Jetzt sind wir wieder in der Normalität, in der finanzpolitischen Realität angekommen. Und es zeigt sich, dass die Vorgängerregierungen unter CDU-Führung über ein Jahrzehnt hinweg regelmäßig neue Leistungen, Subventionen, Staatsaufgaben und Konsum beschlossen haben, der nicht nachhaltig finanziert waren. Das war nur möglich wegen der Windfall-Profits durch künstlich niedrige Zinsen. Mancher deutsche Politiker hat mit dem Finger nach Südeuropa gezeigt und der EZB vorgeworfen, sie würde Zinspolitik im Sinne südeuropäischer Partner machen.

Das war doch nicht falsch.

Lindner: Das sage ich ja nicht. Aber es zeigt sich doch jetzt ganz deutlich, dass Deutschland nicht besser war. Unter der Führung der CDU im Kanzleramt wurde ebenfalls nicht nachhaltig gewirtschaftet. Die künstlich niedrigen Zinsen der EZB hat man nicht für eine Modernisierung und für eine Konzentration auf das Wesentliche genutzt.

Immerhin wurde zwischenzeitlich die schwarze Null erreicht. War es falsch, damals zu sparen – möglicherweise auf Kosten öffentlicher Investitionen?

Lindner: Es ist nicht gespart worden, sondern es gab ausgabenträchtige Wohltaten wie die Rente mit 63. Die schwarze Null hat sich damals ergeben, sie war nicht das Ergebnis sparsamer Politik. Und bei den Investitionen gab es immer das Problem, dass staatliches Geld nicht ausreichend abfließt. Deshalb will die Koalition ja auch mehr Tempo bei Planungs- und Genehmigungsverfahren machen.

Bund, Länder und Gemeinden nehmen erstmals mehr als eine Billion Euro ein – reicht das nicht aus?

Lindner: Das muss reichen.

Ihre Koalitionspartner sind da anderer Meinung.

Lindner: Man liest gelegentlich, dass selbst Rekordeinnahmen des Fiskus nach Meinung einiger nicht ausreichen, damit der Staat seine gesetzlichen Verpflichtungen im Rahmen der Schuldenbremse finanzieren kann. Da bin ich anderer Meinung.

Wie müsste der Bundeshaushalt umstrukturiert werden, um den Standort Deutschland durch die Zeitenwende zu manövrieren?

Lindner: Der Haushalt ist im Prinzip schon auf eine Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit angelegt. Wir schreiben Rekordinvestitionen im regulären Etat sowie im Klima- und Transformationsfonds fort. Das Geld muss aber auch genutzt werden. Außerdem will ich im Haushalt die Bereiche Bildung, Qualifikation sowie Forschung und Entwicklung stärken, da es hier um die grundlegenden Voraussetzungen für unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand geht.

Und was wollen Sie direkt für die Wirtschaft tun?

Lindner: Wenn man mit Handwerkern, Mittelständlern und Industrie spricht, sind die Sorgen vielfältig - Fachkräftemangel, Bürokratie, Energiepreise, Lieferkettenprobleme. Daneben müssen wir aber auch das steuerliche Umfeld im Blick behalten.

Was sehen Sie da?

Lindner: Deutschland ist inzwischen ein Höchststeuerland für Privatpersonen und Unternehmen. Bei den Bürgerinnen und Bürgern haben wir schon Entlastungen erreichen können. Allein das Inflationsausgleichsgesetz bringt eine Entlastung um 50 Milliarden Euro. Eine vierköpfige Familie mit 55 000 Euro Einkommen hat so 800 Euro mehr im Jahr zur Verfügung. Bei den Betrieben müssen wir noch nacharbeiten.

Die Steuerbelastung der Unternehmen beträgt im EU-Durchschnitt 23 Prozent, in Deutschland sind es 30 Prozent. Wie groß müsste die Entlastung sein?

Lindner: Wenn es nach mir geht, müssten die Steuersätze sinken und der Solidaritätszuschlag sofort entfallen. Aber dafür gibt es im Bundestag derzeit keine Mehrheit. Ich setze mich dennoch dafür ein, dass bei den Steuern etwas passiert, etwa bei steuerlichen Anreizen für Investitionen und für Forschung. Inzwischen liebäugelt ja auch die CDU mit Steuererhöhungen. Allerdings muss niemand fürchten, dass es zu einer höheren effektiven Belastung kommt. Jedenfalls nicht so lange, wie ich als Bundesfinanzminister tätig sein kann. Da bin ich die Brandmauer.

Die CDU will laut ihrem neuen Grundsatzprogramm beim Einkommensteuertarif den Mittelstandsbauch glätten und dafür Höherverdienende stärker belasten…

Lindner: …was aber bei Aufkommensneutralität dazu führen müsste, dass es einen Steuersatz von 57 Prozent ab 80 000 Euro Jahresverdienst bräuchte.  Ich halte es für unfair, wenn jemand mehr von seiner Leistung abgeben soll, als er behalten kann.

Die CDU will auch bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer Verschonungsregeln für Familienunternehmer abschaffen und stattdessen eine Flat Tax von zehn Prozent einführen…

Lindner: … auch auf das Betriebsvermögen. Bisher gibt es hier Verschonungsregelungen. In der Praxis würde das darauf hinauslaufen, dass ein Familienunternehmen bei der Nachfolge möglicherweise das ganze Eigenkapital beim Fiskus abgeben müsste. Mit Blick auf Arbeitsplätze und Investitionen wäre das nicht klug. Das verzerrt auch den Wettbewerb mit Großunternehmen, die keine Erbfälle haben.

Andere Länder wie Schweden, Österreich und Portugal haben die Erbschaftsteuer vollständig abgeschafft. USA, Frankreich, UK, Polen oder Ungarn stellen zumindest Übertragungen von Betriebsvermögen frei. Wäre das auch für Deutschland erstrebenswert?

Lindner: Nach meiner Einschätzung gibt es derzeit keine Mehrheit für ein besseres mittelstands- und eigentumsfreundlicheres Modell als das, was wir gerade haben. Was wir aber tun könnten, wären höhere Freibeträge für alle. Wenn die Länder sich dafür aussprechen, würde die Koalition dies bestätigen. Leider sind aber selbst CDU-geführte Bundesländer nicht bereit, eine solche Initiative zu unterstützen.

Zurück zu den Ausgaben des Etats. Eine ziemlich unkalkulierbare Belastung für Ihren Etat dürften die Kosten für die Heizungsförderung werden. Wärmepumpen soll laut Kabinettsbeschluss ab 2024 mit bis zu 50 Prozent bezuschusst werden. Finden Sie es richtig, dass der Staat so stark in den Markt eingreift?

Lindner: Die jetzt schon bestehende Förderung für Wärmepumpen soll künftig technologieneutral ausgestattet werden. Das heißt, die Förderung orientiert sich stärker am Objekt, das ausgetauscht wird und nicht vor allem an dem, das eingebaut wird.

Das bedeutet, je älter und schmutziger die Heizung ist, desto höher die Förderung beim Austausch?

Lindner: Ja, weil man dadurch pro eingesetztem Euro mehr CO-2-Effekte erzielt als wenn wir nur die neue Technologie fördern würden. Wir wollen ja eine Hebelwirkung für das Klima erreichen und kein Subventionsprogramm für einzelne Technologien oder Hersteller auflegen. Auch wenn es Menschen gibt, die geradezu verliebt sind in Wärmepumpen.

Sie haben angekündigt, dass die FDP-Bundestagsfraktion das Gebäudeenergiegesetz im parlamentarischen Verfahren noch verändern will. An welcher Stelle?

Lindner: Durch die Rückmeldung von Expertinnen und Praktikern sind Fragen hinsichtlich der konkreten Realisierbarkeit aufgetaucht. Die kommunalen Unternehmen und Stadtwerke weisen zum Beispiel darauf hin, dass die Umstellung ihrer vorhandenen Netze einen anderen Vorlauf benötigt. Diese Fragen müssen wir jetzt im Gesetzgebungsverfahren beantworten.

Kann das bedeuten, dass man mit dem Verbot von Gasheizungen ab dem 1.1.2024 etwas flexibler umgehen sollte?

Lindner: Die Rahmenbedingungen und das Tempo müssen stimmen. Ein Gesetz, das am 1. Januar 2024 in Kraft treten würde, begründet ja nicht eine sofortige Austauschpflicht, sondern den Anpassungspfad – und der muss in jeder Beziehung realistisch sein.

Beim Thema Heizen und Wohnen kommen stark steigende Kosten hinzu. Kostendeckende Kaltmieten bei Neubauten liegen bei mindestens 18 Euro. Ist das noch bezahlbar?

Lindner: Wir sehen wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die sich auf den Neubau sehr negativ ausgewirkt haben – lückenhafte Lieferketten, Fachkräftemangel, steigende Zinsen – und von der Politik verschärfte Standards beim Bau. Ich sehe das mit großer Sorge.

Was meinen Sie konkret?

Lindner: Bei den Standards für Neubauten muss Maß und Mitte erreicht werden. Mit dem, was wir jetzt haben, können wir viele Jahre auskommen. Weitere Steigerungen halte ich klimapolitisch nicht für nötig und ökonomisch für nicht tragbar. Insbesondere die EU-Gebäudeenergierichtlinie droht über das Ziel hinauszuschießen. Die muss auf ihre Praxistauglichkeit geprüft werden. Falls die momentan erwogenen Effizienzstandards umgesetzt werden müssten, würde das für Deutschland binnen weniger Jahre viele Milliarden Euro an zusätzlichen Kosten bedeuten.

Das bedeutet?

Lindner: Erhebliche Sanierungspflichten und eine Verteuerung des Neubaus drohen. Der Gesetzentwurf der Kommission von Frau von der Leyen war bereits hochgradig ambitioniert, die noch weitergehenden Verschärfungen des Europäischen Parlaments sind endgültig nicht tragbar. Das muss geändert werden, wenn die Bundesregierung zustimmen soll. Insgesamt brauchen wir mehr Technologieoffenheit und Ideenreichtum. Wir sollten zum Beispiel das Potenzial technischer Negativemissionen stärker nutzen. Das haben wir für die Novelle des Klimaschutzgesetzes auch in der Koalition vereinbart. Das muss das Klimaschutzministerium jetzt auch umsetzen.  

Statt der geplanten 400.000 Neubauwohnungen pro Jahr sind wir in diesem Jahr bei maximal 200.000 und nach Ansicht von Fachleuten 2024 nur noch bei 100.000 ...

Lindner: Diese Zahlen sind von sozialdemokratischen Politikern versprochen worden. Die Ziele sind möglich, aber nur erreichbar, wenn die politischen Rahmenbedingungen komplett verändert werden. Derzeit treiben immer höhere Standards selbst die Preise. Das erschwert nicht nur den staatlichen Neubau, sondern auch den privaten. Auch für Familien wird es immer schwerer, Eigentum zu schaffen. Daher schlage ich einen Freibetrag für die selbstgenutzte Immobilie bei der Grunderwerbsteuer vor...

… was die Länder ablehnen.

Lindner: Leider ist das so. Was aber nicht geht, ist beim Bauen gleichzeitig Gas zu geben und zu bremsen, indem immer neue Standards verordnet werden. Die Grenzen der Fördermittel sind erreicht. Wir können politisch gewünschte Standards nicht immer weiter mit Steuergeldern wegsubventionieren.

Es wird also kein milliardenschweres „Sondervermögen Wohnungsbau“ geben, um die Wohnungsnot zu lindern?

Lindner: Es wird keinerlei zusätzliche Sonderprogramme geben, die mit Schulden finanziert werden. Das Sondervermögen war das Mittel der Wahl, um in einer außerordentlichen Situation angesichts des Krieges die jahrelange Vernachlässigung der Bundeswehr sehr schnell zu überwinden. Aber diese Ausnahme lässt sich nicht erweitern, um strukturelle Aufgaben der Politik künftig unter Umgehung der Schuldenbremse zu finanzieren. Ich sehe mit Sorge, dass die Ausnahme in einigen Ländern Schule zu machen scheint.

Ihre Koalitionspartner SPD und Grüne wollen das aber.

Lindner: Es gibt nicht nur auf Bundesebene solche Ideen, sondern auch auf Ebene der Länder. Man will für alle möglichen politischen Aufgaben „Sondervermögen“ bilden, so wie etwa in Berlin oder Bremen. Das ist aber nicht mit dem Geist der Schuldenbremse vereinbar.

Die große Sorge der Wirtschaft vor extrem hohen Energiepreisen bleibt aber. Jetzt wird ein gesonderter niedriger Industriestrompreis diskutiert. Gut oder schlecht?

Lindner: Mich überzeugt das Konzept in der aktuellen Form nicht. Auf der einen Seite treiben wir die Energiepreise durch politische Entscheidungen nach oben, und auf der anderen Seite sollen sie dann für einen Teil der Wirtschaft mit Steuergeld subventioniert werden. Wo ist die Grenze? Was macht das für den Wettbewerb zwischen Industrie und Mittelständlern, die keinen Industriepreis bekommen? Wie viel Geld soll das beanspruchen? Ich plädiere eher für marktwirtschaftliche Lösungen, etwa für Power Purchase Agreements.

Befürchten Sie keine Deindustrialisierung Deutschlands?

Lindner: In bestimmten Branchen führen höhere Energiepreise und Abgabenlasten natürlich zu Wettbewerbsnachteilen. Andererseits führen Preissignale auch zu technologischen Anpassungen, wie unsere Chemieindustrie im letzten Jahr bewiesen hat. Es darf nur nicht zu harten Abbrüchen kommen. Wer die Energiewende mit der Brechstange vorantreiben will, der provoziert, dass ganze Branchen aus der Kurve fliegen.

Und dass Traditionsunternehmen wie der Heizungsbauer Viessmann möglicherweise verkaufen müssen und in andere Hände geraten?

Lindner: Die sehr schnelle Verschiebung des Geschäfts hin zu Wärmekraftpumpen kann mit den dafür erforderlichen Investitionsnotwendigkeiten dazu führen, dass selbst ein starkes Unternehmen wie Viessmann einen großen Teil seines Unternehmens verkauft. Die Bundesregierung tut gut daran, diesen Vorgang genau zu analysieren. Firmen müssen die Chance haben, bei der Gesetzgebung mitzukommen – ein Gesetz ist schneller geändert als eine Produktionsstraße. Die Anpassungsfähigkeit von Betrieben muss deshalb mitgedacht werden.

Eine letzte Frage an den Menschen Lindner: Wie schaffen Sie es als Finanzminister und Parteichef, noch zu entspannen? Was hilft Ihnen, mal abzuschalten?

Lindner: Ich habe viel zu tun, aber ich fühle mich nicht unter Druck. Ich mache gerne, was ich tue. Wenn mal etwas Zeit ist, treibe ich Sport oder unternehme etwas. Letzten Sonntag etwa ein Besuch der Formel E mit Freunden.