Mehr Toleranz für andere Meinungen

Christian Lindner
Passauer Neue Presse

Herr Lindner, Sie haben Auftrittsverbot an der Hamburger Universität. Warum sind Sie dort nicht willkommen?

Lindner: Mir ist das nicht erklärlich. Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht und Juso-Chef Kevin Kühnert sind an der Hamburger Uni aufgetreten, um ausweislich der Plakate nicht wissenschaftliche Vorträge zu halten, sondern politische Debatten zu führen. Ich hingegen darf eine Einladung unserer Liberalen Hochschulgruppe nicht annehmen, obwohl ich mich bei meinen zahlreichen Auftritten an Unis immer um eine gewisse Objektivität bemühe, wie man auf Videos sieht. Da wird offenbar mit unterschiedlichem Maß gemessen. Die Studierendenschaften haben ein allgemeinpolitisches Mandat. Sie dürfen deshalb Mandatsträger einladen. Vielleicht gibt es ein Problem mit Meinungen, die nicht links von der Mitte hegen? Hamburgs grüne Wissenschaftssenatorin sollte sich hier einschalten.

Auch andere Politiker wurden bei Reden gestört. In Göttingen wurde eine Buchvorstellung des früheren Bundesinnenministers Thomas de Maiziere von linken Aktivisten verhindert.

Lindner: Formal haben wir natürlich das Grundrecht, unsere Meinungen frei zu äußern. Wer davon aber Gebrauch macht, muss mit scharfen Sanktionen rechnen, etwa in den sozialen Netzwerken. Man zieht sich schnell einen Shit-Storm zu. Manches Gemüt lässt sich davon einschüchtern. Wenn die junge Generation zum Beispiel erklärt, dass man bei bestimmten Themen wie der Migrationspolitik seine Meinung nicht mehr offen sagen kann, ist das ein Alarmsignal. Das war gerade erst eines der Ergebnisse der Shell-Studie. Rein rechtlich ist die Meinungsfreiheit garantiert. Praktisch wird sie aber als eingeschränkt empfunden. Das ist ein bedrückender Befund. Mehr Toleranz für andere Meinungen wäre sinnvoll. Es darf nicht sein, dass man niedergebrüllt oder gar bedroht wird, wie das Herrn Lucke und Herrn de Maiziere passiert ist. Ich habe Herrn Lucke immer scharf politisch bekämpft, aber als Bürger und Professor muss er ungehindert sprechen dürfen.

Wie gefährdet ist die Meinungsfreiheit?

Lindner: Es gibt eine Dominanz von Meinungen aus dem links-grünen Spektrum. Was nicht links der Mitte ist bei Migration und Klima, bei Fragen der Wirtschaftspolitik, wird schnell in ein falsches Licht gerückt. Da gerät man schnell in eine Verteidigungs- und Rechtfertigungsfalle. Am Ende hilft das der AfD.

Die Bundesregierung will den Solidaritätszuschlag für 90 Prozent der Zahler abschaffen. Ein erster wichtiger Schritt?

Lindner: Der Soli muss vollständig abgeschafft werden. Wir sehen uns mit dem Risiko eines Wirtschaftsabsturzes konfrontiert. Hier muss gegengesteuert werden. Wir brauchen mehr Investitionen im privaten Bereich. Vor allem im Mittelstand, der vor großen Herausforderungen steht, wie aktuelle Studien zeigen. Die Große Koalition macht jetzt aus der Sondersteuer Soli eine Strafsteuer für Mittelstand und Leistungsträger. Das ist weder mit dem Grundgesetz vereinbar, noch ist es in unserer wirtschaftlichen Lage klug. Wenn es den politischen Willen nicht gibt, den Soli abzuschaffen, gehen wir nach Karlsruhe und klagen vor dem Bundesverfassungsgericht. Wenn die Union morgen einen Gesetzentwurf zur vollständigen Abschaffung des Soli einbringen würde – unsere Stimmen hätte sie.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer steht wegen ihres Vorschlags einer internationalen Schutzzone in Nordsyrien in der Kritik. Es gibt keine gemeinsame Position der Bundesregierung, dennoch wirbt sie bei den Nato-Partnern dafür. Ist das nicht absurd?

Lindner: Der Vorstoß von Frau Kramp-Karrenbauer ist sachlich richtig. Ein UN-Mandat zur Sicherung eines Waffenstillstandes und zur Trennung der Konfliktparteien in Nordsyrien könnte menschliches Leid verhindern und auch neue Flüchtlingsbewegungen. Das Vorgehen der Verteidigungsministerin innerhalb der Regierung und auch in EU und Nato bleibt aber rätselhaft. Ich hoffe, dass dieser eigenwillige Prozess nicht die richtige Absicht beschädigt. Wir wünschen Frau Kramp-Karrenbauer Fortune.

Die Ministerpräsidenten beraten über eine weitere Föderalismusreform. Braucht es mehr oder weniger Föderalismus?

Lindner: Eine grundlegende Reform der bundesstaatlichen Ordnung ist längst überfällig. Wir brauchen in bestimmten Bereichen mehr Freiheit und mehr Flexibilität. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Länder mehr finanzielle Eigenverantwortung bekommen, etwa bei der Grundsteuer. Wir brauchen aber auch mehr Gemeinsamkeit zwischen den 16 Ländern und dem Bund. Die Sicherheitsarchitektur mit einem Nebeneinander etlicher Landeskriminal- und Verfassungsschutzämter der Länder ist nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen mehr Koordination und eine stärkere Leitstellenfunktion des Bundes. Das ist überfällig. Auch in der Bildung wäre es 2019 sinnvoll, wir hätten zentrale einheitliche Prüfungen und Schulabschlüsse. Das würde die Vergleichbarkeit verbessern.