Innerhalb unserer Verfassungswerte darf jeder sein wie er will

Christian Lindner
Kölner Stadt-Anzeiger

Herr Lindner, vor der Wahl sind Sie auf allen Plakaten, nach der Wahl sind Sie weg – Richtung Berlin und Bundestag. Sehen Sie darin kein Glaubwürdigkeitsproblem?

Lindner: Ganz im Gegenteil. Die enge Verbindung von Landes- und Bundespolitik ergibt sich zum einen aus dem Wahlkalender. Ich will einen Politikwechsel in NRW - und die FDP als Vorsitzender zurück in den Bundestag führen. Und das finden auch unsere Anhänger im Land richtig und wichtig. Zum anderen sind die Interessen Nordrhein-Westfalens in Berlin beklagenswert schlecht vertreten. Frau Kraft hat den Einfluss des Landes im Bund verzwergt. Sie und Herr Laschet haben es nicht geschafft, die für NRW schädliche Pkw-Maut in den eigenen Parteien buchstäblich aus dem Verkehr zu ziehen. Wer in NRW die Freien Demokraten stark macht, sendet ein Signal an die ganze Republik.

Ist es jetzt uncool, auf Plakaten auch mal zu lächeln?

Lindner: Meine Bilder sind Reportage-Motive aus dem Alltag. Ich wollte kein retuschiertes, künstliches Fotoshop-Zeug, wo fünf gecastete Bürger um den Kandidaten herum arrangiert werden und der Fotograf allen sagt, wohin sie schauen sollen. Alle Fotos unserer Kampagne stammen aus meinem Alltag.

Sie kommen immer so ein bisschen verärgert rüber.

Lindner: Ich bin auch verärgert. Ich bin sogar richtig sauer, dass dieses Land so weit hinter seinen Möglichkeiten zurück bleibt  und die rot-grüne Politik die Menschen gängelt, statt sie machen zu lassen. NRW ist ein starkes Land, das leider schwach regiert wird.

Warum bieten Sie den Menschen in Nordrhein-Westfalen auf den Großplakaten als Alternative der FDP dann nur sich selbst an und nicht das Personal, das für Ihre Partei im Land nachher auch die Politik macht?

Lindner: Union und SPD plakatieren ja auch in erster Linie ihre Spitzenkandidaten. Ich will in der Zeit bis zur Bundestagswahl während der Phase der Regierungsbildung in NRW voll handlungsfähig sein.

Um mit Frau Kraft, wenn es rechnerisch reicht, eine SPD/FDP-Regierung zu bilden?

Lindner: Moment. Für mich persönlich gilt, dass es kein noch so schönes Ministeramt in Düsseldorf geben wird, das mich davon abhält, im Bundestag notfalls die Rolle eines einflusslosen Oppositionsabgeordneten wahrzunehmen, der dann aber zumindest dafür sorgt, dass es im Parlament wieder spannende Debatten gibt. Mich hält nichts ab, mein gegebenes Wort zu halten, dass ich ab September meine Arbeit in Berlin fortsetzen werde, wenn die FDP dem Deutschen Bundestag wieder angehört. Zu einer möglichen Regierungsbeteiligung der FDP in NRW: Frau Kraft hat fünf Jahre lang mit den Grünen vorsätzlich das Land gestaut, weil sie nichts für den Verkehr getan hat. Vorsätzlich hat die Regierung von Frau Kraft unser Bildungssystem geschwächt und der Wirtschaft Fesseln angelegt. Mir fehlt die Fantasie, warum sie nach dem 14. Mai eine andere Politikerin sein sollte. Deshalb halte ich die große Koalition für das wahrscheinlichste Ergebnis. Frau Kraft kann die CDU mit Armin Laschet immer billiger einkaufen als uns.

Dabei gelten die „Elefantenhochzeiten“ doch als behäbig. Müssten Sie dann nicht um des Landes willen alles tun, um das zu verhindern?

Lindner: Wir treten in eine Regierung ein, wenn unsere Handschrift im Koalitionsvertrag deutlich wird und wir hinreichend viele unserer Projekte umsetzen können. Ohne politischen Richtungswechsel hingegen wäre es unverantwortlich, sich Ministerbüros und Dienstlimousinen sichern zu wollen. Dann machen wir lieber kraftvolle Oppositionsarbeit. Ich schließe aber, um Ihrer Fantasie ein bisschen auf die Sprünge zu helfen, auch eine schwarz-gelbe Mehrheit nach dem 14. Mai nicht aus, insbesondere wenn eine oder zwei der kleineren Parteien den Sprung in den Landtag verpassen. Oder noch anders: Wenn wir unser Wahlziel erreichen, drittstärkste Kraft im Landtag zu werden, haben wir bestmögliche Chancen, auf die Regierungsbildung Einfluss zu nehmen.

Was wären denn die wichtigsten Projekte, die Sie umsetzen würden?

Lindner: NRW braucht erstens ein „Entfesselungsgesetz“, das alle überzogenen Standards und den ganzen Bürokratismus insbesondere vom Grünen-Umweltminister Johannes Remmel abschafft. Eckpunkte dazu legen wir noch vor der Wahl vor. Zweitens braucht NRW eine andere Schulpolitik, die die Diskriminierung des Gymnasiums und die Vernachlässigung der Berufsschule beendet und für einen Neustart der Inklusion sorgt, mit Qualität statt Ideologie. Und drittens brauchen wir einen Rechtsstaat, der nicht bevormundet, aber handlungsfähig ist und mit einer gut ausgestatteten, gut geführten Polizei zu jeder Zeit die Sicherheit der Menschen garantiert. Um die erforderlichen neuen Stellen besetzen zu können, will die FDP sie wieder für gute Realschüler öffnen. Auch Realschüler können gute Polizisten werden. Es wäre deshalb auch ein Zeichen des Respekts vor Realschülern und ein Signal gegen die Überakademisierung unserer Gesellschaft. Wenn das Abitur aber die Voraussetzung für eine Polizeilaufbahn bleibt, wird die Schließung der Personallücke nicht gelingen.

Woher nehmen Sie das Geld für all ihre Ideen?

Lindner: Aus den enorm gestiegenen Staatseinnahmen, die von Rot-Grün ansonsten folgenlos verpulvert werden. Außerdem aus den Mehreinnahmen an Steuern, die das Land erhält, wenn es der Wirtschaft mehr Wachstum ermöglicht. Und im Bereich Bildung muss NRW die seit sieben Jahren unveränderte Schulpauschale erhöhen und endlich eine Initiative ergreifen, unseren völlig verkorksten Bildungsföderalismus zu reformieren. Es muss dem Bund möglich sein, die Bildung in den Ländern als gesamtstaatliche Aufgabe mitzufinanzieren. Es kann nicht sein, dass Berlin Schulen in Burundi und Botswana finanzieren darf, aber nicht in Bochum, Bonn und Bergisch Gladbach.

Selbst im Wahlkampf reden Sie von Armin Laschet als Ihrem Freund. Wie stehen Sie persönlich zu Hannelore Kraft?

Lindner: Ich habe in einem Magazin gelesen, Frau Kraft betrachte mich als Heimsuchung. Aber ich habe ein professionelles Verhältnis zur Ministerpräsidentin und weiß zu schätzen, wie sie bei schrecklichen Ereignissen angemessene, tröstende Worte findet. Das ist ihre Stärke. Ihre Schwäche ist, dass sie nicht wirklich regiert, das Land abdriften lässt und den Grünen freie Hand gegeben hat, ihre Vorstellungen von einem Freilichtmuseum Nordrhein-Westfalen zu verwirklichen.

Umfragen zeigen einen Zusammenhang mit einem gestiegenen Gefühl der Angst vor Kriminalität und einem Zulauf zur AfD. Wie gehen Sie mit dieser neuen Konkurrenz von Rechts um?

Lindner: Wir sind der schärfste Kontrast zur AfD. Zwischen SPD und CDU wird entschieden, wer den Ministerpräsidenten stellt. Zwischen AfD und FDP wird entschieden, wie liberal dieses Land sein wird. Die AfD ist anti-liberal. Sie ist eine autoritäre Partei, die den Menschen sagt: Wer nicht unserer Vorstellung vom richtigen, guten Leben entspricht, der gehört nicht zum deutschen Volk. Die AfD will gesellschaftspolitisch zurück ins Deutschland der 1950er Jahre oder noch früherer Epochen. Wir haben es ja politisch insgesamt mit drei Polen zu tun. Die AfD mit einer „Agenda 1955“. Dann die SPD, die mit einer „Agenda 1995“ zurück zum Wohlfahrtsstaat alter Prägung will. Und die CDU würde gern den Status Quo erhalten, „Agenda 2010“. Die CDU will immerhin nichts, die SPD ja zurück. Und dann gibt es eine Gruppe mit einer „Agenda 2030“, die nach vorn will, dem Land etwas zutraut und den Menschen sagt, „ihr könnt Großartiges leisten“ …

… und das sind die Grünen?

Lindner: Nein, das ist die FDP.

Ach so, wer hätte das gedacht! Haben Sie, Herr Lindner, mit Ihrer Scharfzüngigkeit denn Sinn dafür, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière sich mit seinem Thesenpapier zur Leitkultur auf die Suche nach dem Verbindenden macht, nach dem, was die Gesellschaft zusammenhält?

Lindner: Ich finde das Bekenntnis zur Werteordnung unseres Grundgesetzes mit Freiheit und Würde des Einzelnen elementar. Unsere gelebte Liberalität macht unser Land aus. Leistungsfreude, Offenheit für Technologie und Fortschritt, Stolz auf das, was wir erreicht haben – nicht durch Herabsetzung anderer, sondern eingebunden in europäische und globale Bündnisse.

Eine „Leitkultur“…

Lindner: … macht sich jedenfalls nicht an Opernhaus, Oktoberfest und Sauerkraut fest. Innerhalb unserer Verfassungswerte darf jeder sein wie er will, egal ob er abends lieber im Koran oder im Kriminalroman liest. Aber der beste Beitrag der Politik zu unserer „Verfassungskultur“ ist es, Menschen die Angst vor Bedrohungen unserer Werteordnung zu nehmen.  

Das heißt konkret?

Lindner: Ich erwarte mir etwa eine Politik der Selbstbehauptung Deutschlands gegenüber der Türkei. Schon vor dem Verfassungsreferendum hätte die Bundesregierung deutlicher machen müssen, dass wir den Weg zu einem Präsidialsystem in Deutschland nicht durch Auftritte türkischer Politiker bewerben lassen. Sollte das Regime Erdogan über die Einführung der Todesstrafe und die Strangulierung bürgerlicher Freiheiten abstimmen lassen wollen, darf in Deutschland kein einziges Wahllokal geöffnet und keine einzige Urne dafür aufgestellt wird. Jetzt müsste sich die Bundesregierung an die Spitze der Bewegung für ein Ende der EU-Beitrittsverhandlungen setzen. So zeigt man, dass man seine Werte nicht einfach lasch zur Disposition stellt, sobald es irgendwie unbequem wird. Zumal das am Ende ja auch nichts bringt. Die Türkei-Politik der Bundesregierung ist jedenfalls completto gescheitert.