Gesellschaftlichen Wohlstand und soziale Sicherheit erhalten wir nur durch Marktwirtschaft

Christian Lindner Haushalt
Handelsblatt

Lesedauer: 5 Minuten

 

Herr Minister, der Wohlstand in der Welt wird neu verteilt, und Deutschland rutscht in allen Wirtschaftsrankings ins untere Drittel ab. Müssen sich die Bürgerinnen und Bürger auf einen Wohlstandverlust einstellen?

Lindner: Das haben wir in der Hand. Ich merke bei Gesprächen im Ausland, dass die Marke Deutschland stark ist. Die Wertschätzung für deutsche Technologie ist nach wie vor hoch. Aber es gibt Skepsis, warum wir uns m den vergangenen Jahren zunehmend selbst gefesselt haben. Wir haben das Potenzial für die Champions League, aber wir können schnell in der zweiten Liga landen.

Bundeskanzler Olaf Scholz spricht von grünen Wirtschaftswunderjahren, die bevorstünden. Woher kommen diese unterschiedlichen Einschätzungen innerhalb der Bundesregierung?

Lindner: Der Kanzler beschreibt ein Ziel, das ich teile. Der Fortschritt hin zu sauberen Technologien ist eine Wachstumschance. Aber diese Chance ergreifen wir nicht, wenn wir mehr über die Viertagewoche und neue Subventionen philosophieren als über unsere Wettbewerbsfähigkeit. Es muss sich vieles fundamental gegenüber dem ändern, wie die letzten zehn Jahre Politik gemacht wurde.

Warum streitet die Bundesregierung dann monatelang über Wärmepumpen?

​​​​​​​Lindner: Ihr Eindruck ist falsch. Zum einen war es notwendig, das Heizungsgesetz technologieoffen, wirtschaftlich vernünftig und physikalisch machbar zu gestalten. Zum anderen haben wir bereits viele Vorhaben auf den Weg gebracht, die unseren Standort stärken, beispielsweise gerade erst das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, die Planungsbeschleunigung und das Klimaschutzgesetz. Gerade das letzte ist wichtig, weil wir durch einen marktwirtschaftlichen Ansatz die CO2-Vermeidungskosten reduzieren können. Trotzdem fließen nirgendwo Direktinvestitionen so stark ab wie aus Deutschland. Ja, dieser Trend hält länger schon an. Nicht nur die Bundeswehr wurde lange vernachlässigt, auch die Standortqualität Deutschlands. Die Bundesregierung muss ihr Tempo und ihre Ambitionen verstärken. Nach zehn Jahren geht es um eine Trendumkehr, vom Verteilen hin zum Erwirtschaften des Wohlstands. Im Bereich der Energieversorgung brauchen wir etwa mehr Kapazität und ideologiefreie Offenheit für Importe von Wasserstoff. Internationale Investoren beobachten genau wie die deutschen Familienbetriebe die Richtung des Landes. Die fragen, ob wir den Weg zur staatlich subventionierten Zentralverwaltungswirtschaft gehen oder die Marktwirtschaft erneuern.

Und was antworten Sie?

​​​​​​​Lindner: Gesellschaftlichen Wohlstand und soziale Sicherheit erhalten wir nur durch Marktwirtschaft. Wir müssen alles, was wir an Köpfen, an Kapital und Know-how haben, in die Waagschale werfen, um wieder vorn mitzuspielen.

Was tut denn der Finanzminister, um die Wirtschaft zu stärken?

​​​​​​​Lindner: Erstens bekämpft er die Inflation, indem er die expansive Ausgabenpolitik beendet hat. Zweitens verhindert er Steuererhöhungen - im Gegenteil haben wir mit dem Inflationsausgleichsgesetz in der ganzen Breite der Gesellschaft Kaufkraft gesichert. Drittens brauchen wir nun Wachstumsimpulse. Das Zukunftsfinanzierungsgesetz mit Reformen für den Kapitalmarkt und die Start-ups geht in Kürze an den Bundestag. Im Sommer wird ein Steuerreformgesetz folgen. Das wird beispielsweise eine Investitionsprämie einführen, die Anreize für technologischen Klimaschutz setzt. Zudem will ich die Forschungsförderung ausweiten und bürokratische Lasten reduzieren.

Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft sagen, das werde nur eine Mini-Reform.

​​​​​​​Lindner: Es geht um gezielte Anreize. Außerdem wird die Investitionsprämie erst einmal im Steuerrecht eingeführt. Selbst wenn wir da kleiner starten, soll sie ausgebaut werden. Wenn es allerdings nur nach mir ginge, würde die Wirtschaft sofort vom Solidaritätszuschlag befreit. Das wäre der schnellste Weg, um im steuerlichen Bereich Standortnachteile zu schließen. Dafür gibt es momentan keine Mehrheit.

Woher soll denn nun plötzlich Geld für Ihre Steuerentlastungen kommen?

​​​​​​​Lindner: Der Staat verfügt über enorme Einnahmen. Es geht um die Verschiebung der Prioritäten.

Bis zuletzt wurde in der Koalition um den Haushalt gerungen. Wird das Kabinett den Etatentwurf am Mittwoch verabschieden?

​​​​​​​Lindner: Natürlich. Im Übrigen stehen die Eckpunkte des Haushaltsentwurfs bereits seit Ende Mai fest.

Wie bitte? Warum musste Bundeskanzler Scholz sich dann einmischen und mit Ihnen gemeinsam Haushaltsgespräche führen?

​​​​​​​Lindner: Der Kanzler musste sich nicht einmischen. Im Gegenteil habe ich bereits bei Vorlage der Zahlen angekündigt, dass ich auf Wunsch die Ausgabenobergrenzen erläutere, aber den Bundeskanzler dazubitte. Mir war wichtig, dass durch die Anwesenheit des Kanzlers klar wird, dass es wirklich keine grundlegenden Veränderungen geben konnte.

Alle Ministerien haben Ausgabengrenzen akzeptiert?

​​​​​​​Lindner: Ja. Es gab nur technische Veränderungen, und teilweise haben die Häuser sich gegenseitig geholfen.

Sie wollten die Programme zur regionalen Wirtschaftsförderung um 600 Millionen Euro kürzen. Nun werden nur 300 Millionen gestrichen. Das klingt schon wie ein Zugeständnis an Landwirtschaftsminister Cem Özdemir.

​​​​​​​Lindner: Natürlich haben die Ministerien die Freiheit, m eigener Zuständigkeit Alternativen vorzuschlagen. Beispielsweise ist das beim Kollegen Cem Özdemir erfolgt. Sein Ministerium hat mir mitgeteilt, dass man dort jetzt die Streichung der Agrardieselbeihilfe für die Deckung langfristiger Ausgaben prüft. Er sollte aber genau erwägen, ob man die Haushalte der Länder dadurch entlasten sollte, dass man die landwirtschaftlichen Betriebe belastet. Das ist auch eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit.

Trotz solcher Änderungen ist das Haushaltsloch von 20 Milliarden aber geschlossen?

​​​​​​​Lindner: Ja.

Werden die Haushaltsverhandlungen in Zukunft ähnlich schwer wie in diesem Jahr?

​​​​​​​Lindner: Das wird schwer bleiben. Mit dem Haushaltsentwurf 2024 ist uns ein weiterer Schritt zur quantitativen Konsolidierung gelungen: Wir halten also die Schuldenbremse ein, schaffen Sondervermögen ab, beenden das Wirtschaften mir Rücklagen. Danach beginnt die qualitative Konsolidierung: Trotz steigender Verteidigungsausgaben, hoher Belastungen durch Zinsaufwendungen und Sozialausgaben muss es uns gelingen, den Haushalt stärker auf Bildung, Innovation, Investitionen und Wachstumsimpulse auszurichten.

Wissen die anderen Kabinettsmitglieder, dass sie auch in Zukunft sparen müssen?

​​​​​​​Lindner: Ich weise einen Handlungsbedarf in der Finanzplanung aus, damit niemand die Größe der Herausforderung übersehen kann.

Ist die Finanzierung der Kindergrundsicherung ab 2025 geregelt?

​​​​​​​Lindner: Als Merkposten haben wir für 2025 zwei Milliarden Euro veranschlagt. Es gibt aber noch kein Konzept der Bundesregierung und damit keine präzise Kostenschätzung.

Aber die Kindergrundsicherung ist verabredet.

​​​​​​​Lindner: Im Sommer werden wir uns auf einen Gesetzentwurf verständigen. Es gibt aber nicht nur die Kindergrundsicherung als verabredetes Vorhaben. Es gibt auch beispielsweise die schon erwähnte Investitionsprämie. Es wäre politisch nicht vertretbar, alle finanziellen Möglichkeiten nur für ein Vorhaben einzusetzen. Über die Proportionen der einzelnen Projekte muss noch politische Einigkeit erzielt werden. Wir müssen uns ohnehin erst Spielräume erarbeiten.

Was bedeutet "erarbeiten"?

​​​​​​​Lindner: Wer etwas Neues finanzieren will, muss sagen, woher das Geld kommen soll - sprich, was nicht mehr finanziert werden soll.

Ihre Koalitionspartner können sich auch Steuererhöhungen vorstellen.

​​​​​​​Lindner: Die sind ausgeschlossen. Sie würden die wirtschaftliche Entwicklung beschädigen. Ich wundere mich, dass jetzt auch die CDU damit liebäugelt. Wie wäre es, wir verzichten auf einige Subventionen oder machen unseren Sozialstaat treffsicherer, statt immer mehr an Ausgaben draufzusatteln? Es gibt im Übrigen auch einen Zusammenhang zwischen Kindergrundsicherung und einer Steuerreform.

Und welchen?

​​​​​​​Lindner: ​​​​​​​Die Steuerreform kostet Geld, fördert aber das Wachstum. Sie ist Voraussetzung dafür, dass wir uns Dinge wie die Kindergrundsicherung überhaupt dauerhaft leisten können. Insofern stehen diese Vorhaben nicht gegeneinander, sondern das eine baut auf dem anderen auf.