Deutschland muss sich entscheiden, ob es wieder vorne in der Welt mitspielen will

Christian Lindner Wachstumschancengesetz
Funke Mediengruppe

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Freuen Sie sich auf den Sommerurlaub, Herr Lindner?

Lindner: Ja, ich freue mich auf Zeit mit meiner Frau und mit Freunden. Aber für nach dem Urlaub habe ich mir viel vorgenommen. Wir wollen das Generationenkapital als Element unserer Aktienrente umsetzen. Mit dem Haushalt 2024 sichern wir die Schuldenbremse und bekämpfen die Inflation. Mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz und dem Wachstumschancengesetz will ich die Wirtschaftskraft stärken. Umso schöner ist es, vorher Abstand zu gewinnen.

Wo geht es hin?

Lindner: Wir haben ein paar Stationen, die wir zu Lande, zu Wasser und in der Luft abklappern. Am Wochenende geht es los mit einem Besuch bei Freunden am Niederrhein.

Wie aufreibend waren die ersten beiden Ampel-Jahre?

Lindner: Uns beschäftigte weniger die Koalition und mehr die Energiekrise, die vom russischen Angriff auf die Ukraine ausging. Vergangenes Jahr wurden Strukturbrüche der Wirtschaft und Existenzverluste befürchtet. Das konnten wir abwenden. Aber wir befinden uns in einer neuen Realität. Wir stehen an einer Weggabelung: Wenn wir weitermachen wie die letzten zehn Jahre, dann werden wir den schleichenden Abstieg unseres Landes erleben. Oder wir entscheiden uns, wieder vorne in der Welt mitspielen zu wollen. Dann müssen wir alles unternehmen, was Wachstum und Innovation ermöglicht. Und alles an Bürokratismus unterlassen, was uns bremst.

Das Ansehen der Regierungsparteien könnte kaum schlechter sein – und die AfD ist in den Umfragen zur zweitstärksten Kraft aufgestiegen.

Lindner: Die Zeiten sind herausfordernd. Auch deshalb haben wir es mit einer starken Polarisierung zu tun. Vor allem die Grünen können davon berichten. Wir müssen nüchtern die Sachprobleme lösen, mit denen die AfD mobilisiert. Die Migrationspolitik ändert sich gerade fundamental. Die Bundesregierung macht es leichter, in den Arbeitsmarkt einzuwandern, aber schwerer, irregulär unseren Sozialstaat zu nutzen. Auch das Heizungsgesetz wurde um 180 Grad gewendet.

Das Heizungsgesetz ist zum Fiasko geraten – auch mit Zutun der FDP. Sie haben dem Gesetz im Kabinett zugestimmt, um es dann im Parlament zu bekämpfen.

Lindner: Die FDP wurde gebeten, formal im Kabinett den Weg frei zu machen für die Parlamentsberatungen. Eine inhaltliche Zustimmung war damit gerade nicht verbunden. Da auch bei Ihnen offenbar da ein Missverständnis bestand, räume ich selbstkritisch ein, dass ich ein solches Verfahren nicht wiederholen werde. Weiterleitung an das Parlament künftig also nur, wenn alle inhaltlichen Zweifel ausgeräumt sind.

Die Union reicht Ihnen die Hand zum überparteilichen Heizungskonsens. Eine neue Chance, das Gesetz besser zu machen?

Lindner: Das Heizungsgesetz ist jetzt so verändert und verbessert, dass die Union ihm zustimmen könnte. Die FDP ist in Fragen der Wirtschaftlichkeit und einer rationalen Klimapolitik ja noch kritischer als CDU und CSU. Und wir werden nun zustimmen. Denn das Gesetz ist nun technologieoffen, abgestimmt mit der kommunalen Wärmeplanung, es vermeidet unsinnige Vorgaben und die erwogenen Verbote gibt es ebenfalls nicht mehr.

Der Staat soll bis zu 70 Prozent einer neuen Heizung zahlen. Ist dafür genug Geld da?

Lindner: Im Klima- und Transformationsfonds stehen die Mittel bereit.

Aus diesem Topf wollten Sie das Klimageld finanzieren, die Ausgleichszahlung für den CO2-Preis…

Lindner: Ja, das Klimageld wird langfristig aus den Einnahmen aus dem CO2-Preis finanziert, die in den Klima- und Transformationsfonds fließen. Mein Ministerium arbeitet intensiv an der technischen Umsetzung. Wir verbinden die Steuer-Identifikationsnummer mit einer IBAN-Bankverbindung, so dass wir eine Pro-Kopf-Auszahlung vornehmen können. Ab Ende des kommenden Jahres soll das gehen. Allerdings steht dann noch kein Geld zur Verfügung, weil die Mittel von Kabinettskollegen noch für Subventionen vorgesehen sind.

Sie zielen auf Wirtschaftsminister Habeck.

Lindner: Nicht allein, aber Subventionen werden überwiegend vom Wirtschaftsministerium bewilligt.

Wird es also kein Klimageld geben?

Lindner: Die FDP hatte es im Wahlprogramm. Unverändert halte ich es für eine gute Idee, die Klimaneutralität über das marktwirtschaftliche Instrument des CO2-Preises zu erreichen. Und den sozialen Ausgleich dadurch sicherzustellen, dass die entsprechenden Einnahmen an die Bürgerinnen und Bürger zurückgehen. Dafür müssen wir aber nach und nach raus aus dem Subventionsregime.

Arbeitsminister Heil hat früh für eine soziale Staffelung beim Klimageld plädiert. Ist das vom Tisch?

Lindner: Das war seine persönliche Idee. Der Koalitionsvertrag sieht eine Auszahlung pro Kopf vor. Wer einen unterdurchschnittlichen CO2-Fußabdruck hat, profitiert. Wer mehr verbraucht, zahlt drauf. Für das Protokoll, wir können in diesem Interview nicht nur über das Verteilen sprechen. Wir müssen erst die wirtschaftlichen Grundlagen schaffen, bevor wir Geld verteilen können. Deutschland hat an wirtschaftlicher Stärke und Wettbewerbsfähigkeit verloren. Der Arbeitsmarkt wird schwächer, wir haben Rezession und Inflation.

Also was wollen Sie tun?

Lindner: Wir müssen an allen Stellschrauben drehen – von der Fachkräfteeinwanderung über die Digitalisierung der Verwaltung bis zu steuerlichen Anreizen für Investitionen und Forschung. Diskussionen über die Vier-Tage-Woche werden uns nicht dabei helfen, dass wir unser soziales Niveau und unsere Umweltstandards dauerhaft finanzieren können.

Ökonomen verlangen, dem Fachkräftemangel mit längeren Arbeitszeiten zu begegnen. Unterstützen Sie das?

Lindner: Das kommt darauf an, was gemeint ist. Ungewollte Teilzeit sollten wir überwinden durch bessere Kinderbetreuung. Und warum setzen wir nicht Anreize, damit Menschen länger arbeiten wollen – statt die Rente mit 63 zu finanzieren? Die ist eine Stilllegungsprämie für qualifizierte Beschäftigte. Darüber hinaus gibt es Millionen Menschen, die dem Arbeitsmarkt theoretisch zur Verfügung stehen, aber von Sozialleistungen leben. Wir müssen diese Menschen aktivieren, dass sie mindestens mit einem Mini- oder Midi-Job in den Arbeitsmarkt eintreten.

Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft schlägt vor, die Wochenarbeitszeit zu verlängern oder den Urlaub zu verkürzen.

Lindner: Das ist Sache der Tarifpartner.

Der Arbeitgeberverband BDA fordert nicht nur längere Arbeitszeiten, sondern auch „mehr Bock auf Arbeit“, gerade bei Jüngeren. Sehen Sie da ein Defizit?

Lindner: Die Pauschalierung ist falsch. Auch unter Jüngeren haben wir viele, die wirtschaftlich vorankommen wollen und Lust auf Leistung haben.

Wenn Sie aussteigen wollen aus dem dauerhaften Verteilen: Warum fangen Sie ausgerechnet bei den Kindern an, während Sie für Unternehmen die Steuern senken?
 

Lindner: Der Eindruck stimmt nicht.

Sie haben für die Kindergrundsicherung zwei Milliarden Euro veranschlagt und nicht zwölf, wie von Familienministerin Paus gefordert. Und mit dem Wachstumschancengesetz planen Sie Steuererleichterungen für sechs Milliarden Euro vor allem für Unternehmen.

Lindner: Bei Familien, Kindern und Bildung wird nicht gespart. Im Gegenteil: Wir stellen Rekordmittel bereit. Meine Fachleute haben angesichts der öffentlichen Debatte ermittelt, dass die familienpolitischen Leistungen des Bundes verglichen mit 2019 von uns mit 18,4 Milliarden Euro mehr finanziert werden. Ich nenne zum Beispiel die Erhöhung des Kindergelds auf 250 Euro. Aber in der Tat, erst eine funktionierende Wirtschaft macht die neue Kindergrundsicherung nachhaltig finanzierbar. Deshalb müssen wir jetzt unter anderem mit dem Wachstumschancengesetz Impulse geben für Investitionen und Forschung.

Bedeutet für die Kindergrundsicherung?

Lindner: Bevor wir ein Preisschild an die Kindergrundsicherung machen, sollten wir fragen, was wir eigentlich brauchen, um die Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Die Hälfte der Kinder, die heute von Kinderarmut betroffen sind, kommt nach meinen Zahlen aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte. Hilft da wirklich mehr Geld auf das Konto der Eltern oder sollten wir mehr tun für Sprachförderung und Arbeitsmarktzugang der Erwachsenen und für die Schulen der Kinder? Der finanzielle Anreiz zur Arbeitsaufnahme darf auch nicht verloren gehen.

Die Familienministerin kann vergessen, dass sie mehr Geld bekommt.

Lindner: Erst kommt die Diskussion in der Sache, dann das Geld. Aber als Finanzminister sage ich: Wer mehr Geld fordert, muss auch sagen, wo es herkommt. Für den Haushalt 2025 haben wir ohnehin noch ein Defizit von 5 Milliarden Euro zu schließen. Mit dem Auslaufen des Sonderprogramms für die Bundeswehr wird es noch enger.

Ihre Sparvorgaben haben die Familienministerin veranlasst, beim Elterngeld zu kürzen – und Gutverdienende von der Empfängerliste zu strichen. Haben Sie eine bessere Idee?

Lindner: Die dynamische Steigerung der Ausgaben für das Elterngeld muss gebremst werden. Wie die Kollegin der Grünen das umsetzt, ist ihre Ressortfreiheit. Es gäbe nicht nur die harte Einkommenskappung. Man könnte auch an Stellschrauben wie beispielsweise an der gleichzeitigen Inanspruchnahme von Elterngeld durch beide Elternteile drehen. Oder von anderen Stellen im eigenen Etat umschichten.

Was soll aus dem Ehegattensplitting werden? Der Koalitionsvertrag sieht eine Reform vor.

Lindner: Nein, das sieht er ausdrücklich nicht. Wenn die Ehegatten 2.500 und 1.000 Euro im Monat verdienen, dann würde ohne Splitting die gemeinsame Steuerschuld um 50 Prozent steigen. Das sind hunderte Euro im Jahr. Das ist nicht fair und hilft auch nicht der Gleichstellung. Die Familienkasse soll belastet werden, damit Frauen mehr arbeiten? Ich glaube, die Verbesserung der Kinderbetreuung ist der bessere Weg. Was wir allerdings umsetzen, das ist die Ersetzung der Steuerklassen III und V durch das Faktorverfahren der Steuerklasse IV. Das verteilt die Steuerschuld gerechter auf beide Partner. Aber das IT-Verfahren der Länder wird dann noch einige Jahre brauchen.

Jahre?

Lindner: Ja. Die Gesetzgebung geht schnell, die Umsetzung in der IT der Länderfinanzverwaltung dauert Jahre. Dieses gehört bedauerlicherweise auch zum Status quo unseres Landes, der sich ändern muss.

Klingt, als würden Sie den Koalitionsvertrag am liebsten umschreiben für den Rest der Wahlperiode.

Lindner: Nein, der Koalitionsvertrag ist eine Orientierungshilfe. Aber Dinge wie die notwendige Entscheidung, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, sind da nicht enthalten. Daher und wegen der massiv gestiegenen Zinsausgaben hat sich die Finanzlage des Bundes grundlegend geändert. Darauf muss ich reagieren.

Wie?

Lindner: Wir haben keinen Spielraum für strukturelle Mehrausgaben, die nicht gegenfinanziert sind. Wir müssen uns jetzt wirklich darauf konzentrieren, die Staatseinnahmen zu erhöhen durch wirtschaftliches Wachstum – und alles unterlassen, was Wachstum bremst. Sonst haben wir keine Chance, diesen Sozialstaat zu finanzieren, keine Chance für ökologische Investitionen – und das Nato-Ziel von zwei Prozent wäre illusorisch.

Wäre es Ihnen lieber, diese Herausforderung in einer Koalition mit der Union anzunehmen?

Lindner: Die Rahmenbedingungen wären dieselben – und die Antworten mindestens ähnlich.

Ist Ihnen gleich, wer Kanzlerkandidat der Union wird?

Lindner: Ich habe mit vielen in der Union ein gutes persönliches Verhältnis. Es ist übrigens ein interessantes Signal, dass Friedrich Merz jetzt Carsten Linnemann zum Generalsekretär gemacht und die Grünen zum Hauptgegner erklärt hat. Der Kurs der CDU ist trotzdem noch etwas rätselhaft, weil sie mit diesen Entscheidungen nach rechts blinkt, aber dennoch durch den Flirt mit Steuererhöhungen nach links rückt.

Wie wahrscheinlich ist eine Neuauflage der Ampel?

Lindner: Die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Ich bin sicher, dass die Frage des wirtschaftlichen Erfolgs unseres Landes dabei eine große Rolle spielen wird. Die FDP geht jedenfalls eigenständig in alle Wahlen. Und wenn wir gefragt werden, entscheiden wir über Koalitionen auf der Basis von inhaltlichen Projekten.