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Vor kurzem war im politischen Berlin etwas zu beobachten, was man sehr lange nicht gesehen hatte: Reformvorschläge der CDU zur Rentenpolitik. Ein Papier mit Gedankenspielen einer Arbeitsgruppe hatte den Weg in die Presse gefunden. Leider hätten sich einige der Kernforderungen auch in einem Dokument der SPD, der Grünen oder gar der Linkspartei finden können. Kaum zu glauben? Ist aber so. Zwangsmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung für alle; Ausdehnung der Beitragspflicht auf sämtliche Einkünfte; Anhebung, wenn nicht gar Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze oder auch ein neuer, allein arbeitgeberfinanzierter Pflichtzuschuss zur gesetzlichen Rente bei Beschäftigten mit niedrigeren Einkommen. Alles Forderungen, die auch Dietmar Bartsch, Saskia Esken oder Robert Habeck einleuchten.

Zu viele sitzen in der Union offenbar einem Denkfehler auf, den auch SPD, Grüne und Linke mit Inbrunst pflegen: Steigerte man nur irgendwie die Zahl der Beitragszahler in die Rente, würde wie durch Zauberhand alles gut. Das ist schlicht falsch. Die Ausweitung der Einzahler im Rentensystem löst kein demographisches Problem. Wenn schon nicht den Experten der CDU, Milchmädchen und -buben erschließt sich die Rechnung sofort: Mehr Einzahler bedeuten auch mehr Empfänger. Wenn zudem noch bestens funktionierende, kapitalgedeckte Versorgungswerke der freien Berufe abgewickelt würden, würde dies das Problem sogar noch verschärfen – ein völlig falscher Weg. Sollten Einzahlungen ins gesetzliche Rentensystem hingegen keine Ansprüche mehr entgegengestellt werden, wäre das mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Recht verfassungswidrig. Vor allem aber wäre dieser Anschlag auf das Äquivalenzprinzip auch zutiefst unfair.

Nun könnte man die Vorschläge als belanglose Ideensammlung einer Arbeitsgruppe abtun. Aber niemand sollte sich täuschen: Schon die aktuelle Regierungskoalition hat – wie schon in der vorhergehenden Legislaturperiode – ein Rentenpaket geschnürt, das mit Milliarden und Abermilliarden vollgestopft wurde, die der Staat gar nicht hat. Die Union hat hier gegenüber der SPD nicht nur kein rentenpolitisches Rückgrat bewiesen, oft kamen die Vorschläge sogar von ihr selbst, vor allem aus Bayern. Große Teile der demographischen Stabilisierungspolitik der 2000er Jahre wurden effektiv rückabgewickelt, obwohl diese einmal im parteiübergreifenden Grundkonsens beschlossen wurden.

Schwarz-Grün würde das alles noch schlimmer machen, denn in der Sozialpolitik sind die Grünen von SPD oder Linken leider meist kaum zu unterscheiden. Sie alle handeln wie Gäste, die im Restaurant vom Tisch aufstehen, um dem nächsten Gast die offene Rechnung zu hinterlassen. Das aktuellste Beispiel einer Rentenpolitik, die nicht mehr an morgen denkt, ist die unverantwortliche Suspendierung des sogenannten Nachholfaktors in der Rente durch Union und SPD. Dieser soll sicherstellen, dass sich Löhne und Renten auch in Krisenzeiten langfristig im Gleichschritt bewegen und Lasten fair zwischen den Generationen verteilt werden. Jetzt, wo diese Frage akut wird, haben wir Freien Demokraten die Wiedereinführung des Nachholfaktors im Bundestag beantragt – dies wurde nun von allen anderen im Parlament vertretenen Fraktionen im Ausschuss für Arbeit und Soziales abgelehnt.

Fatal ist, dass diese Politik eine der größten Hürden darstellt, wenn wir uns im kommenden Jahrzehnt daranmachen müssen, die beispiellosen wirtschaftlichen Folgen von Corona zu überwinden. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen ab 2025 in Rente, die Demographie setzt die Finanzen der Rentenversicherung also ohnehin unter Druck. Und die Politik der Regierung untergräbt auch noch aktiv ihr Fundament. Im Jahre 2035 würden – nach Berechnungen eines Vertreters der regierungseigenen Rentenkommission – allein durch das Rentenpaket der Koalition, welches auch die Grünen unterstützt haben, mehr als 80 Milliarden Euro zusätzlich benötigt. Jahr für Jahr! Und schon heute liegt der Rentenbeitrag durch die politischen Entscheidungen der letzten Jahre um rund einen Beitragssatzpunkt höher, als er müsste. Das sind rund 12 Milliarden Euro zusätzliche Kosten pro Jahr, die den Faktor Arbeit in Deutschland belasten – und die gerade Geringverdienern als Einkommen oder für eine kapitalgedeckte Altersvorsorge schmerzhaft fehlen. Das angebliche Versprechen von maximal 40 Prozent Sozialversicherungsbeiträgen kann auf diese Weise niemals gehalten werden.

Aber noch ist es nicht gänzlich zu spät für eine moderne Alterssicherungspolitik, die ein auskömmliches Leben im Ruhestand, zielgenaue Bekämpfung von Altersarmut und finanzielle Nachhaltigkeit verbindet. Noch gibt es ein kleines Zeitfenster, in dem zukunftssichernde Reformen möglich sind, ohne dass akute Finanznöte zu harten, schnellen und damit womöglich ungerechten Einschnitten führen. Was sollte passieren? Zentrale Aufgabe muss es sein, dass endlich nicht mehr Politiker entscheiden, wann die Menschen in Rente gehen. Das starre Renteneintrittsalter ist eine Erfindung Bismarcks, und der ist seit 122 Jahren tot. Wir brauchen stattdessen einen flexiblen Renteneintritt nach schwedischem Vorbild. Das sorgt zum einen für mehr finanzielle Stabilität, weil das dortige System samt Selbstbestimmung über den Renteneintritt und der unkomplizierten Verbindung von (Teil-)Renten und Erwerbstätigkeit im Alter dazu führt, dass die Menschen faktisch länger im Beruf bleiben. In Schweden gehen sie sogar später in Rente als im gesamten Rest Europas. Zum anderen passt ein wirklich flexibler Renteneintritt auch zu vielfältigeren Lebensläufen. Exakt das schlagen wir auch für Deutschland vor.

Neben dieser zentralen Stellschraube muss angesichts der Demographie die deutsche Altersvorsorge aber auch die Chancen der kapitalgedeckten Vorsorge noch deutlich intensiver nutzen. Sie muss einfacher, verbraucherfreundlicher und vor allem aktienorientierter werden. Andere Länder mit demographiefesten Rentensystemen, zum Beispiel die Niederlande, die Schweiz oder auch Schweden, gehen aus guten Gründen genau diesen Weg. Zum Beispiel mit einem Altersvorsorgedepot ohne engen Versicherungsmantel kämen wir hier endlich voran. Dort könnte man das Beste aus Riester-Rente (Zulagen-Förderung), Rürup-Rente (steuerliche Förderung) und dem amerikanischen 401k (Flexibilität und Rendite-Chancen) vereinen. Wenn wir es dann auch noch Menschen, die zwischen Anstellung, Selbständigkeit und Gründung hin und her wechseln wollen, ermöglichen, ihre jeweiligen Rentenansprüche aus allen Vorsorgeformen immer und unkompliziert mitnehmen zu können, schaffen wir ein echtes Baukastensystem für die Rente.

Schließlich muss ein für alle Mal zielgerichtet gegen Altersarmut vorgegangen werden. Das gelingt mit unserem Vorschlag der Basisrente, die anders als der Etikettenschwindel der sogenannten „Grundrente“ wirklich diejenigen Menschen aus der Grundsicherung holt, die im Alter nicht mehr haben als diese, obwohl sie gearbeitet und eingezahlt haben. Wer beherzt an diesen drei Stellschrauben dreht, sorgt für höheres Einkommen im Alter und kann zugleich einen tragfähigen Rentenbeitragssatz garantieren – und damit ein Rentensystem, auf das sich alle Generationen verlassen können. Die Freien Demokraten glauben daran und wollen die Hoffnung auf Verbündete nicht aufgeben. Auch wenn die CDU einem Liberalen dies aktuell nun wirklich nicht leichtmacht.