Wir wollen gewählt werden, weil wir ein gutes Programm haben

Christian Lindner
Abendzeitung München

Willkommen! Schön, dass Sie sich nach München getraut haben, die Stadt, in der Ihr Namensvetter Patrick Lindner sicher ähnlich populär ist wie Christian Lindner.

Lindner: Ich singe heute ja ausnahmsweise mal nicht.

Mögen Sie Schlager?

Lindner: Nein! Ich bin überhaupt kein Schlagerfan. Das heißt mit einer Ausnahme: Als Gregor Gysi vor einigen Wochen Ritter im Aachener Karneval wurde, hat man mich gebeten, bei der Veranstaltung mitzuwirken. Da kam meine Frau auf die Idee, dass ich – statt immer nur zu reden – mal singen sollte. Das hab ich dann getan.

Welchen Song?

Lindner: Natürlich „Hurra, wir leben noch“ von Milva. Sie sehen: Ich bin zwar kein guter, dafür aber ein mutiger Sänger.

Respekt. Nun zur Politik: Kommen Sie heute Abend zum Derblecken am Nockherberg?

Lindner: Ich bin zwar eingeladen, aber nein, das wird nicht klappen. Ich muss zurück nach NRW. Dort ist ganz bald Landtagswahl (Termin ist der 14. Mai, d. Red.), dort spielt die Musik. Ich habe jeden Tag drei, vier Veranstaltungen, jeweils vor 200 bis 500 Zuhörern. Wir graben dort das Land um bis zur Rede in Ibbenbüren in der umgebauten Scheune bei der Kneipe.

Und was sagen Ihnen die Menschen in der Scheune?

Lindner: Dass in diesem Land zu viel über Flüchtlinge und Superreiche gesprochen wird. Die Menschen – und zwar alle von der Bäckerei-Fachverkäuferin bis zum Ingenieur – haben andere Sorgen: Wer kümmert sich um meine Schlaglöcher und Funklöcher, die Schule meiner Kinder, die Pflege meiner Eltern und mein wirtschaftliches Vorankommen, damit ich am Ende meines Berufslebens ein abbezahltes Haus, eine abbezahlte Wohnung habe?

Sie?

Lindner: Herr Schulz kümmert sich um ALG I für 50-jährige Männer. Anstatt dafür zu sorgen, dass sie einen vernünftigen Job bekommen, werden irgendwelche Alimentationen verlängert. Und die Union ist stehend K.o.

Die FDP hat Antworten? Auf wen ist Ihr Fokus gerichtet?

Lindner: Auf die breite Mitte. Das war bei der FDP immer so. Wenn’s der Mitte gut geht, geht’s unserem Land gut. Und wenn die Mitte möglichst breit ist, haben auch Schwächere die Chance, aufzusteigen. Die Leute wollen wissen: Wer macht mal Politik, bei der Geld ins Glasfasernetz gesteckt wird anstatt nur ins Rentensystem, bei der Abgaben und Steuern mal reduziert werden, anstatt nur erhöht?

Sie würden das tun?

Lindner: Wir wollen die Steuern senken und den Soli beenden, und zwar nicht nur für die Friseurin, sondern auch für den Facharbeiter bei BMW. Für alle Einkommen bis 50.000 Euro könnte der Soli sofort entfallen, das wäre mit dem Überschuss im Haushalt problemlos machbar. Das will Schulz nicht und auch die CDU zeigt da keinerlei Leidenschaft mehr. Des Weiteren wollen wir einen Glasfaserausbau im ländlichen Raum, weil Alexander Dobrindt das nicht hinbekommt. Zudem fordern wir, dass die Rache-Maut gar nicht erst eingeführt wird. Sie kostet mehr, als sie bringt – das ist Selbstbeschädigung.

Hat das Erscheinen von Schulz Ihren Wahlkampf beeinflusst?

Lindner: Sehr sogar, weil Schulz Fragen von Gerechtigkeit aufwirft. Herr Schulz spricht aber nur vom Verteilen – und nicht ein Wort über das Erwirtschaften. So wie François Hollande in Frankreich. Und heute liegt Frankreichs Wirtschaft komplett in Trümmern. Das will Schulz jetzt nach Deutschland holen. Da die CDU als Kraft von sozialer Marktwirtschaft völlig ausgefallen ist – die kündigen jetzt zum dritten Mal vor einer Wahl Steuersenkungen an –, stellt sich die Frage nach Alternativen.

Sie machen aus Schulz ein Schreckgespenst.

Lindner: Nein, aber ich weise darauf hin, dass seine Politik schlecht für Deutschland wäre. Ich weiß nicht, ob allen, die Herrn Schulz jetzt so enthusiastisch hinterherlaufen, klar ist, dass er eine europäische Arbeitslosenversicherung will. Als Facharbeiter von BMW zahlst du hier in Bayern dann in einen europäischen Topf ein, aus dem werden die Folgen der schlechten italienischen Wirtschaftspolitik kompensiert.

Können Sie sich vorstellen, nach der Wahl in einer Regierung mit Schulz zu sitzen?

Lindner: Wie soll das gehen? Da wird meine Fantasie schon auf eine harte Probe gestellt. Schulz will die Steuern für den Mittelstand erhöhen und damit die Familienbetriebe schwächen. Das geht zulasten der Arbeitnehmer. Und gleichzeitig hat er doch gedeckt, dass es Steuerrabatte für die Apples dieser Welt in Europa gegeben hat. Das ist mit der FDP nicht zu machen.

Schulz schwierig, die CDU verbraucht – wen wollen Sie dann als Partner?

Lindner: Wir wollen gewählt werden, weil wir ein gutes Programm haben. Wir sind die einzige Partei, die die Wohlstandsfrage wieder stellt. Wir wollen einen Rechtsstaat, der die Menschen schützt, aber nicht bespitzelt – ein klassisches liberales Programm. Nach der Wahl müssen wir sehen, wie das mit den anderen Parteien zusammenpasst. Eines kann ich sagen: Wir wollen regieren, aber nicht um jeden Preis.

Das heißt, Sie schließen keine Partei aus?

Lindner: Doch, AfD und die Linkspartei. Denn die beiden wollen nicht die Regierung austauschen, sondern das Land. Aber sonst gilt es wie in Baden-Württemberg: Da sind wir den Sirenenklängen von Winfried Kretschmann nicht erlegen, der uns in die grün-rote Regierung hineinholen wollte. Da haben wir gesagt, wir verzichten auf die Dienstwagen, weil wir die Inhalte nicht umsetzen können.

Die SPD fordert, die Milliarden beim Haushalts-Überschuss in Bildung oder Infrastruktur zu investieren. Warum halten Sie von diesem Vorschlag nichts?

Lindner: Die Balance zwischen Staat und Bürger stimmt nicht mehr. Schauen Sie auf den niedrigen Zins, von dem die Politik profitiert, die Bürger aber leiden. Wann, wenn nicht jetzt, geht es darum, dass die Leute von dem, was sie sich erarbeitet haben, mehr behalten dürfen? Es ist an der Zeit, dass wir Staatsausgaben mit Steuerverschwendungen wie dem Hauptstadtflughafen BER auf den Prüfstand stellen und nicht immer nur den Bürgern etwas wegnehmen. Bildung, Investition und Steuerentlastung sind möglich, wenn der Staat effizienter wird und nicht jeder Wunschtraum von Sozialministerin Andrea Nahles erfüllt wird.

2017 ist das Super-Wahljahr in Europa. In Ländern wie den Niederlanden oder Frankreich haben rechte Parteien gute Chancen. Wie gefährlich sind solche antidemokratischen Tendenzen für Europa?

Lindner: Brandgefährlich. Und zwar nicht für die abstrakte Idee der Europäischen Union, sondern konkret für den Wohlstand der Menschen und den Frieden in unserer Zeit. Das Europa der Vaterländer, wie es sich Marine Le Pen oder Geert Wilders wünschen, hatten wir ja bereits mit der Epoche bis 1945. Wenn wir heute verschiedene Interessen in Europa haben, tauschen wir diese in Sitzungszimmern und nicht auf Schlachtfeldern aus. Dahinter dürfen wir nicht zurückfallen.

Auch wenn sie in den Umfragen zuletzt schwächer war, in Deutschland fürchten sich viele vor der AfD.

Lindner: Bei der AfD gibt es drei Gruppen: Die einen sind Höcke-Leute und Antisemiten, die kann man nicht überzeugen. Das zweite Drittel sind die Postfaktischen, die Verschwörungstheoretiker und Lügenpresse-Schreier, die sind auch schwer zu erreichen. Und die dritte Gruppe besteht aus Bürgern, die aus Notwehr AfD wählen. Diese Menschen fordern etwa in der Flüchtlingspolitik eine kritische Haltung, ohne gleich rassistisch zu werden. Und dieses Drittel kann man aus der AfD zurückholen.

Warum fährt die FDP in der Flüchtlingspolitik eigentlich ziemlich genau die Linie von Horst Seehofer?

Lindner: Das tun wir nicht. Zwischen uns und der CSU gibt es immer noch große Unterschiede. Horst Seehofer will abschotten und aus Deutschland einen christlichen Klub machen. Die FDP will Rechtsstaat, aber sonst ist uns egal, was die Leute für Bücher lesen – ob Bibel oder Koran. Wir wollen aber klare Regeln, wer zu uns kommen kann. Bei Flüchtlingen, denen wir helfen, muss die Rückreise der Normalfall sein, wenn das die Lage im Heimatland erlaubt.

Wie sicher sind Sie denn eigentlich, dass die FDP die Fünf-Prozent-Hürde knackt?

Lindner: Total sicher. Kurz vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen kommen wir im verkleinerten Abbild des Bundes auf rund zehn Prozent. Und in den aktuellen bundesweiten Umfragen stehen wir mit sechs bis 7,5 Prozent gut da, obwohl wir mit dem Wahlkampf noch gar nicht angefangen haben. Da ist sogar noch Luft nach oben.

Sie haben zudem steigende Mitgliederzahlen.

Lindner: Das ist ein wichtiger Indikator. Es kommen viele Leute dazu, auch aus München – etwa Thomas Sattelberger, ein kluger Kopf aus der Wirtschaft, der jetzt auch für den Bundestag kandidiert (Wahlkreis München-Süd, d. Red.).

Aber ist es nicht gefährlich, dass die FDP nur eine Christian-Lindner-Show ist?

Lindner: Aber das ist bis zur Bundestagswahl nicht zu kurieren. Wir haben halt gegenwärtig mit dem Vorsitzenden nur ein einziges öffentliches Amt, das für Medien interessant ist. Jetzt muss es gelingen, neben Wolfgang Kubicki, Alexander Graf Lambsdorff und mir mehr Spieler aufs politische Feld zu bringen.