Wir wollen einen durchsetzungsstarken Rechtsstaat

christian lindner
Stern

Herr Lindner, wie nahe ist das Ende der Großen Koalition?

Lindner: Das weiß niemand. In der Sache wollen auch wir eine andere Asylpolitik. Wenn es keine Lösung in der EU gibt, wird Deutschland übergangsweise zum alten Recht zurückkehren und an der Grenze zurückweisen müssen. Im Stil führt Herr Söder sich aber auf wie ein  pubertierender Schulhofschläger. Für seinen Wahlkampf nimmt ein ganzes Land, einen ganzen Kontinent in Geiselhaft. Die CSU kündigt den Koalitionsvertrag mit der SPD, bricht mit der Kanzlerin und macht unsere Land durch Ultimaten in Europa erpressbar. Damit verabschiedet sich die CSU praktisch als bürgerliche Partei.

Starke Worte!

Lindner: Nein. Wer verroht argumentiert, wer nicht vertragstreu ist, wer sogar das Kreuz als christliches Symbol politisch instrumentalisiert, wem also nichts heilig ist – der kann für sich nicht in Anspruch nehmen, bürgerliche Partei zu sein.

Was wäre besser für die Bundesrepublik: Ein schnelles Ende oder ein Weiterschleppen dieser Regierung?

Lindner: Wer mit Verantwortungsgefühl auf den Zustand der Welt guckt, kann nur hoffen, dass diese Koalition zur Vernunft kommt. Es wäre ein historisch beispielloser Irrsinn, wenn sich eine Regierung über einen „Masterplan“ zerlegt, den niemand kennt.

Käme es zum Bruch zwischen CDU und CSU – wer hätte Schuld?

Lindner: Beide. Es ist eine Zerrüttung und trägt Züge einer Tragödie. Frau Merkel ist ganz offensichtlich nicht willens oder in der Lage, neu zu denken und ihre Politik zu korrigieren. Das wusste die CSU spätestens seit den Jamaika-Sondierungen. Wir waren klar und haben Konsequenzen gezogen, die CSU hätte dagegen auch den Grünen alles zugestanden. Jetzt als Teil einer Regierung alles in Frage zu stellen, ist zu spät und unprofessionell.

Wäre es nicht ehrlicher, CDU und CSU würden getrennte Wege gehen?

Lindner: Ich muss mir deren Kopf nicht zerbrechen. Aber wenn die CSU sich in ganz Deutschland ausbreiten würde, hätte das fatale Folgen. Sie würde in einen Schäbigkeitswettbewerb mit der AfD eintreten.

Erleben wir gerade eine Phase der Verrohung in der deutschen Politik?

Lindner: Ja. Ich leugne die Probleme nicht - im Gegenteil. Wir wollen einen durchsetzungsstarken Rechtsstaat. Aber wenn Spitzenpolitiker von „Asyltourismus“ sprechen, schüren sie Vorbehalte.

Falls die Koalition an der Asylfrage scheitert: Stünde die FDP als Ersatz-Partner der CSU zur Verfügung?

Lindner: Ich wüsste nicht, wo die inhaltlichen Übereinstimmungen sein könnten in einer schwarz-rot-gelben Deutschlandkoalition.

Verspüren Sie keine staatspolitische Verantwortung? Von einer Neuwahl würde nur die AfD profitieren.

Lindner: Warum eigentlich? Das ist doch kein Naturgesetz. Warum nicht die Grünen oder wir? Jeder konnte inzwischen feststellen: Die Wahl der AfD führt nur zu unklaren und instabilen Verhältnissen. Die Ränder werden aus einem anderen Grund stärker: Wenn Schwarz, Rot, Grün und Gelb immer verwechselbarer werden und wenn – egal wer unter Führung von Frau Merkel regiert – immer dasselbe rauskommt: Müttergeld, Baukindergeld, Transferunion, Bürokratie, zu wenig für Bildung und Forschung. Die Alternative für Demokraten der Mitte sind wir.

Wird der Gipfel an diesem Donnerstag ein Schicksalsgipfel für die Kanzlerin?

Lindner: Ich halte nichts von einer Politik mit Ultimaten.

Sie meinen die Drohung der CSU, dass Innenminister Horst Seehofer ab Montag gegen den Willen der Kanzlerin Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen lässt?

Lindner: Ja. Wenn das die deutsche Position wäre, würden wir Einigungsdruck in der EU aufbauen. Da Deutschland aber zerstritten ist, baut die CSU nur Druck auf die Kanzlerin auf, die erpressbar geworden ist. Das hat man schon beim Entgegenkommen der Kanzlerin gegenüber Emmanuel Macron beim Eurozonen-Budget gesehen. Es muss jetzt beim Euro bezahlt werden, was im Bereich der Migration an Politik gewünscht ist.

Die FDP hat die Jamaika-Verhandlungen an Fragen zur Europapolitik scheitern lassen. Fühlen Sie sich im Nachhinein bestätigt?

Lindner: Absolut. Dieser Streit wäre bei Jamaika Routine gewesen. Schon damals war die Absicht erkennbar, die Stabilitätspolitik Deutschlands zu verlassen, um Herrn Macron einen Gefallen zu tun. Der Euro wird aber nicht dadurch krisenfest, dass man eine Art Dispo-Kredit für Länder wie Italien einführt. Wir wollen die finanzpolitische Eigenverantwortung wieder stärken. Wir brauchen nicht mehr Gemeinsamkeit bei Schulden und Finanzen, sondern bei Grenzkontrolle, Freihandel, Sicherheit oder Klima.

Besteht die Gefahr, dass sich Europa spaltet?

Lindner: Wenn irgendein Land glaubt – sei es Ungarn oder Österreich, Deutschland oder Italien – alleine könne man sich in diesem Jahrhundert besser um die eigenen Interessen bemühen, wäre das ein tragischer Irrtum. Und es wäre geschichtslos.

Sehen Sie noch einen Ausweg für die Kanzlerin?

Lindner: Die europäische Lösung wäre einer. Nur, wie soll die jetzt so kurzfristig kommen? Dass Frau Merkel Sondergipfel einberuft, ist ja zu begrüßen. Aber ohne Einsicht geht es nicht: Am Anfang einer veränderten Migrationspolitik in Europa muss stehen, dass Deutschland Fehler gemacht hat. Die CSU, die jetzt von einem nationalen Alleingang spricht, lenkt ja davon ab, dass es 2015 ebenfalls einen Alleingang gab. Jetzt tragen wir die absolute Hauptlast in Europa deswegen. Dafür muss Frau Merkel Verantwortung übernehmen. Bislang hat sie nicht eingeräumt, dass es ein Fehler war. Vermutlich, weil sie es nicht glaubt.

Sie verlangen ein Mea Culpa?

Lindner: Nein, eine Korrektur.

Hat Italiens Ministerpräsident Conte Recht, wenn er sagt: Wer Italien betritt, der betritt die EU?

Lindner: Selbstverständlich. Deshalb dürfen wir die Italiener, aber auch die Griechen nicht alleine lassen beim Schutz der Außengrenze. Wer auf Schlagbäume innerhalb Europas verzichten will, muss seine Außengrenzen schützen können.

Haben Sie Verständnis dafür, dass die Italiener mittlerweile Flüchtlingsschiffe bei sich nicht mehr anlanden lassen?

Lindner: Ich habe Sorge, dass Menschen, die in Seenot sind, nicht gerettet werden. Dazu müsste es aber gar nicht erst kommen, wenn an der Gegenküste die Schiffe gar nicht erst in See stechen würden.

„Festung Europa“ soll plötzlich kein negativ besetzter Begriff mehr sein?

Lindner: Moment, damit wir nicht gemeinsam auf einen rhetorischen Trick reinfallen - wenn von Kontrolle von Grenzen die Rede ist, dann ist doch nicht gemeint: Zugbrücke hoch! Die Kontrolle der Grenze ist auch dann notwendig, wenn man sich nicht abschottet. Es ist nichts liberal an dem Gedanken, dass sich jeder den Ort, an dem er lebt auf der Welt, selber aussucht. Das würde zum Zusammenbruch jedes Systems staatlicher Ordnung führen.

Ist Merkels Zeit abgelaufen?

Lindner: Das fragen Sie mich? Fragen Sie Herrn Söder.