Wir treten nur in eine Regierung der Mitte ein

Christian Lindner Regierung
FOCUS Online

Lesedauer: 9 Minuten

 

Herr Lindner, beim letzten Triell der Kanzlerkandidaten bekam man den Eindruck, dass Olaf Scholz und Annalena Baerbock ihren Koalitionsvertrag fast schon unterschrieben hätten. Bekämen Sie es in einer möglichen Ampelkoalition mit einer rot-grünen Front zu tun?

Lindner: Wie nah sich SPD und Grüne stehen, kann niemanden überraschen – außer die CDU, die sich in den vergangenen Jahren opportunistisch immer weiter den Grünen angenähert hat. Dafür hat sie in Kauf genommen, viele Inhalte preiszugeben. Darum ist sie jetzt in einem schwachen Zustand. Wir dagegen stehen in der Mitte und für den Wert der Freiheit. Unabhängig davon, ob er Konjunktur hat oder nicht.

„In der Mitte“ ist die eine Standortbeschreibung. Eine andere: In einer Ampel wären Sie drittes Rad am Wagen, oder?

Lindner: Wenn man uns nicht braucht, um eine Mehrheit zu bilden, wird man uns sicherlich nicht fragen. Wenn man uns dagegen braucht, muss man unsere Inhalte berücksichtigen. Das geht mit der Union erheblich leichter. Rote Steuererhöhungen und eine grüne Aufweichung der Schuldenbremse finden wir nicht attraktiv. In beiden Fällen wären wir jedenfalls kein drittes Rad am Wagen.

Wie frei sind Sie am Ende, „Nein“ zu sagen?

Lindner: Wir sind absolut frei und unabhängig. Wir treten nur in eine Regierung der Mitte ein, die die Freiheit achtet und die Wohlstand erwirtschaften will und nicht nur verteilen.

Dann hat der linke Spitzenkandidat Dietmar Bartsch Recht mit seiner Feststellung: Am Ende geht es darum – Linke oder Lindner?

Lindner: Tatsächlich könnte es drei Koalitionsoptionen geben, wo Dietmar Bartsch nur zwei sieht: Jamaika, die Ampel und ein Linksbündnis. Was am Ende herauskommt, entscheidet sich nicht allein daran, welcher Kanzlerkandidat am Sonntag vorne liegt. Egal wer das ist: Er wird von 70 Prozent der Deutschen nicht gewählt worden sein. Weniger denn je in der Geschichte wird man aus dem Umstand, stärkste Fraktion zu sein, einen klaren Auftrag zur Regierungsbildung ableiten können.

Wenn es dann um eine Ampel geht – wie gefährlich lebt man eigentlich als letzter Hoffnungsträger des Bürgerlichen?

Lindner: Da überschätze ich mich nicht. Aber das Liebäugeln von SPD und Grünen mit der Linkspartei müssen alle bürgerlichen Wähler sehr ernst nehmen – vor allem jene, die den Grünen zuneigen. Viele, die wegen des Klimaschutzes überlegen, grün zu wählen, ahnen womöglich noch gar nicht, dass sie eine Partei wählen wollen, die die Türen sperrangelweit zu einer sehr linken Partei geöffnet hat, die zum Beispiel auch Enteignungen im Programm hat. Was das Klima angeht, haben wir mit CO2-Deckel, Technologieoffensive und einer konsequent europäischen Orientierung das wirksamste Klimaprogramm.

Glauben Sie immer noch, dass der Regierungsauftrag in jedem Fall an die Union geht?

Lindner: Die Schwäche der Union hat mich überrascht. Ich sagte ja schon: Ich rechne damit, dass keine Partei einen eindeutigen Auftrag zur Bildung einer Regierung bekommt. Damit wächst uns Freien Demokraten eine besondere Verantwortung zu.

Was sagen Sie dann den Wählern, die immer noch glauben, sie würden die Wahl entscheiden?

Lindner: Natürlich entscheiden die Wählerinnen und Wähler die Wahl. Aber unsere Verfassung hat geregelt, dass Parteien gewählt werden, nicht Kanzler in einer Direktwahl. Die Duell- oder die Triell-Situation ist eine Erfindung der Medien. Ein Import aus dem amerikanischen oder französischen Präsidentschaftswahlkampf, der nichts mit unserer Verfassung zu tun hat. Helmut Kohl hatte 1976 die Wahl mit sechs Prozent Vorsprung vor Helmut Schmidt gewonnen und konnte trotzdem nicht regieren, weil Schmidt eine Koalition mit der FDP hatte.

Weshalb hat Laschet in Nordrhein-Westfalen stark abgeschnitten und ist jetzt so schwach?

Lindner: Viele in CDU und CSU machen Armin Laschet für die Schwäche der Union verantwortlich. Für mich liegt es vielmehr an der Ausdünnung der Union selbst. Schauen Sie nur, wie dort übereinander geredet wird. Und wenn Laschet sich zur Schuldenbremse bekennt, ruft Herr Söder in einer Regierungserklärung, man müsse sich die Schuldenbremse verfassungsrechtlich noch einmal genau ansehen. Eine Partei, die in zentralen Fragen wie der Solidität der Staatsfinanzen nicht mit einer Stimme spricht, kommt schwer in die Offensive.

Sie glauben also nicht, dass die Union mit einem Kanzlerkandidaten Söder jetzt besser dastünde?

Lindner: Die Union stünde mit Markus Söder nicht besser da, nur anders.

Was ist in Berlin anders als in Düsseldorf?

Lindner: Die Berliner Bundespolitik ist schneller, härter, aber auch oft oberflächlicher als die Landespolitik. Landespolitik ist häufig detailreicher, hier in Berlin wird oft Politik-Politik betrieben.

Was ist das denn?

Lindner: Politiker und Journalisten unterhalten sich nicht über Inhalte, sondern über andere Politiker und Journalisten.

Für Laschet steht viel auf dem Spiel, kurz gesagt: Kanzler oder Rentner. Wäre es nicht schlauer gewesen, Ministerpräsident zu bleiben in einem Land mit 16 Millionen Einwohnern und einem Sozialprodukt größer als in den Niederlanden und Belgien zusammen?

Lindner: Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich habe jedenfalls schon auf Karrieren verzichtet, wenn es nötig war.

Sowohl Wolfgang Schäuble als auch Friedrich Merz führen die Schwäche der Union auf Entscheidungen von Angela Merkel zurück. Teilen Sie das?

Lindner: Die Schwäche der Union kann man nicht Frau Merkel alleine anlasten, obwohl sie in den Jahren die Union immer wieder nach links geöffnet und grüne Inhalte übernommen hat. Wenn Herr Söder erst gegen angebliche Asyltouristen wettert und dann Bäume umarmt, zeugt das nicht von einem klaren Standpunkt. Die Union hat heute diese Probleme, weil es für sie immer nur wichtig war, zu regieren, aber nicht in welche Richtung. Das konnte man zuletzt auch in Baden-Württemberg beobachten, wo Herr Strobl von der CDU, um Minister bleiben zu können, für die Grünen alle Inhalte der Union über Bord geworfen hat. Irgendwann kostet das Glaubwürdigkeit.

Im Moment ist viel von roten Linien die Rede, die in Koalitionsverhandlungen nicht überschritten werden dürften. Wo sind Ihre roten Linien?

Lindner: Erstens: Keine neuen Steuern oder Steuererhöhungen im Höchststeuerland Deutschland. Zweitens: Weil wir schon so hohe Schulden haben und jetzt auch erhebliche Inflationsrisiken, muss die Schuldenbremse im Grundgesetz bleiben. Drittens: Keine Vergemeinschaftung von Schulden in Europa. Die drei Kanzlerkandidaten sind hier nicht klar. Herr Scholz denkt sogar an eine Art vergemeinschaftete Arbeitslosenversicherung. Das würde bedeuten, dass deutsche Steuer- und Beitragszahler am Ende die Folgen von falscher Wirtschaftspolitik in anderen europäischen Länder zu tragen hätten. Das würde Europa nicht stärken, sondern schwächen.

Ist eine Regierungsbeteiligung der FDP davon abhängig, dass Sie Finanzminister werden?

Lindner: Das ist das Angebot, das wir machen. Aber Inhalte sind wichtiger als Karrieren.

Herr Lindner, Olaf Scholz hat eine Rentengarantie abgegeben – keine höheren Beiträge, keine längere Lebensarbeitszeit. Würden Sie da mitgehen?

Lindner: Herr Scholz müsste dann erst einmal darlegen, wie er das bewerkstelligen will. Wir haben ein realistischeres Angebot: Flexibler Renteneintritt mit 60 Jahren bei individuell versicherungsmathematisch errechneter Höhe, keine Bürokratie mehr, wenn man neben der Rente noch in Teilzeit oder im Minijob etwas verdienen will und schließlich: Ansparen einer kapitalgedeckten Stabilisierung nach schwedischem Vorbild.

Gilt, was Sie mit der Rente vorhaben, auch für die anderen Säulen unseres Sozialsystems?

Lindner: Ja, wir sollten alle Teile unseres Sozialsystems stabilisieren durch das Ansparen einer Kapitalsäule.

Was ist mit dem Mindestlohn von 12 Euro, den sowohl Grüne als auch die SPD wollen?

Lindner: Der Mindestlohn wird ohnehin erhöht werden, so wie dies eine Kommission empfiehlt, aber viele Menschen werden davon gar nicht profitieren. Denn wenn der Mindestlohn angehoben wird, aber die Grenze des Minijobs bleibt, dann erhöht sich am Ende nicht das Einkommen, sondern es verkürzt sich nur die Arbeitszeit. Und so lange die Zuverdienstgrenzen bei Hartz IV ab 100 Euro 80 Prozent vom Einkommen wegnehmen, profitieren die Menschen ebenfalls nicht. Deshalb sollten wir bei der Minijobgrenze etwas tun und dafür sorgen, dass man bei Hartz IV mehr hinzuverdienen kann. Für mich ist es eine Frage des Respekts, dass wir den Menschen erlauben, durch Arbeit ihre finanzielle Situation zu verbessern.

Tempolimit fürs Klima – wie finden Sie das?

Lindner: Wenn ich mitten in der Nacht bei gutem Wetter und freien Straßen mit meinem Elektroauto irgendwann mit Strom aus zu hundert Prozent erneuerbaren Energien 139 km/h fahre – wo ist dann das Problem? Das ist kein Problem des Klimaschutzes, sondern des Menschenbildes: Wenn jemand verantwortungsbewusst fährt, mit welchem Recht will der Staat hier eingreifen? Im Zuge der Digitalisierung werden wir das Tempo auf unseren Straßen ohnehin immer variabler regeln können, stets abhängig vom Verkehrsaufkommen. Das ist smart.

Braucht die Autoindustrie die freie Fahrt für freie Bürger, um mehr Fahrzeuge verkaufen zu können?

Lindner: Ich glaube nicht, dass es diesen Zusammenhang gibt. Im Übrigen ist die deutsche Autoindustrie enorm stark. In den letzten Jahren wurde von allen Parteien gewettert, wie sehr Trends verschlafen worden seien. Daran haben wir uns nie beteiligt. Tatsächlich ist sie nämlich führend. Übrigens setzen die Hersteller beileibe nicht nur auf Elektromobilität, wie insbesondere Grüne Glauben machen wollen. Daimler baut in China weiter Verbrennungsmotoren. BMW denkt über Wasserstoff-Lösungen nach und Porsche über synthetischen Kraftstoff aus Chile. Die Industrie ist so stark, dass wir die Milliarden-Subventionen für E-Autos streichen sollten.

Wir sind beim Klimaschutz. Wenn China allein 2019 so viel Kohle-Kapazität neu aufgebaut hat, wie Deutschland bis 2038 vom Netz nehmen will, und wenn die Strom-Kapazität in Afrika aus Kohlekraftwerken kommt, die China geliefert hat: Macht es dann Sinn, in Deutschland die Industrie komplett umzubauen, um dadurch ganze zwei Prozent CO2 zu sparen?

Lindner: Ja, das ergibt Sinn. Wir müssen ein Modellstandort werden für das, was andere Länder tun sollen. Unser Modell muss sein, durch Technologie zu dekarbonisieren – und eben nicht durch Verzicht auf Wachstum und Wohlstand. Klimaschutz made in Germany kann ein Exportschlager werden. Es ist super, wenn aus Solarenergie sauberer Strom entsteht. Es ist großartig, wenn Windkraftanlagen auf dem Meer Wasserstoff produzieren. Es ist toll zu sehen, wie sauber ein LKW auf Wasserstoffbasis fährt. Oder Pflanzenkohle, die Plastik ersetzen kann. Wir können in Geräten, die aussehen wie ein Weinschrank, klimaneutral unser eigenes Gemüse züchten. Kurzum: Mit seinen zwei Prozent CO2-Ausstoß kann Deutschland ein Labor für die Welt sein. Auch für Afrika.

Frau Baerbock glaubt, dass Verbote Innovationstreiber sind. Und Sie?

Lindner: Freiheit ist ein Innovationstreiber, ein Verbot begrenzt dagegen Innovationskraft. Das Verbot des Verbrennungsmotors zum Beispiel bricht eine Entwicklungslinie ab, obwohl er mit synthetischen Kraftstoffen klimaneutral betrieben werden kann. Das ist eine Technologieoption, von der heute niemand wissen kann, welche zukünftige Bedeutung sie haben kann. In jedem Fall werden kurzfristig Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor nicht mehr in Deutschland produziert, sondern anderswo. Und die Zulieferindustrie ist auch noch weg. Dieses Verbot ist unnötig, weil am Ende die Emissionsfreiheit entscheiden sollte, aber nicht der Weg, auf dem sie erreicht wird.

Sie begeistern sich für Innovation. Sind Sie auch begeistert von der neuen Generation von Kernkraftwerken? Gehören die auch zu den Innovationstreibern?

Lindner: Ja, sicher. Aber nicht bei uns, sondern anderswo. Auch der Weltklimarat hat diese Technologie ja auf der Rechnung. In Deutschland halte ich diese Debatte für beendet.

Frau Baerbock sagt auch, dass dem Markt Menschen herzlich egal sind.

Lindner: Der Markt, das sind die Menschen. Bei Frau Baerbock überrascht mich dieser Irrtum nicht. Sie war ja auch der Meinung, die soziale Marktwirtschaft in Deutschland sei eine Erfindung der SPD.

Sie sind angetreten mit dem Ziel, die FDP in die Regierung zu führen. Falls das jetzt nicht gelingt, hängen Sie die Politik dann an den Nagel?

Lindner: Nein, ich habe Ausdauer. Wir haben einen Mitgliederrekord und viel Zuspruch. Diese Menschen werde ich nicht enttäuschen.

Sie könnten aber sagen: Ich fange noch mal etwas Neues im Leben an.

Lindner: Meine Aufgabe in der Politik ist noch nicht erledigt. Ganz abgesehen davon liebe ich, was ich tue.