Wir sollten die Bürgerinnen und Bürger direkt vom Haushaltsüberschuss profitieren lassen

Christian Lindner
Passauer Neue Presse

Herr Lindner, ein Jahr Große Koalition – wie fällt Ihre Bilanz aus?

Lindner: Wir haben ein Jahr lang vor allem viel Streit erlebt, wie etwa um den früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen. Von Zukunftsgestaltung war dagegen nicht viel zu sehen. Schwarz-Rot steht auch für einen wirtschaftlichen Abschwung in unserem Land, den wir jetzt erleben. Wir brauchen aber eine Politik, die die dringenden Reformen für das nächste Jahrzehnt gestaltet. Bürger und Betriebe müssen entlastet werden. Wir brauchen eine Technologieoffensive im Bereich Digitalisierung und Klimaschutz. Es muss auch eine entschlossene Antwort auf die europäische Reformagenda von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron geben. 

Es gibt Spekulationen über einen vorzeitigen Rückzug von Kanzlerin Angela Merkel. Aus den Reihen der SPD kommt der Ruf nach einem Ende der Großen Koalition. Stünde die FDP dann als Regierungspartner etwa in einer Jamaika-Koalition bereit, oder wären Neuwahlen der bessere Weg? 

Lindner: Ich halte das für eine irreale Debatte, weshalb mich die Spekulationen inzwischen ermüden. Wir laufen nicht weg, wenn jemand auf uns zukommen will. Aber wir laufen auch nicht hinterher. Unsere Grundpositionen haben sich seit dem Herbst 2017 nicht verändert. Bei Entlastung, Bildung, Europa, Energie und Einwanderung brauchen wir neues Denken. Wenn andere inzwischen zu neuen Abwägungen kommen, etwa nach einem Führungswechsel, verweigern wir uns Gesprächen nicht. 


Noch einmal: Wären Neuwahlen nicht der bessere Weg, oder würde die FDP doch Annegret Kramp-Karrenbauer zur Kanzlerin eines Jamaika-Bündnisses mitwählen?  

Lindner: Wir machen das nur an Inhalten fest. Ich bin mir sicher, dass die SPD Neuwahlen scheut. Die Grünen wollen dagegen die Schwäche der SPD für sich nutzen. Von Neuwahlen würden wir profitieren, aber damit spielt man in diesen Zeiten nicht.


Sie wollen die Haushaltsausschüsse an die Bürgerinnen und Bürger ausschütten. Wie soll das gehen? 

Lindner: Wir sollten die Bürgerinnen und Bürger direkt vom Haushaltsüberschuss profitieren lassen. Er ergibt sich aus zu viel gezahlten Steuern. Wir sollten das Geld zurückgeben und zwar 125 Euro pro Kopf. Für eine vierköpfige Familie wären das 500 Euro. Das würde erlauben, manchen privaten Wunsch zu erfüllen und es würde die Kaufkraft stärken. Dann hätten auch Menschen Interesse an stabilen Staatsfinanzen hätten, die keine Steuern zahlen. Es sollte die Regel sein, dass Haushaltsüberschüsse entweder zur Schuldentilgung eingesetzt werden, oder die Bürger einfach einen Scheck vom Finanzamt erhalten.

Kein Ende des Brexit-Chaos. Welche Folgen hat der Zick-Zack-Kurs der Briten?   

Lindner: Was wir in Großbritannien sehen, muss für alle Wählerinnen und Wähler in Deutschland eine Mahnung sein. In Großbritannien gibt es einen Scherbenhaufen, den Populisten hinterlassen haben. In Deutschland tritt jetzt eine AfD an, die in ihrem Programm für die Europawahl tatsächlich vom Deuxit, dem Ausscheiden Deutschlands aus der EU, spricht. Egal, was die Briten entscheiden – stärker werden sie dadurch nicht. Sie sind gelähmt und geschwächt. Wir brauchen jetzt einen Neustart Europas, damit wir handlungsfähig und attraktiv werden. Wir müssen dafür sorgen, dass sich niemand mehr die Frage stellt, ob er die EU verlassen will. 

Auch Ungarns Regierungschef Viktor Orban geht auf Distanz zur EU. Droht da nicht der nächste Austritt?

Lindner: Ungarn muss ein großes finanzielles Interesse an einer Mitgliedschaft in der EU haben. Bei Großbritannien war dies schon immer ambivalent. Wir müssen Herrn Orban daher klarmachen, dass er nicht nur die Vorteile der EU genießen kann. Er muss sich auch an unsere Regeln und Werte halten. Eine Regierungspartei, die offen mit antisemitischen Vorurteilen Wahlkampf betreibt, kann nicht Mitglied der Europäischen Volkspartei sein. Herr Orban tanzt den Konservativen auf der Nase herum. Er hätte schon vor Jahren aus der EVP-Familie ausgeschlossen werden müssen. EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber wird seinen Führungsanspruch nur geltend machen können, wenn er das Kapitel Orban in der EVP beendet. 

Sie sind mit Ihrer Kritik an den Schülerdemonstrationen der Bewegung „Friday for future“ mächtig angeeckt. Was stört Sie an den Protesten? 

Lindner: Die Jugendlichen haben ein Recht darauf, ernstgenommen zu werden. Dazu gehört, dass man offen sagt, was man denkt. Ich habe Respekt vor dem Engagement von Schülerinnen und Schülern. Dass in Deutschland aber einerseits Unterrichtsausfall beklagt wird, andererseits das Schuleschwänzen gewürdigt wird, will mir nicht einleuchten. Wer sich engagieren will, soll das außerhalb der Schulzeit machen. Die Klimaziele sind zudem klar. Jetzt kommt es auf deren konkrete Umsetzung an. Wir sollten mit politischen Subventionen oder den geforderten Verboten von Fleisch und Flugreisen Schluss machen. Statt mit Planwirtschaft alles politisch zu lenken, sollten wir Klimaziele setzen, die Ingenieure, Technikerinnen und Ökonomen kreativ erreichen können.


US-Botschafter Richard Grenell soll der Bundesregierung mit dem Ende der Zusammenarbeit der Geheimdienste gedroht haben, sollte der chinesische Mobilfunk-Riese Huawei nicht von der Versteigerung der G5-Mobilfunklizenzen in Deutschland ausgeschlossen werden. Wie bewerte Sie dieses Vorgehen?

Lindner: Der US-Botschafter verfolgt hier wohl eher industriepolitische Interessen der USA. Hier wird bedauerlicherweise Sicherheit mit Wirtschaftsinteressen verbunden. Davon dürfen wir uns nicht einschüchtern lassen. Natürlich müssen die Chinesen Fragen nach der Sicherheit und Integrität der Systeme beantworten. Manche Ängste sind auch überzogen. Huawei ist kein einfacher Lakei der chinesischen Führung.