Wir sind gesprächsbereit - nach Merkel

Christian Lindner
Tagesspiegel

Herr Lindner, warum hassen Sie Angela Merkel so?

Lindner: Ich hasse Angela Merkel nicht.

Ihren angekündigten Rückzug vom Amt der CDU-Chefin haben nur AfD und Linke und Sie mit dem sofortigen Ruf nach ihrem Rücktritt vom Amt der Kanzlerin kommentiert.

Lindner: Nein, ich habe ihren sofortigen Rücktritt nicht gefordert, sondern darauf hingewiesen, dass Angela Merkel für einen neuen Aufbruch in Deutschland auch an der Spitze der Regierung einen Personalwechsel ermöglichen sollte. Wenn Deutschland aus einer sich lange hinziehenden Kanzlerdämmerung und einer agonischen Koalition befreit werden soll, geht das nur nach Frau Merkel. Sie sollte ihrem Nachfolger oder ihrer Nachfolgerin an der Spitze der CDU zügig die Möglichkeit einer Regierungsbildung eröffnen.

Wie viel Zeit geben Sie der großen Koalition jetzt noch?

Lindner: Deutschland braucht den Politikwechsel. Dieser kann eingeläutet werden, wenn die Personalie an der Spitze der CDU geklärt ist. Ich vermute, dass sie einen Rückzug aus dem Kanzleramt ohnehin plant, aber jetzt keine Turbulenzen auslösen will.

Sind Neuwahlen der zwingende Weg für einen politischen Neuanfang?

Lindner: Das scheint mir das wahrscheinlichste, aber nicht das einzige Szenario. Nach der Ära Merkel sind viele Konstellationen denkbar. Wir sind gesprächsbereit. Wir haben unterstrichen, dass wir zum Beispiel eine vorübergehende Minderheitsregierung der Union aus dem Parlament heraus konstruktiv begleiten würden, wo es in Sachfragen Übereinstimmung gibt.

Noch ist nicht klar, wer die CDU führen wird. Machen Sie die Unterstützung der FDP davon abhängig?

Lindner: Nein, die in Rede stehenden Kandidatinnen und Kandidaten stehen zwar für unterschiedliche Positionen. Die FDP steht aber mit allen in gutem Kontakt.

Auch mit Annegret Kramp-Karrenbauer, die als Regierungschefin im Saarland schon eine Jamaika-Koalition hat platzen lassen?

Lindner: Natürlich. Das Scheitern von Jamaika an der Saar ist von ihr zwar im Stil nicht gerade sensibel parallel zu unserem Dreikönigstreffen vollzogen worden. Aber das muss man sportlich nehmen, zumal die saarländische FDP nicht in Top-Form war.

Für eine Minderheitsregierung müssten auch die Grünen ins Boot.

Lindner: Nein, eine Minderheitsregierung würde die Union ja ohne andere Parteien bilden. Unabhängig davon haben wir in der spezifischen Lage des Jahr 2017 Nein zu Jamaika gesagt, aber nicht an jedem Ort und für alle Zeit. Wir koalieren ja in Schleswig-Holstein mit CDU und Grünen. Deshalb ist auch Jamaika im Bund irgendwann denkbar.

Als eines der großen Hindernisse haben Sie 2017 die inhaltlichen Differenzen mit den Grünen bezeichnet. Deren Politik hat aber gerade Hochsaison. Warum sollten die Grünen jetzt kompromissbereiter sein?

Lindner: Ich glaube, dass die Grünen vor allem von der Schwäche  der SPD profitieren. Und weil die Grünen nicht die absolute Mehrheit haben, werden sie wie alle anderen Kompromisse eingehen.

Bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen konnte die FDP von den Verlusten der Union kaum profitieren. Warum wenden sich bürgerliche Wähler den Grünen und nicht Ihnen zu?

Lindner: Wir haben deutlich zugelegt, in Hessen fast doppelt so viele Mandate. Allerdings gelten die Grünen als unbeteiligt an den Querelen in Berlin. Ein Votum für mehr Steuern, mehr Verbote, mehr Staat leite ich daraus nicht ab. Beim Klimaschutz haben die einen Punkt, den man stärker herausarbeiten muss. Da sind die grünen Antworten nicht die effektivsten. Uns kreiden manche das Nein zu Jamaika an. Wir bekommen auch keine taktische Unterstützung, alle anderen Parteien reiben sich an uns. Wer uns jetzt gewählt hat, der meint uns und steht im Hagelschauer zu uns.

Haben Sie die Heftigkeit des Rechtfertigungsdrucks, die auf Ihre Entscheidung bis heute folgt, unterschätzt?

Lindner: Ganz im Gegenteil. Ich hatte befürchtet, dass in der FDP gestritten werden könnte und dass wir bei Wahlen und Umfragen abstürzen. Stattdessen sind wir geschlossen, haben dieselben Umfragezahlen wie vor der Bundestagswahl und legen bei Wahlen zu.

War es am Ende doch ein Fehler, die Jamaika-Verhandlungen in jener Nacht mit dem Satz zu verlassen; „Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren“?

Lindner: Wieso? Die Entwicklungen seitdem bestätigen uns, vor allem der Streit zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer mit der Folge des absehbaren Rückzugs beider. Den Satz würde ich wieder sagen. Aber die Erklärung wäre 14 Tage früher gekommen und ich würde heute klar sagen, dass es Frau Merkel als Verhandlungsführerin nicht vermocht hat, ein für alle Seiten akzeptables Angebot zu machen, weil sie leider einseitig an den Grünen interessiert war.