Wir sind bereit zur Übernahme von Verantwortung

Christian Lindner
Frankfurter Neue Presse

Verfassungsschutzpräsident Maaßen wurde befördert, geht es dem Land jetzt besser?

Lindner: Im Gegenteil. Entweder man vertraut ihm oder man vertraut ihm nicht. Jetzt wird er befördert, aber zugleich werden die Zuständigkeiten für die Sicherheitspolitik chaotisch durcheinander geworfen, weil er nicht für den Verfassungsschutz zuständig sein soll. Das ist ein Sicherheitsrisiko. Außerdem muss der anerkannte Staatssekretär für Bauen und Wohnen gehen, da ist die Regierung nun blank. Diese Entscheidung dokumentiert die Zerrüttung der Koalition. Ich schließe nicht mehr aus, dass sie vor dem Ende der Legislaturperiode zerbricht. 

Wie schätzen Sie die Rolle von Horst Seehofer ein? 

Lindner: Unberechenbar. Herr Seehofer sieht in der Flüchtlingsfrage zurecht ein Thema, das die Menschen beschäftigt. Aber er zieht die falschen Schlussfolgerungen. Die CSU missbraucht Religion und das christliche Kreuz für den Wahlkampf, kann aber keine andere Migrationspolitik gegen Frau Merkel durchsetzen. Umgekehrt wäre besser.

Wie oft haben Sie sich denn schon darüber geärgert, dass die FDP nicht selbst den Innenminister stellt?

Lindner: Gar nie. Die fortwährenden Auseinandersetzungen zwischen CDU und CSU bestätigen im Nachhinein, dass es völlig richtig war, nicht in eine Jamaika-Koalition einzutreten. Wenn man dann noch die Grünen dazu nimmt, hätte es bei Energie, Soli-Abschaffung, Einwanderung und Europa nur Dauerstreit gegeben. Diese Regierung würde es jetzt schon gar nicht mehr geben. Und wir hätten gegenüber unseren Wählern wortbrüchig werden müssen. Da haben wir uns lieber für den harten Weg entschieden, die Sondierungen abzubrechen.

Nach der hessischen Landtagswahl könnte es ähnliche Mehrheitsverhältnisse geben wie im Bund. Dann käme der FDP vielleicht wieder die Rolle des Züngleins an der Waage zu. Und dann?

Lindner: Wird gesprochen. Wir sind bereit zur Übernahme von Verantwortung wie in drei anderen Ländern, wenn sich etwas ändert. Die Landesregierung rühmt sich, geräuschlos zu regieren. Das war nur möglich durch Stillstand. In der Bildungspolitik lobt Herr Bouffier, dass Hessen besser ist als zum Beispiel Bremen. Hessen muss sich aber mit den besten der Welt messen. Auch in der Wirtschafts- und Verkehrspolitik kann ich nicht erkennen, dass hier gestaltet worden ist.

Der hessische FDP-Spitzenkandidat Rene Rock ist ein ungewöhnlicher FDP-Typ, der hauptsächlich auf Sozialpolitik fokussiert ist. Wie passt er ins Bild der FDP?

Lindner: Bitte keine Vorurteile. Wir haben Ahnung von Wirtschaft und Finanzen, sind aber darauf nicht beschränkt. Wir haben einen umfassenden gesellschaftlichen Anspruch. Das heißt zum Beispiel, dass wir uns für eine bessere frühkindliche Bildung einsetzen. René Rock hat früh erkannt, wie wichtig eine gute Bildung für die Lebenschancen jedes Einzelnen ist.

Was wollen Sie in Hessen ändern?

Lindner: Den Stillstand beseitigen – von der Bildung, über Infrastruktur bis zur Wirtschaft. Hessen hat vor allem einen grünen Wirtschafts- und Verkehrsminister, der hassen muss, was er jeden Tag tut: Er ist kein Freund wirtschaftlicher Freiheit oder des Finanzplatzes Frankfurt, er mag keine Straßen, er war immer gegen den Flughafen. Wir würden ihn gerne aus seiner schwierigen Lage befreien.

Sie würden also im Falle von Koalitionsverhandlungen in Hessen das Wirtschaftsressort wieder für die FDP reklamieren?

Lindner: Ja. Ich gehe davon aus, dass die hessische FDP dieses Amt als eine Koalitionsbedingung für sich reklamieren wird. Meine hessischen Freunde um René Rock haben bereits gesagt, dass sie da Verantwortung übernehmen würden.

Es gibt Anzeichen dafür, dass Ihrer Partei eine Ampelkoalition unter Führung der SPD lieber wäre als Jamaika in Hessen. Stimmt das?

Lindner: Allein von den Zahlen her sehe ich derzeit keine Wahrscheinlichkeit für eine Ampelkoalition. 

Sie würden also auch als Mehrheitsbeschaffer für eine CDU-Regierung zur Verfügung stehen?

Lindner: Nein, aber als Motor einer anderen Politik. Die Inhalte müssen stimmen. Und jeder Partner muss sich in einer Regierung wiederfinden können. 

Volker Bouffier tritt ja in Hessen als Versöhner auf. Könnte es mit ihm gelingen oder sind die Verletzungen der FDP zu tief, weil die CDU sie nach der vergangen Landtagswahl so schnell fallen ließ?

Lindner: Ich rate zu Professionalität statt Sentimentalität. In der Politik kann man keine Dankbarkeit erwarten. 

Umfragen lassen erwarten, dass erstmals auch die AfD in den hessischen Landtag einzieht. Wie könnte es der FDP gelingen, AfD-Sympathisanten auf ihre Seite zu ziehen?

Lindner: Wir sind der schärfste Kontrast zur AfD. Die AfD ist eine völkisch-autoritäre Partei, wir sind eine liberale Partei, die jeden einzelnen Menschen in seiner Besonderheit wahrnimmt. Die Menschen sollten die Rechtsstaatspartei FDP stärken statt der Rechtspopulisten. Wir sind die Alternative für Demokraten.

Die AfD beklagt die wirtschaftliche Ungerechtigkeit in Deutschland. Wie gut geht es Deutschland wirklich – kommt Wohlstand bei allen an?

Lindner: Das habe ich von denen noch nie gehört. Im Bundestag beklagen vor allem wir das. Es ist unfair, dass der Staat immer höhere Einnahmen hat, die arbeitende Mitte der Gesellschaft wirtschaftlich aber nicht vorankommt. Deshalb müssen Steuern und Abgaben sinken, der Soli muss entfallen. Angesichts der Risiken von Brexit bis Trump müssen wir auch stärker in Zukunft investieren. 

Ist unsere Wirtschaft auf einem guten Weg, oder droht uns eine neue Finanzkrise?

Lindner: Die wirkliche Lehre aus der Finanzkrise wurde noch nicht gezogen. Das eigentliche Problem, dass Staat und privates Bankenwesen zusammengewachsen sind, ist noch nicht gelöst. So sind etwa in den Bankbilanzen Staatsanleihen ohne Risikoabsicherung vorhanden. Das ist keine Marktwirtschaft, sondern eine Bastard-Ökonomie, ein Hybrid zwischen Staat und Privat. 

Was halten Sie von einem möglichen Zusammenschluss von Commerzbank und Deutscher Bank?

Lindner: Die Wachstumschancen in Deutschland sind begrenzt. Ich bin Anhänger eines europäischen Bankenmarktes. Hierfür sind die Weichen noch nicht gestellt.

In Frankfurt droht ein Dieselfahrverbot. Wer ist Schuld daran?

Lindner: Es ist ein politisches Versäumnis: Die Grenzwerte sind lange bekannt, getan wurde zu wenig. Deshalb muss es jetzt ein Moratorium zur Einhaltung der Grenzwerte geben, denn die Innenstädte sind schon viel sauberer geworden. Außerdem müssen die Messmethoden geprüft werden. Dass in Neapel alles funktioniert und bei uns alles so viel schlechter sein soll, könnte vielleicht auch ein Hinweis auf die Messmethode sein. Darüber muss man mit der EU sprechen. 

Was sollte die Industrie zur Lösung des Problems beitragen?

Lindner: Die Hersteller müssen Nachrüstungen bei manipulierten Fahrzeugen schnell und auf eigene Kosten umsetzen. Bei legal zugelassenen Euro-5-Diesel brauchen wir einen Fonds, den Staat und Industrie füllen sollten. Umgerüstet werden sollten aber nur Fahrzeuge in den betroffenen Regionen. Bitte keine Geldverschwendung.

Sie erheben viele Forderungen. Hätte diese Regierung nicht doch eine liberale Handschrift gebraucht? Bereuen Sie, dass die FDP gekniffen hat?

Lindner: Die liberale Handschrift war mit Frau Merkel und den Grünen nicht erreichbar. Die Medien neigen dazu, Jamaika zu verklären. Jamaika ist im Nachhinein zu einer Art Sehnsuchtsort geworden. Aber wir waren da (lacht). Es wäre ein Wählerbeschaffungsprogramm für die AfD geworden. Beim nächsten Mal werden die Karten neu gemischt. 

Von Ihnen stammt der Satz, es gebe keine Probleme, sondern nur „dornige Chancen“ – wo sehen Sie diese dornigen Chancen in Bezug auf Ihre Partei heute am meisten?

Lindner: Wir haben ein riesiges Potenzial bei Frauen, die eine moderne Gesellschaftspolitik wollen, aber Gender-Ideologie ablehnen.