Wir schützen die Menschen vor finanzieller Überforderung und die Wirtschaft vor ruinösen Preisspitzen.

Christian Lindner
Main-Echo

Lesedauer: 4 Minuten

 

Die Regierung nimmt bis zu 200 Milliarden Euro in die Hand, um die stark gestiegenen Gaspreise zu deckeln. Dürfen Bürger und Unternehmen jetzt erwarten, dass der Staat die Preissteigerungen seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs komplett kompensiert?

Lindner: Nein. Das wäre weder ökonomisch möglich noch wäre es sinnvoll, weil wir ja Anreize für Sparsamkeit brauchen. Wir haben einen Abwehrschirm gegen den Energiekrieg aufgestellt. Wir mobilisieren unsere wirtschaftliche Stärke, damit keine Existenzen vernichtet werden. Wir schützen die Menschen vor finanzieller Überforderung und die Wirtschaft vor ruinösen Preisspitzen. Aber Einschränkungen und einen Strukturwandel in der Wirtschaft kann der Staat nicht verhindern.

Welche Größenordnung stellen Sie sich bei der Preisdämpfung vor? Werden die Gaspreissteigerungen, die es seit Februar 2022 gegeben hat, etwa um die Hälfte reduziert?

Lindner: Konkret kann man das zur Stunde noch nicht sagen. Die Marktpreise sollten vor allem durch ein größeres Angebot an Gas und Strom sinken. Daher bin ich zum Beispiel der Auffassung, dass alle drei laufenden Kernkraftwerke für die Zeit der Krise am Netz bleiben sollten. Von den abgeschalteten könnten mindestens zwei weitere reaktiviert werden.

Die Union warnt vor Mitnahmeeffekten durch den 200-Milliarden-Fonds für Gas: Wie verhindern Sie, dass internationale Gasanbieter jetzt das große Geschäft in Deutschland wittern?

Lindner: Wir sehen die Probleme. Deshalb haben wir eine Gaspreis-Kommission eingesetzt, in der Expertinnen und Praktiker sitzen. Klar ist, dass wir den Preis für unsere Energieabhängigkeit von Russland und Versäumnisse zahlen. Die Kosten für Energieimporte sind Ausdruck eines Wohlstandsverlustes. Ich kann als Finanzminister mit Krediten einen Abwehrschirm aufspannen, um die Schockwirkung zu reduzieren. Aber die Tatsache, dass wir Kapital ins Ausland verlieren, kann ich nicht ändern.

Was müssen wir mittelfristig tun, um unseren Wohlstand zu sichern?

Lindner: Wir müssen das Geschäftsmodell Deutschlands erneuern. Eine neue Politik der Wirtschaftsfreundlichkeit ist nötig. Das reicht von schnellen Planungs- und Genehmigungsverfahren über bessere Bildung, erleichterte Einwanderung von Fachkräften bis hin zu den öffentlichen Investitionen in Digitales und Infrastruktur. Auf Initiative der FDP werden in dieser Krise keine neuen Bürokratielasten beschlossen. Nach der Krise werden wir uns grundsätzlich mit unserer Wettbewerbsfähigkeit beschäftigten. Da günstiges Gas kein Wettbewerbsvorteil mehr ist, will ich debattieren, ob wir unsere Arbeitsplätze mit weltweit sehr hohen Energiepreisen und zugleich sehr hohen Steuersätzen erhalten. Das Steuerrecht wird wieder an Bedeutung für die Standortpolitik gewinnen.

Warum haben Sie sich entschieden, die 200 Milliarden Euro über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds zu finanzieren?

Lindner: Mir geht es nicht darum, die Schulden zu verstecken. Im Gegenteil versuche ich, den Staatshaushalt vor Anforderungen, Wahlgeschenken, Subventionen und Umverteilung zu schützen. Deshalb verteidige ich die Schuldenbremse, weil sie mir den Hebel gibt, die Interessen der Steuerzahler zu schützen. Die krisenbedingten Ausgaben, für die ich Kredite brauche, trenne ich daher bewusst ab. Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds ist streng zweckgebunden für Strom- und Gaspreisbremse und Wirtschaftshilfe. Für den Bundeshaushalt 2023 gilt dagegen die Schuldenbremse – als klares Signal an die Steuerzahler und die Kapitalmärkte, dass wir unseren stabilitätspolitischen Kurs nach der Krise insgesamt aufnehmen.

Ist mit dem Abwehrschirm endgültig auch für SPD und Grüne klar, dass die Schuldenbremse 2023 eingehalten wird?

Lindner: Da bin ich Realist. Teile der Sozialdemokraten und vor allem die Grünen, auch manche in der Union, sind prinzipiell gegen die Schuldenbremse. Sie wird dämonisiert als angebliche Investitions- und Zukunftsbremse. Dabei drückt sie nur die Notwendigkeit aus, Prioritäten zu setzen. Man kann nicht alles gleichzeitig wollen, sagt die Schuldenbremse, entscheidet euch. Bei mir können die Leute sicher sein: Ich tue das, was notwendig ist wie jetzt mit dem Abwehrschirm. Aber ich weiß genau, dass die Schulden von heute schon morgen mit Zins und Tilgung bedient werden müssen. Ich will nicht in die Lage kommen, dass wir für alte Schulden in Zukunft bei Bildung, Digitalisierung, Innovationen sparen oder sogar Steuern erhöhen müssen.

Sie geben Ihr Wort, dass die Schuldenbremse 2023 hält?

Lindner: Der Entwurf des Haushalts 2023 verbindet Rekordinvestitionen, Entlastungen und die Schuldenbremse. Der Kernhaushalt wird gewissermaßen wie die Bürger und die Wirtschaft ebenfalls vom Abwehrschirm geschützt.

Welche Tilgungsfrist stellen Sie sich für die 200 Milliarden Euro vor?

Lindner: Das werden wir im Zusammenhang mit der Gesetzgebung prüfen. Bei den Corona-Krediten hatte ich eine Tilgung zwischen 2028 bis 2058 vorgesehen. Nun muss man die Lage für diesen Abwehrschirm neu bewerten. Wann ist diese Krise beendet? Wie lange brauchen wir diesen Fonds?

Was passiert, wenn die 200 Milliarden nicht reichen?

Lindner: Wir schaffen eine Kreditermächtigung bis zu 200 Milliarden für die Zeit der Krise, also für 2022, 2023 und vielleicht 2024. Aber unsere Anstrengung muss darauf gerichtet sein, die 200 Milliarden möglichst nicht auszuschöpfen. Wir müssen das Energieangebot ausweiten: alle Kernkraftwerke ans Netz, neue Gas-Lieferquellen, möglichst wenig Strom aus Gas produzieren, schnell zusätzliche Kapazitäten der erneuerbaren Energien ans Netz. Je besser wir da vorankommen, desto weiter kommen wir auch mit den 200 Milliarden.

Sie schlagen vor, den EU-Importpreis für Gas zu kappen. Befürchten Sie nicht, dass dringend benötigtes LNG-Gas dann nach Asien verkauft wird?

Lindner: Es geht mir darum, bizarre Übertreibungen beim Gaspreis zu bekämpfen. Als Liberaler meine ich, dass der Staat Regeln setzen, sich aber sonst aus Märkten raushalten sollte. Aber wenn der Staat eingreifen muss in Ausnahmesituationen, dann sollte es mit aller Macht tun. Bezogen auf die Gasimporte ist meine Prüfidee, dass die EU eine Art atmenden Deckel für Importgas einführt. Dieser müsste spürbar oberhalb des Weltmarktpreises für Flüssiggas liegen. Denn es muss vermieden werden, dass die Gas-Tanker abdrehen und nach Asien statt nach Europa fahren. Dennoch könnte es durch ein solches Instrument gelingen, die absurden Preisspitzen abzuschneiden.