Wir brauchen mehr Angebot auf dem Wohnungsmarkt

Christian Lindner
Funke Mediengruppe

In vielen deutschen Städten wollen Menschen an diesem Wochenende gegen ausufernde Mieten demonstrieren. Unterstützen Sie diesen Protest, Herr Lindner?

Lindner: Die Politik muss dafür sorgen, dass es eine Auswahl an bezahlbarem Wohnraum gibt. Gegenwärtig wird dieses Thema aber für uralte und auch schon gescheiterte sozialistische Experimente missbraucht.    

Sie spielen auf ein Volksbegehren in Berlin an, das auf die Enteignung großer privater Immobilienunternehmen zielt.

Lindner: Enteignung halte ich weder rechtlich für möglich noch für geboten. Das eigentliche Problem – zu hohe Nachfrage trifft auf zu geringes Angebot - wird dadurch nicht gelöst. Enteignung schafft ja keinen zusätzlichen Wohnraum. Das Hauptproblem sind nicht private Immobilienunternehmen, sondern der Staat.

Das müssen Sie erklären.

Lindner: Der Staat gibt seine eigenen Flächen nicht günstig in den Markt, damit dort Wohnungen entstehen. Ein Beispiel in der Hauptstadt ist das Tempelhofer Feld, wo die Politik es nicht vermocht hat, für eine Bebauung zu sorgen. Der Staat ist auch nicht in der Lage, schnell Baugenehmigungen auszusprechen. Außerdem stellt dieser Staat immer höhere Anforderungen an Neubauten – von der Barrierefreiheit, auch dort, wo sie nicht immer benötigt wird, bis hin zu überregulierter Gebäudedämmung. All das verteuert Wohnungen. Ich fordere eine neue Politik, die schnell bezahlbaren Wohnraum schafft.  

Die große Koalition hat soeben die Mietpreisbremse verschärft.

Lindner: Ein Beratergremium, das von der Bundesregierung selbst eingesetzt worden ist, kommt zu dem Ergebnis: Die Mietpreisbremse bringt nichts. Sie ist teilweise sogar schädlich. Warum hört die Regierung nicht auf die eigenen Berater? Es wäre notwendig, alle Investitionsbremsen für neuen Wohnraum zu lösen. Ich verstehe nicht, warum in Deutschland lieber über Enteignung gesprochen wird.  

Sind die Mieten in Deutschland gerecht bemessen?

Lindner: Sie bemessen sich nach Angebot und Nachfrage. Insofern funktioniert der Markt - mit der Einschränkung, dass es in bestimmten Regionen zu wenig Angebot gibt. Dort müssen wir ansetzen. Klar ist natürlich auch: Ein Szenekiez mit einer begrenzten Zahl von Wohnungen führt zu steigenden Mieten. Mein eigenes Beispiel: Ich wohne im Berliner Stadtteil Schöneberg und nehme eine längere Anfahrt zum Regierungsviertel in Kauf. In Mitte würde eine vergleichbare Wohnung einen größerem Aufschlag kosten.

Die Wohnung, in der Sie mit Ihrer Lebensgefährtin wohnen, gehört Gesundheitsminister Jens Spahn. Ist er ein fairer Vermieter?

Lindner: Ja, marktüblich. Die allermeisten Vermieter sind fair und schöpfen oft die gesetzliche Möglichkeiten für Mieterhöhungen nicht mal aus. Es geht um Angebot und Nachfrage. Wir müssen allerdings erkennen: Es gibt die Notwendigkeit, Wohnraum zu schaffen. Der neue Wohnraum wird aber nicht immer dort sein, wo die Menschen gerade suchen. Völlig anders ist die Situation im ländlichen Raum. Da haben wir zum Teil sinkende Mieten.    

Sie rufen den Demonstranten also zu: Vertraut dem Markt.

Lindner: Nein, das wäre zu einfach. Ich sage den Demonstranten: Misstraut dem Staat, an dem die gegenwärtige Misere liegt. Ihr demonstriert gegen den Falschen. Zieht vor den Berliner Senat oder vor das Büro des Oberbürgermeisters von München.  

Ein anderer Protest ist zu einer europaweiten Bewegung geworden: die freitäglichen Schulstreiks für das Klima. Haben Sie Ihren Frieden damit gemacht?

Lindner: Ich hatte nie ein Problem mit Demonstrationen von Schülern. Ich habe nur unverändert ein Problem damit, dass diese Proteste während der Schulzeit stattfinden. Es macht mich fassungslos, dass Schulschwänzen von manchen Politikern heiliggesprochen wird. Es handelt sich um einen Regelbruch. Auch Arbeitnehmer dürfen ja während der Arbeitszeit nicht demonstrieren. Und auch Streiks sind nicht für allgemein politische Zwecke möglich, sondern nur für die Tarifauseinandersetzung.  

Greta Thunberg, die schwedische Initiatorin der Schülerproteste, ist für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen worden. Wie finden Sie das?

Lindner: Das sollten Ihre Leser selbst beurteilen. Das Anliegen der Schüler, das beim Klimaschutz etwas passieren muss, teile ich. Daher könnte ich dort auch demonstrieren. 

Ärgern Sie sich über Ihren Satz, Klimaschutz sei etwas für Profis?

Lindner: Nein, was ist daran falsch? Manche Mitbewerber wollten mir nur die Worte im Mund rumdrehen. Ich meine nämlich damit gerade nicht mich oder andere Politiker, sondern Ingenieure und Techniker. Mir geht es um die beste technische Umsetzung der Klimaziele von Paris. Und mein Vorschlag lautet: Wir geben die Menge des Kohlendioxids, das wir gemäß dem Abkommen bis 2050 noch ausstoßen dürfen, präzise in Tonnen an. Wer davon etwas will – für seinen Fuhrpark, seine Flüge oder seine Landwirtschaft -, der soll sich seinen Anteil des CO2-Budgets kaufen. Das wird einen Prozess der Schwarmintelligenz auslösen, die CO2 an der günstigsten Stelle einspart.

Wo wird das sein?           

Lindner: Ich glaube, dass die Menschen weiter Fernreisen machen wollen. Sie wollen auch nicht, dass Flüge teurer werden. Die Schwarmintelligenz ginge dorthin, dass Europa im nächsten Jahrzehnt der Pionier von Luftverkehr auf Wasserstoffbasis sein wird – ganz ohne schädliche Treibhausgase.

Sie bauen Luftschlösser.

Lindner: Im Gegenteil, an mangelnder Innovationsfreude leidet die Klimadebatte, weshalb permanent über Verbote gesprochen wird. Vor 14 Tagen saß der künftige Airbus-Chef Guillaume Faury in meinem Büro. Er sagt: Wir werden das können, wenn jetzt Grundlagenforschung eingeleitet und die rechtlichen Rahmenbedingungen gesetzt werden.

In der Regierung arbeiten vier Ministerien an konkreten Maßnahmen zur Verringerung von CO2.

Lindner: Ich bin grundsätzlich gegen den Ansatz, feste Einsparziele für den Verkehr oder die Landwirtschaft vorzugeben. Man kann doch gar nicht wissen, wo wann welcher technologische Quantensprung gelingt. Was die Regierung betreibt, ist eine Karikatur von Planwirtschaft. So haben nicht einmal die DDR oder die Sowjetunion gearbeitet. Mit dieser Methode bringt die Regierung nur die Menschen gegen sich auf. Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich sollten uns ein warnendes Beispiel sein. Wir können den Menschen nicht sagen: Bitte kein Fleisch essen, bitte keine Flugreise machen, bitte nicht Auto fahren.

Verkehrsminister Andreas Scheuer will gar nicht auf Verbote setzen, sondern auf Anreize.  Das müsste doch in Ihrem Sinne sein.

Lindner: Leider nicht. Die Politik von Herrn Scheuer und von Frau Schulze, der Umweltministerin, läuft auf dasselbe hinaus. Sie legen beim Auto einseitig eine Technologie fest – nämlich die Elektromobilität. Technologische Alternativen wie synthetische Kraftstoffe für Verbrennungsmotoren werden nicht berücksichtigt. Das halte ich für eine vorsätzliche Schädigung der deutschen Wirtschaft. Am Verbrennungsmotor hängen viele Arbeitsplätze. Wir könnten diese Spitzentechnologie klimaneutral machen. Aber dafür setzt die Regierung keinerlei Anreize.

All das klingt, als sei die FDP immer noch nicht bereit, Regierungsverantwortung mit Union und Grünen zu übernehmen.

Lindner: Wir orientieren uns an unseren Überzeugungen und laufen nicht anderen hinterher. Ich habe den Eindruck, dass inzwischen viele in der Union unsere Positionen teilen. Ich habe auch nichts gegen die Ziele der Grünen beim Klimaschutz. Ich teile sie sogar. Allerdings halte ich den Weg der Grünen und der Bundesregierung für teuer und unwirksam.

Der Höhenflug der Grünen hält an. Sind Sie manchmal neidisch auf den Parteichef Robert Habeck?

Lindner: Nein, warum sollte ich neidisch sein? Wir stehen nicht im Wettbewerb mit den Grünen, die sich selber im linken Lager verorten. Unsere Wähler stammen aus der Mitte der Gesellschaft. Ich freue mich darüber, dass die FDP in den Umfragen bei zehn Prozent steht – besser als die Umfragen vor der letzten Wahl. Würde jetzt gewählt werden, würden wir stärker, weil viele auf unsere Kompetenz setzen, die drohende Wirtschaftskrise abzuwenden.

Wie wollen Sie die Weichen stellen für die Landtagswahlen im Osten, wo die FDP es traditionell schwer hat?

Lindner: Wir machen keinen speziellen Wahlkampf Ost. Deutschland ist ein geeintes Land. Ich halte es fast für ehrenrührig, Ostdeutschland komplett anders zu sehen als Westdeutschland. Herr Habeck sagt, die Grünen hätten lange versäumt, sich um die Ostdeutschen zu kümmern. Viele Menschen wollen aber gar nicht, dass ein bevormundender Staat sich um sie kümmert, weil sie als erwachsene und fleißige Bürger ihr Leben in die eigene Hand nehmen wollen. Ich bin davon überzeugt, dass die FDP bei diesen Wahlen gut abschneidet.

Die Parteien machen den Ostdeutschen viele Versprechungen - von der Ansiedlung von Forschungseinrichtungen über eine Ost-Quote in Führungspositionen bis zur Bevorzugung beim Mobilfunknetz 5G. Was bietet die FDP? 

Lindner: Ich bin der festen Überzeugung, dass viele Menschen in Ostdeutschland abgestoßen sind von solchen Versuchen, sie zu beeinflussen und zu kaufen. Ich habe ein ganz anderes Bild von den Menschen im Osten. Das sind kluge und fleißige Leute, die nicht darauf warten, dass man ihnen neue Behörden bringt. Die Menschen wollen nicht zu hohe Steuern, nicht zu viel Bürokratie - und einen Staat, der Kontrolle bei der Einwanderung und der Bekämpfung von Kriminalität ausübt.