Wir brauchen einen Fahrplan

CL
Redaktionsnetzwerk Deutschland

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Herr Lindner, heute spricht die Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten, um zu entscheiden, wie es in der Corona-Krise weitergeht. Was muss diese Runde jetzt liefern?

Lindner: Wir brauchen einen Fahrplan, wie wir Schritt für Schritt mehr gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben ermöglichen. Die CDU-FDP-Regierung von Nordrhein-Westfalen hat eine Blaupause geliefert. Ein solcher Plan steht nicht mehr im Gegensatz zum notwendigen Gesundheitsschutz. Denn inzwischen haben wir alle viel über Distanzhalten im Alltag gelernt. Wir haben mehr Schutzausrüstung und die Kapazitäten im Gesundheitswesen sind erhöht worden. So wie es vor einiger Zeit nötig war, unser Land herunterzufahren, so ist es jetzt möglich, die Einschränkungen der Freiheiten vorsichtig zu lockern.

Welche Einrichtungen sollen zuerst wieder öffnen – und was muss warten?

Lindner: Wir sollten Regeln definieren, wie die Produktion in der Breite wiederaufgenommen werden kann und wie Handel und Gastronomie öffnen können. Im Bildungsbereich brauchen wir den Einstieg ins Schulleben – das wird aber nur nach und nach gelingen, denn wir müssen Vorsichtsmaßnahmen beachten. Es kann jetzt nicht gleich alles wieder werden, wie es vor der Corona-Krise war. Aber der jetzige Zustand muss so nicht fortgesetzt werden, weil die Kontrolle über das Virus mit milderen Mitteln möglich ist.

Was bedeutet das konkret?

Lindner: Nehmen Sie das Beispiel der Arbeit in der Industrieproduktion. Mir berichten Praktiker, dass viele Betriebe auf ein Schichtsystem setzen, um Distanz zwischen den Beschäftigten zu schaffen. Es wird desinfiziert, Schutzmasken werden getragen und bald sollte so oft wie möglich auf Corona getestet werden. Für solche Regeln braucht die Wirtschaft Vorbereitungszeit. Man kann ein Land sehr schnell von 100 auf 15 herunterfahren. Aber es von 15 wieder auf 85 hochzufahren, dauert länger. Deshalb sollten die Regierungen umgehend die Bestimmungen präzisieren.

Sprechen wir über die Geschäfte. Sie sind dafür, alle wieder sofort zu öffnen?

Lindner: Bei den Geschäften muss Schluss mit der Ungleichbehandlung sein. Ein Buchhändler in Berlin darf öffnen. Ein Elektrofachhandel, wo man ein Tablet kaufen kann, um ein Buch elektronisch zu lesen, bleibt bislang geschlossen. Das ergibt keinen Sinn. Eine intelligentere Strategie sieht eine Öffnung aller Geschäfte unter klaren Regeln vor: Es muss in den Geschäften desinfiziert werden. Die Servicekräfte müssen Schutzmasken tragen. Die Zahl der Menschen, die sich gleichzeitig im Geschäft aufhalten, muss begrenzt werden. Inklusive Einlasskontrolle.

Ist die Lösung wirklich so einfach?

Lindner: Ich halte das eher für aufwändig. Aber dieser Aufwand ist verhältnismäßig. Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, um unser freies Leben zurückzubekommen. Die sozialen, psychologischen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgeschäden des Stillstands sind hoch. Das heißt auch, dass wir für eine begrenzte Zeit die Sonntagsöffnung von Geschäften generell ermöglichen sollten. Auch so wird der Kundenverkehr entzerrt. Spezielle Einkaufszeiten für ältere Menschen und Gefährdete wären sinnvoll. Unter strenger Einhaltung von Mindestabstandsregeln ließe sich auch der Betrieb von Speiserestaurants wiederaufnehmen. Es darf eben nur eine begrenzte Anzahl Tische belegt werden und der Service muss Masken tragen.

Stichwort Schichtmodell. Wäre das für Sie auch an der Schule denkbar, indem etwa an einem Gymnasium die Schüler der fünften Klasse morgens um 8 kommen, die der Oberstufe aber erst am späten Nachmittag oder abends?

Lindner: Man kann über alles sprechen, allerdings gibt es Grenzen der Kapazität. Ältere oder Lehrkräfte mit Vorerkrankungen sollten gegenwärtig ja nicht in den Dienst. Priorität könnten die Abschlussjahrgänge sowie Jüngere haben, die betreut werden müssen. Und dann kann man nach und nach ausweiten. Ich sorge mich, dass vor allem die Schüler hinten runterkippen, die es ohnehin schwer haben. Wer zu Hause nur kaum gefördert werden kann, leidet am meisten. Wenn die Unterbrechung der Schule zu lang andauert, kann das nicht nur ein Schuljahr kosten, sondern die ganze Laufbahn.

Sie haben gesagt, die Regierung spreche zu den Bürgern wie zu Kindern. Was meinen Sie damit?

Lindner: Mir gefällt die Kommunikation der nordrhein-westfälischen Landesregierung besser als die der Bundesregierung. Die dortige schwarz-gelbe Koalition spricht offen darüber, dass eine Perspektive für eine Öffnung des öffentlichen Lebens notwendig ist. Die Bundesregierung hat hingegen eine solche Debatte zurückgewiesen. Selbst aus der CDU gab es Kritik an Armin Laschet.

Die Bürger fühlen sich offensichtlich bei der Kanzlerin gut aufgehoben, wenn man auf die Umfragen schaut…

Lindner: Es ist normal, dass die Menschen in der Krise Orientierung bei der Regierung suchen. Auch die FDP hat ja alle wesentlichen Maßnahmen mitgetragen. Allerdings melden sich immer mehr Menschen, die besorgt um ihre Existenz und die Freiheitsrechte des Grundgesetzes sind. Das nehme ich ernst.

Fühlen Sie sich für die Umfragewerte der FDP von gerade mal noch fünf Prozent als Vorsitzender persönlich verantwortlich?

Lindner: Als Vorsitzender ist man qua Amt für alles verantwortlich, aber erstens nicht allein und zweitens beschäftigen mich Umfragen nicht wirklich. Anfang 2017 standen wir ähnlich, dann wurden es fast 11 Prozent bei der letzten Wahl. Es geht um die Sache. Wir müssen den Staat im Großen handlungsfähig machen, aber zugleich schlanker dort, wo er nur kostspielig ist. Ich sehe eine Chance, die erkennbaren Defizite bei der Digitalisierung von Schulen und Verwaltungen zu beseitigen. Wir brauchen ein Programm für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg unseres Landes.

Der Staat nimmt jetzt 150 Milliarden Euro zusätzliche Schulden auf, um die Wirtschaft zu stützen. Schließen Sie aus, dass wir nach der Krise Steuererhöhungen brauchen?

Lindner: Bürger und Betriebe verbrauchen gerade Ersparnisse und Eigenkapital. Die Reserven müssen neu aufgebaut werden. Wir brauchen private Investitionen in Digitalisierung und Klimaschutz. Die Voraussetzung ist eine Steuerreform, die entlastet und Wachstum anregt. Aus den Schulden kann der Staat durch Kostendisziplin und eine starke Wirtschaft herauswachsen.