Wertschöpfung kommt nicht von Schulden und Umverteilung.

Christian Lindner Haushalt
Redaktionsnetzwerk Deutschland

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Herr Lindner, kaum liegt die Einigung über den Haushalt für 2025 vor, ist die Debatte um Nachbesserungen voll entbrannt.  Insbesondere der Wehretat erscheint vielen als zu niedrig angesetzt. Werden Sie nachbessern?

Lindner: Zusammen mit dem von mir angeregten Sonderprogramm für die Bundeswehr haben wir enorme Verteidigungsausgaben. Mit der nun noch vereinbarten Erhöhung des Verteidigungsetats um weitere 1,2 auf 53 Milliarden Euro liegen wir deutlich oberhalb der Nato-Quote von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung. Damit bewegen wir uns weit über den Verteidigungsausgaben anderer G7-Staaten wie Frankreich und Italien. Außerdem ist ein weiterer Aufwuchs für die kommenden Jahre geplant. 

Verteidigungsminister Pistorius hatte allerdings 58 Milliarden Euro gefordert. Und nun kritisierte er, die Ausgaben entsprächen nicht dem, was die von Kanzler Scholz ausgerufene Zeitenwende erfordert.

Lindner: Die Ausgaben für das Verteidigungsministerium wurden mit dem Bundeskanzler Scholz selbst vereinbart. Herr Pistorius war dabei. Im Übrigen entscheidet am Ende der Deutsche Bundestag als Haushaltsgesetzgeber.

Also jetzt gibt es keinen Nachschlag?

Lindner: Der Vorschlag der Regierung steht. Übrigens sollten wir schauen, dass wir pro eingesetztem Euro Steuergeld auch mehr Sicherheit und mehr Fähigkeiten für die Bundeswehr erhalten. Andere Länder sind zum Teil effektiver und effizienter, zeigen Studien.

Es ist ein durchaus realistisches Szenario, dass Trump der nächste Präsident der USA wird. Muss dann nicht der Verteidigungshaushalt völlig neu gedacht werden?

Lindner: Wir sollten auch für den Fall einer zweiten Amtszeit von Trump alles daransetzen, dass es weiter eine enge transatlantischen Partnerschaft gibt. Das ist nicht nur unser sicherheitspolitisches Interesse, sondern mit Blick auf China auch unser wirtschaftspolitisches. Gegenüber Washington werden wir in jedem Fall kluge Diplomatie brauchen.

Wenn die USA als Schutzmacht ausfallen und auch die Ukraine-Hilfe zurückfahren, brauchen wir vielleicht aber vier Prozent oder mehr.

Lindner: Wir sollten keine falschen Signale senden, dass wir von einem Ende der Nato ausgehen würden. Ich tue das nämlich nicht und arbeite aktiv auf meiner Ebene an guten Kontakten zu Demokraten wie Republikanern in Washington. Klar ist, dass wir immer auf Realitäten reagieren müssen. Es ist nicht auszuschließen, dass wir in der Zukunft weiter im Haushalt umschichten müssen. Der Schlüssel für mehr Wehrhaftigkeit in Europa ist zudem Zusammenarbeit. Jede Nation leistet sich eigene Systeme und zu wenig passt zusammen. Der äußere Druck sollte uns enger zusammen bringen.

Was muss passieren, damit Sie doch an die Schuldenbremse rangehen?

Lindner: Die kann ich nicht wie einen Lichtschalter bedienen, weil sie im Grundgesetz steht. Schulden führen auch zu steigenden Zinsen, die die Steuerzahler der Zukunft tragen müssen. Daueraufgaben wie Verteidigung könnte man nicht über Jahrzehnte mit steigenden Schulden finanzieren, das muss in den laufenden Etat eingepasst werden. Übrigens, auch wenn man Christian Lindner wegbeamen würde und es in Deutschland eine Zweidrittelmehrheit für die Aufweichung der Schuldenbremse gäbe, müssten die europäischen Haushaltsregeln gebrochen werden, um an mehr Geld zu kommen. Das würde einen Dammbruch auslösen und Europa in eine sehr gefährliche Lage bringen.

Die Sicherheitslage ist aber heute eine ganz andere als bei der Eurokrise ab 2009.

Lindner: Wir dürfen die äußere Sicherheit nicht gegen die ökonomische Stabilität ausspielen. Deutschland ist der Stabilitätsanker der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Das muss so bleiben. Eine Europäische Union, die ökonomisch abstürzt und das Vertrauen der internationalen Kapitalmärkte verliert, kann auch für ihre Sicherheit nicht mehr bezahlen. Nein, wir müssen mit dem Geld, das wir haben, auskommen. Schulden sind nur der Ausweg, wenn man vor unbequemen Wahrheiten flüchtet: Wertschöpfung kommt nicht von Schulden und Umverteilung, sondern von Leistungsbereitschaft und Mut zu Prioritäten.

Für Unmut sorgt auch der Beschluss der Koalition, zugewanderten Fachkräften befristet Steuerermäßigungen zu gewähren. Halten Sie dennoch daran fest?

Lindner: Dieser Vorschlag ist Teil eines Pakets und kann auch nur so verstanden werden. 23 Milliarden Steuerentlastung für die arbeitende Bevölkerung in den kommenden beiden Jahren, Verschärfung des Bürgergelds, Steuerfreiheit bei der Mehrarbeit, Bürokratieabbau und anderes. Nach Vorbild der Niederlande und Frankreich gibt es dann noch den Vorschlag, Fachkräften die Hürde nach Deutschland zu reduzieren. Vereinfacht gesagt: Fällt die Herzoperation aus oder wird sie von einem zugewanderten Chirurgen vorgenommen? Von diesen Fachkräften profitieren wir, wenn sie hier arbeiten und nicht anderswo.

Also das soll gar nicht für alle Fachkräfte gelten, die zuwandern?

Lindner: Nein, der Vorschlag bezieht sich auf Hochqualifizierte. Der Vorschlag ist leider bereits beschädigt, weil er in einen Topf mit den Problemen der ungeordneten Zuwanderung seit 2015 geworfen wurde und die Maßnahmen zur Entlastung von arbeitenden Bevölkerung unter den Tisch fielen.

Dann sprechen wir von ein paar Hundert Fällen im Jahr?

Lindner: Das Potenzial und der Mangel sind größer. Allerdings vermisse ich die Stimme der Wirtschaft in der Debatte. Von dort wird der Fachkräftemangel ja zu recht angesprochen. Die Regierung hat nach Europa geschaut und den Vorschlag gemacht, von anderen zu lernen. Wenn das nicht auf Resonanz trifft, nehmen wir das zur Kenntnis.

Was kostet das?

Lindner: Nichts, es soll Geld bringen. Wir wollen ja die Wirtschaft beleben und Menschen gewinnen, die hier auf ihre hohen Einkommen Steuern zahlen und nicht anderswo.

Wie soll der Rabatt konkret umgesetzt werden?

Lindner: Andere in Europa lösen das zum Beispiel über Freibeträge. Wir werden jetzt aber erst einmal das Gespräch mit der Wirtschaft führen. Aber ich will noch etwas zu der Debatte sagen: Wie soll dieses Land eigentlich aus dem Quark kommen, wenn wir nicht auch innovativer, experimenteller, unternehmerischer an die Fragen der Zeit herangehen? Noch bevor Details bekannt sind, beginnen manche leider sofort damit, Ideen zu zerreden.

Bei der Frage, wie es nun eigentlich mit der Kindergrundsicherung weitergeht, eiern Sie, Scholz und Habeck seit Tagen herum. Deshalb nun die klare Frage: Kommt die Kindergrundsicherung noch in dieser Wahlperiode?

Lindner: Bei der Höhe der Leistung ist bereits alles getan. Das haben wir immer klar gesagt. Warum? Es gibt einen Zusammenhang zwischen Kinderarmut, Arbeitslosigkeit und Migration. Es muss also darum gehen, die Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren und Sprachförderung für Eltern und Kinder zu intensivieren. Die administrative Zusammenfassung der unterschiedlichen Leistungen ist allerdings wesentlich komplexer als gedacht. 

Pardon, aber Sie eiern auch wieder. Was passiert jetzt konkret?

Lindner: Wir werden den Kindersofortzuschlag fortführen und den Kinderzuschlag anheben. Die ist das, was auf der Leistungsseite in dieser Wahlperiode zu tun ist. Zudem wird im Bundestag noch über das Kinderchancenportal verhandelt, ein Informationsangebot. Ob in dieser Wahlperiode bei der Zusammenarbeit der Behörden noch mehr möglich ist, wird sich zeigen. Eine neue Behörde mit vielleicht 5000 Mitarbeitern wird es aber mit der FDP nicht geben. Ich bin zudem nicht der Meinung, dass der Staat eine Bringschuld bei Sozialleistungen hat. Also das Mindeste, was man bei einer sozialen Leistung erwarten kann ist doch, dass die Menschen bereit sind, sich zu informieren und einen Antrag zu stellen.

Beim Bürgergeld haben Sie sich auf eine Reihe von Verschärfungen geeinigt. Wäre es nicht angemessen, wieder von Hartz-IV zu sprechen?

Lindner: Ich will niemanden mit Namen provozieren. Aber was jetzt auf dem Tisch liegt, stärkt erheblich den fordernden Charakter. Manche haben das Bürgergeld missverstanden als bedingungsloses Grundeinkommen. Deshalb verschärfen wir die Zumutbarkeitsregeln und die Mitwirkungspflichten. Dazu gehört zum Beispiel, dass sich die Bezieher von Bürgergeld mindestens einmal im Monat bei der Behörde melden müssen.

Aber noch einmal: Was unterscheidet das Bürgergeld überhaupt noch von Hartz-IV?

Lindner: Im alten System gab es paradoxe Regeln, etwa, dass Auszubildende aus einer Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaft von ihrer Ausbildungsvergütung so gut wie nichts behalten konnten. Das war leistungsfeindlich.

Es gibt derzeit ein starkes Missverhältnis zwischen der Zahl der Langzeitarbeitslosen und dem Arbeitskräftemangel, auch in einfachen Jobs. Wird die Reform zum Gamechanger?

Lindner: Sie wird dazu beitragen. Aber die Anreize zur Arbeitsaufnahme werden noch zunehmen. Schließlich haben wir in der Koalition vereinbart, dass es Anfang 2025 keine Erhöhung des Bürgergeldes geben wird. Die Sätze bleiben da, wo sie jetzt sind. Schließlich hat es Anfang des Jahres eine Überkompensation gegeben, weil von einer zu hohen Inflationsrate ausgegangen wurde. Gleichzeitig werden wir 2025 die Steuern spürbar senken, Stichwort kalte Progression. Damit wächst der Lohnabstand deutlich.

Wollen Sie eigentlich bei der kalten Progression erneut die Reichensteuer ausnehmen, die Einkommensgrenze von rund 278.000 Euro also unverändert lassen?

Lindner: Alles so wie beim Inflationsausgleichsgesetz 2022, also steigende Freibeträge, Verschiebung Lohn- und Einkommensteuertarif sowie später fälliger Solidaritätszuschlag. Der Beginn der so genannten Reichensteuer bleibt.

Lassen Sie uns nochmal auf den Haushalt zurückkommen. Es fehlen noch etwa sechs Milliarden Euro. Die Vorschläge des Kanzleramtes, etwa ungenutzte KfW-Mittel aus der Gaspreisbremse zu nutzen, scheinen Ihnen suspekt. Wie geht es hier weiter?

Lindner: Das ist ja nicht der einzige Vorschlag des Kanzleramts. Wir werden alle auch unter Einbeziehung externer Gutachter prüfen. Eines kann ich aber jetzt schon sagen: Nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts werde ich als Bundesfinanzminister keine neuen verfassungsrechtlichen Risiken verantworten.

Und was passiert, wenn die Prüfung genau das ergibt?

Lindner: Dann müssen wir weiter umschichten.

Wo?

Lindner: Ich bitte um Verständnis, dass ich das jetzt nicht öffentlich diskutiere. Wir werden das zunächst intern klären, wenn es notwendig sein sollte.

Besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass am Ende die Haushaltseinigung zwischen Scholz, Habeck und Ihnen gar keinen Bestand hat?

Lindner: Der Vorsitzende der SPD-Fraktion hat ja schon öffentlich erklärt, dass er de facto weiter die Aussetzung der Schuldenbremse will. Man kann aber die Demokratie nicht verteidigen, indem man dauernd die Verfassung infrage stellt.

Nach dem Streit ist vor dem Streit?

Lindner: Ich habe die Äußerungen von Herr Mützenich gleich nach Ende der Verhandlungen bedauert.

Können Sie sich - auch unter Berücksichtigung der Erfahrungen der vergangenen Woche - vorstellen, die Ampelkoalition über 2025 hinaus fortzusetzen?

Lindner: Die FDP geht eigenständig in die nächste Wahl. Danach wird man schauen, wo es politische Gemeinsamkeiten gibt. Robert Habeck hat nun öffentlich gesagt, nach der nächsten Bundestagswahl werde man nicht schnell genug bis drei zählen können, bis die Schuldenbremse falle. Wenn man das Ernst nimmt, rechnet er jedenfalls nicht mehr mit einer Ampelkoalition, sondern damit, dass Friedrich Merz sofort bei Schwarz-Grün bei der Schuldenbremse umfällt. Für die FDP ist das eine große Motivation für den Wahlkampf.