Wer vermummt Flaschen wirft, ist ein Straftäter

Christian Lindner
Neue Osnabrücker Zeitung

Herr Lindner, Außenminister Sigmar Gabriel und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz plädieren dafür, G-20-Konferenzen künftig im UN-Gebäude in New York auszurichten. Richtig?

Lindner: Ich halte es für merkwürdig, dass Fragen der internationalen Gipfeldiplomatie zum Gegenstand deutschen Wahlkampfs werden. Es darf nicht der Eindruck entstehen, die Gipfelteilnehmer würden sich irgendwo verstecken. Wichtiger als die Frage des Tagungsortes sind ohnehin die Tagungsergebnisse. Also dass es Ergebnisse für die Entwicklung Afrikas, des internationalen Handels und des Klimaschutzes gibt.

Wegen des G-20-Gipfels wurde Hamburg zu einer Art Hochsicherheitstrakt. Mehr als 100 000 Gegendemonstranten werden erwartet, darunter bis zu 8000 gewaltbereite ...

Lindner: Wer vermummt mit Flaschen auf Polizisten wirft, ist kein Gipfelgegner oder Demonstrant, sondern ein Straftäter. Dafür gibt es keine Entschuldigung, und dafür darf es keine Toleranz geben. Auf der anderen Seite ist das Demonstrationsrecht ein wichtiges Gut unserer liberalen Demokratie. Mein Eindruck ist, dass die Polizei hier bislang einen guten Ausgleich geschafft hat. Die Demonstranten liegen aber in der Sache falsch. Sie wehren sich gegen Dialog und setzen auf Abschottung. Dabei müssten sie doch begrüßen, wenn führende Nationen zusammenarbeiten und man der Globalisierung faire Regeln geben will.

Die SPD hat die Kanzlerin aufgefordert, gegen den US-Präsidenten Donald Trump auf dem G-20-Gipfel eine 19:1-Mehrheit zu organisieren, weil dieser das Weltklimaabkommen aufkündigen will ...

Lindner: Wer schon vor Beginn eine Isolation der USA empfiehlt, der will ein Scheitern des Gipfels. Die Fehler, die beim russischen Präsidenten Wladimir Putin gemacht wurden, die sollten bei Trump nicht wiederholt werden. Das Ziel muss sein, den US-Präsidenten zu überzeugen, dass seine einseitige Haltung gar nicht im Interesse seines Landes ist. Erst wenn es keine Verständigung gibt, sollte man die Ergebnisse ohne die USA festhalten. Aber dass ausgerechnet aus der Partei des Außenministers Gesichtsverluste oder Brüskierungen zur Erwartungshaltung gemacht werden, halte ich für grundfalsch.

Zur Innenpolitik: In ihren Wahlprogrammen kündigen Union wie SPD eine Steuerentlastung von jährlich 15 Milliarden Euro an. Ein Konsens der Knausrigkeit?

Lindner: Ja, genauso ist es. Eine Steuerentlastung von 35 bis 40 Milliarden Euro jährlich wäre eine Frage der Fairness gegenüber den Bürgern. Das wäre machbar und ökonomisch sinnvoll. Wir müssen dafür sorgen, dass Deutschland auch künftig eine stabile wirtschaftliche Entwicklung hat. Die Voraussetzung dafür sind Investitionen. Menschen müssen sich Lebensträume erfüllen und sich Dinge kaufen können. Nicht zuletzt ist es erforderlich, dass Bürger für ihr Alter vorsorgen können. Gegenwärtig greift der Staat so stark zu, dass eine Familie mit normalem Einkommen in der Mitte des Lebens nicht das Kapital ansparen kann, um eine Wohnung zu kaufen und später die Hypothek abzuzahlen. Das muss sich verändern. Wir müssen das mietfreie Wohnen im Alter für die Menschen erreichbar machen. Das ist und bleibt die beste Altersvorsorge.

Sie sagen, die Gier des Staates habe kleptokratische Züge angenommen. Hat der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) darauf reagiert?

Lindner: In Wahrheit gönnt Herr Schäuble den Menschen ja nicht einen Cent. Wir werden die Belastungsgrenze der Bürgerinnen und Bürger natürlich zu einem unserer Themen im Wahlkampf machen. Dass die Union sich bewegt, ist sicherlich eine Reaktion auf das möglich gewordene Comeback der FDP. Wie immer will die CDU anderen die Themen wegnehmen. Aber sie tut es ohne steuerpolitische Courage. Für uns ist klar: Der Solidaritätszuschlag muss in der kommenden Wahlperiode komplett entfallen, weil auch der Solidarpakt Ost beendet wird.

Die Wahlprogramme von Union und SPD unterscheiden sich nur in Nuancen…

Lindner: Letztlich lassen sich beide Programme mit zwei Worten beschreiben: „Weiter so“. Das ist aber gefährlich, weil sich die Welt fundamental ändert. Die Digitalisierung ändert alles. Da ist aber noch viel zu tun, damit man in Deutschland wirklich so gut und gern leben kann – wie es die Union in ihrem Programm behauptet.

Sie wurden früher einmal als Sozialliberaler bezeichnet …

Lindner: Wer Freier Demokrat ist, der sorgt sich darum, dass jeder Mensch sein Leben selbstbestimmt führen kann – egal, in welche Familie er geboren ist. Deshalb ist uns weltbeste Bildung für den Einzelnen auch so ein wichtiges Thema. Das ist aber nicht sozial-liberal, sondern einfach liberal.

In NRW koalieren Sie mit der CDU. Eine Blaupause für den Bund?

Lindner: Nein, wir gehen eigenständig in die Wahl. Es dominieren im Bund andere Themen wie Europa, Energie, Migration. Wir wollen keine Vergemeinschaftung von Schulden in Europa. Die FDP will die planwirtschaftliche Energiewende korrigieren, damit wir Klimaziele besser und günstiger erreichen. Wir wollen die Trennung von Flüchtlingspolitik und gesteuerter Einwanderung, die Fachkräfte ins Land holt. Da trennt uns im Bund einiges von der CDU.

Zum Schluss: CDU-Generalsekretär Peter Tauber hat sich Ärger eingehandelt mit der Bemerkung „Wenn Sie was Ordentliches gelernt haben, dann brauchen Sie keine drei Minijobs“. Hat er Minijobber diskreditiert?

Lindner: Jeder Mensch, der sich anstrengt und sein Leben in die Hand nimmt, hat Respekt verdient. Egal ob er Vollzeit, Teilzeit oder im Mini-Job arbeitet oder arbeitslos ist, aber sich anstrengt, da wieder rauszukommen. Man sollte aber auch Mini-Jobber nicht nur als bedauernswerte Menschen darstellen, für die das eine unqualifizierte Notlösung ist. Der Mini-Job ist für manche auch einfach eine flexible Beschäftigungsform in ganz unterschiedlichen Lebenslagen. Die CDU/FDP-Regierung in Nordrhein-Westfalen will den Minijob deshalb stärken und den möglichen Verdienst erhöhen. Darauf haben die Liberalen gedrängt.