Wenn man etwas in seinem Leben ändern will, warum warten?

Christian Lindner
BUNTE

Lesedauer: 7 Minuten

 

Sind Sie mit dem neuen Jahr schon warm geworden?

Lindner: Die Wochen zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstreffen am 6. Januar ist die Zeit im Jahr, die wirklich nur Freunden und Familie gehört. Schon seit einigen Jahren verbringen meine Frau und ich den Jahreswechsel mit Menschen, die uns lieb sind, auf Sylt. Man kann lachen, essen, Sport treiben oder mal Monopoly oder „Mensch ärgere dich nicht“ spielen. Für uns ist Sylt ein Sehnsuchtsort: Das raue Wasser, die steife Brise, Wandern an fast leeren Stränden – das lieben wir, da fühle ich mich innerlich frei und erfrischt. Danach sind die Batterien wieder voll.

Haben Sie Vorsätze fürs Jahr?

Lindner: Nein, mein Prinzip ist: Wenn man etwas in seinem Leben ändern will, warum warten? Viele Dinge muss man hinnehmen, weil man sie nicht ändern kann. Aber alles, was auf freier Entscheidung basiert, sollte man angehen. Ich habe eher Jahresziele. Oft nehme ich mir vor, etwas Neues zu lernen. 2023 will ich schauen, ob ich beim Kochen vom Level Grillen, Rührei und Nudeln weiterkomme.

Was tun Sie noch für Ihre Gesundheit?

Lindner: Im Finanzministerium haben wir einen Sportraum. Gelegentlich verbringe ich die Mittagspause auf dem Laufband. Zuhause habe ich auch ein paar Geräte. Dabei streame ich dann eine Serie. Vor zwei Jahren habe ich durch meine Frau das Reiten als Sport entdeckt. Das ist nicht nur Training, sondern auch gut für die Seele. Ein großes Tier mit eigenem Willen, das Dich trägt und mit dem Du eine Beziehung aufbauen musst. Bevor ich Minister wurde, habe ich ab und an eine Reitstunde genommen. Jetzt komme ich nur im Urlaub dazu.

Jetzt sind Sie über ein Jahr im Amt. Oft verändert das Amt den Menschen mehr, als der Mensch das Amt…

Lindner: Ob das stimmt, weiß ich nicht. Klar ist aber, dass das letzte Jahr mit den vielen verbundenen Krisen außergewöhnlich war. Es mussten unter großem Zeitdruck Entscheidungen mit gigantischen finanziellen Dimensionen getroffen werden. Es ging um das tägliche Leben von Millionen Menschen und viele Milliarden Euro. Dabei konnte ich oft nicht nach Lehrbuch oder Parteiprogramm vorgehen. Ich habe oft lange gegrübelt, weil es manchmal keinen hundertprozentig richtigen Weg gibt, sondern nur eine unter schwierigen Bedingungen vielleicht am wenigsten schlechte Lösung. Ja, wir müssen in der Energiekrise Schulden machen, um Menschen und Betriebe zu entlasten. Aber auf der anderen Seite drohen Menschen ihre Existenzen zu verlieren und können ihr Leben nicht bezahlen. Dann lieber die Mittel des Staates nutzen, um Strukturen, Existenzen und Familien zu schützen. Mich hat das Demut gelehrt.

Sind Sie reich?  Oder zählen Sie sich wie Friedrich Merz zur „gehobenen Mittelschicht“?

Lindner: Einem Menschen aus ihrem Bekanntenkreis würden Sie diese Frage nicht stellen, oder? Da respektiert man eher die Privatsphäre. Entscheidend im Leben sind Liebe, Freundschaft, Gesundheit und Freiheit. Es sind Dinge, die man nicht kaufen kann. So kann ich heute auch sagen, dass ich mit dem Wesentlichen ins Leben gestartet bin. Nämlich Werten, die meine Eltern mir vermittelt haben.

Welche Werte sind das? Ihre Jugend war ja als Scheidungskind nicht ganz einfach...

Lindner: Ich hatte eine glückliche Kindheit, auch wenn meine Eltern sich früh getrennt haben. Ich habe eine besondere Leistungsfreude vermittelt bekommen: Wenn Du etwas willst, dann musst Du Dich dafür anstrengen. Außerdem vielleicht das Streben nach Unabhängigkeit, weil ich früh recht erwachsen sein musste. Glück hatte ich auch, dass mir das öffentliche Gymnasium in meiner Heimatstadt Wermelskirchen eine gute Ausbildung ermöglicht hat. Ich habe mir zwar vieles ohne Lottogewinn oder geerbtes Vermögen erkämpft, aber eben von einer guten Basis aus. Die haben nicht alle. Deshalb ist für mich die Bildungspolitik auch ein Herzensanliegen. Der Zufall der Herkunft aus einem Elternhaus oder der Stadtteil, in dem Du wohnst, dürfen nicht über den Lebensweg entscheiden.

Heute genießen Sie es ab und zu Porsche zu fahren…

Lindner: Andere Dinge sagen vermutlich mehr über mich aus. Aber ja, ich habe ein vierzig Jahre altes Liebhaberstück in der Garage. Ich nenne es automobiles Kulturgut. Aber auf mehr als 500 Kilometer im Jahr komme ich kaum.

500 km klingen nach wenig Freizeit und Spaß. Wie gehen Sie mit der zeitlichen Herausforderung Ihres Amtes um?

Lindner: Ich habe immer viel gearbeitet. Die zeitliche Inanspruchnahme ist keine Last, ich mache es gerne. Aber im ersten Regierungsjahr diese Krisen und die G7-Präsidentschaft zusammen waren physisch und intellektuell sehr fordernd. Der Unterschied zwischen Regieren und Opposition ist enorm. Trotz allem versuche ich mir, etwas Freiraum zu erhalten. Der Kopf muss frei bleiben und Kontakt zu Freunden außerhalb der Politik erdet. Mindestens einen Abend pro Woche brauche ich, damit meine Frau und ich uns synchronisieren können. Und wenn es gut läuft, dann habe ich auch noch einen Vor- oder Nachmittag in der Woche, an dem ich in die Natur gehe oder etwas mit Freunden unternehme.

Wie sehr belastet das Ministeramt eine Partnerschaft?

Lindner: Das hat nichts mit dem Ministeramt im Speziellen zu tun. Alle Paare, die zeitaufwändige Berufe haben und Verantwortung tragen, sind da gleich. Man muss einen Umgang damit finden. Wir sehen uns in der Regel jeden Tag – wenn es irgendwie geht, komme ich nachts auch weite Strecken heim. Wir sind nicht nur ein Paar, sondern auch beste Freunde. Es hat für mich oberste Priorität, dafür Zeit und Aufmerksamkeit zu haben. Die Liebe steht an erster Stelle. Wenn ich einen freien Nachmittag habe, begleite ich Franca auch gerne zu ihren Leidenschaften. Neuerdings hat sie wieder ein Pferd, nachdem sie viele Jahre wegen Ausbildung und Beruf pausiert hatte. Natürlich fahre ich da mal mit in den Stall.

Wie denken Sie darüber, dass Ihrer Frau unterstellt wird, dass sie auf Grund der Hochzeit mit Ihnen nicht mehr unabhängig über Politik berichten kann?

Lindner: Darüber habe ich neulich noch nachgedacht, als Louis Klamroth Nachfolger von Frank Plasberg wurde. Er ist ja mit der Klimaaktivistin Luisa Neubauer liiert. Auf die Idee, ihm deshalb mangelnde Objektivität vorzuwerfen, wäre ich nicht gekommen. Dass er offensichtlich viele linke Positionen teilt, war vorher offensichtlich und hat gewiss nichts mit seiner Partnerin zu tun. Wer meine Frau kennt, der weiß, dass die Vorstellung geradezu absurd ist, dass man ihr morgens politische Botschaften einflüstert, die sie dann unkritisch verbreitet. Sie ist absolut unabhängig und eigenständig ist. Im Gegenteil muss ich mich zuhause gelegentlich rechtfertigen. Denn in manchen Fragen ist Franca konservativer als ich. Deshalb möchte ich auch umgekehrt nicht, dass jede These von Franca automatisch mir zugeordnet wird (lacht).

Es ist toll, dass sie weiter macht und nicht wie Doris Schröder-Köpf aufhört.

Lindner: Die Zeit, in der sich die Frau unterordnet, ist hoffentlich endgültig vorbei. Der richtige Umgang damit ist Transparenz. Dann können sich die Menschen selbst ein Bild machen. Ich glaube der Weg, den meine Frau gewählt hat, ist zukunftsweisend.

Apropos Zukunft. Wie sieht Ihre Familienplanung aus?

Lindner: Kinder können wir uns gut vorstellen. Aber hier gilt wie in der Politik das Prinzip: Weniger ankündigen und mehr liefern. 

Wie viele sollen es denn werden?

Lindner: In diesem Fragen habe ich mir abgewöhnt, irgendwelche Pläne zu entwerfen. Das hat auch etwas mit Schicksal zu tun. Außerdem muss meine Frau entscheiden. Die Natur hat es ja so eingerichtet, dass der Mann erst größere Beiträge leisten kann, wenn der neue Erdenmensch da ist.

Wie würden Sie als Minister Kind und Karriere wuppen?

Lindner: Wenn ein kinderloser Mann darüber spekuliert, dann lachen sich die erfahrenen Mamas und Papas schlapp. Ich habe bei Freunden erlebt, wie sehr deren kleine Töchter oder Söhne sie verändert haben. Das wäre bei mir vermutlich genauso. Also lässt man sich etwas einfallen.

Neuerdings betreiben Sie auch Ahnenforschung. Wie sind Sie dazu gekommen?

Lindner: Vielleicht hat der Wunsch nach einer eigenen Familie dazu geführt, dass ich mich mit meinen Wurzeln und denen meiner Frau befasst habe. Ich kann die Linie meines Vaters elf Generationen zurückverfolgen, die älteste Linie meiner Mutter bis etwa 1180. Noch spannender ist aber die Suche nach lebenden Verwandten. Bei den Lindners habe ich Nachfahren der Geschwister meines Urgroßvaters ermittelt. Von der Verbindung wusste schon Jahrzehnte niemand mehr. Die sind natürlich aus allen Wolken gefallen, als ich angerufen habe. Was mir aufgefallen ist: Ich bin nur auf Grund meiner Mutter katholisch getauft. Ein Urgroßvater mütterlicherseits kam 1919 aus Polen ins Rheinland. So kam das Katholische in meine Familie, ansonsten alles Protestanten. Sogar relativ bekannte evangelische Theologen des 16. Jahrhunderts aus Eschwege. 

Bringt Ihnen das die Religion wieder näher? Können Sie sich einen Wiedereintritt in die Kirche vorstellen? 

Lindner: Ich habe meinen Amtseid auf Gott geschworen. Denn als ich mit 18 aus der katholischen Kirche ausgetreten bin, habe ich ja nicht aufgehört mir die große Frage des Lebens und der Metaphysik zu stellen: Was dürfen wir hoffen? Und die Frage: Wo komme ich her, führt ja auch zu der Frage: Wo gehen wir hin?

Sie waren immer der jüngste: Abgeordneter, Parteichef, Finanzminister – ist Politik für Sie eine Droge?

Lindner: Nein, ich bin in jeder Hinsicht unabhängig. Aber ich liebe die Freiheit, ich will etwas voranbringen. Ich bin auf andere Menschen neugierig. Und lehne Neid, Hass und Intoleranz ab. Für dieses Lebensgefühl und diese Werte muss man in Deutschland kämpfen. Deshalb mache ich Politik. Ich habe mir aber eine ironische Distanz und Fröhlichkeit bewahren. Mit Gelassenheit erreicht man seine Ziele oft leichter.

Es gab Vorwürfe wegen Ihres Hauskredits bei einer Bank. Wie erleichtert sind Sie, dass die Generalstaatsanwaltschaft Berlin Entwarnung gegeben hat?

Lindner: Auch den Vorgang habe ich gelassen betrachtet, denn da war nichts unsauber. Es gab ja auch keine Vorwürfe, sondern nur Geraune und die Erweckung von Anschein in manchen Medien. Wie erwartet hat die Generalstaatsanwaltschaft das komplett abgeräumt. Ich gebe einer politischen Grundrichtung ein Gesicht. Auseinandersetzungen sind da erwartbar. Mitunter wird auch Privates und Persönliches in die politische Arena gezogen. Ich kann mit solchen Situationen umgehen. Aber ich versuche so gut es geht, Familie und Freunde zu schützen.