Warum wir eine starke FDP brauchen

Christian Lindner
BILD am Sonntag

Frau Teuteberg, Ihre ersten 100 Tage als Generalsekretärin der FDP sind fast um. Die Liberalen stagnieren in den Umfragen bei 8 bis 9 Prozent. Wer braucht eigentlich noch die FDP?

Teuteberg: Unsere Sorge gilt nicht Umfragewerten, sondern dem weiteren Weg unseres Landes. Deutschland ist technologisch abgeschlagen, verliert gegenüber Asien an Wettbewerbsfähigkeit und führt stattdessen Moraldebatten. Wir haben kein Abo auf Wohlstand, sondern sind gerade auf dem Weg, ein Museum zu werden. Um das zu verhindern, braucht es eine starke FDP.

Von der Schwäche der Großen Koalition profitieren fast nur die Grünen. Was kann die FDP von den Grünen lernen? 

Teuteberg: Wir haben unseren eigenen Kompass. Wir stehen für Lösungen, die die Grundlagen unseres Wohlstands und gesellschaftlichen Zusammenhalts nicht gefährden.

Inzwischen loben auch viele Unternehmer die Grünen und wollen sich stärker für Nachhaltigkeit einsetzen. Verlieren Sie Ihre Kernklientel an die Konkurrenz?

Lindner: Der BASF-Chef zum Beispiel lobt die Grünen, obwohl sein Unternehmen und dessen Arbeitsplätze durch Bürokratie und Energiekosten schon belastet wird. Wer die Grünen lobt, muss dann auch mit deren Politik klarkommen. Die FDP steht da in der Sache der Chemie- Gewerkschaft näher, die die Folgen für Facharbeiter im Blick behält und auf Technologie setzt. Für Ökologie setzen wir uns ja ebenfalls ein. Wir erzielen mit wirtschaftlicher Freiheit und Selbstverantwortung aber bessere Ergebnisse. Natürliche Ressourcen sollten wir gerade nicht der Staatswirtschaft überlassen, die, wie beim Berliner Flughafen, oft versagt. 

Teuteberg: Die Sehnsucht nach billigem Beifall ist bis in die Wirtschaft hinein verbreitet. Wir setzen weiter auf Erfindergeist und soziale Marktwirtschaft. Wir wollen Klimaschutz dank neuer Technologien und Gründermentalität statt mit Planwirtschaft und Verboten. Die Grünen wollen Flugscham auslösen und Flugreisen verteuern, wir wollen neue Antriebe entwickeln und die Bahn attraktiver machen.

Das wollen alle. Konkret: Was halten Sie von der Idee der Grünen, eine Kerosinsteuer auf Inlandsflüge einzuführen und dafür die Mehrwertsteuer auf Bahntickets abzuschaffen? 

Lindner: Das ist eine Symboldebatte. Inlandsflüge machen 0,3 Prozent unseres CO2-Ausstoßes aus. Wenn wir CO2 einen marktwirtschaftlichen Preis geben, würde es zuerst dort eingespart, wo die Kosten günstig sind. Momentan gibt es beim Heizen und Wohnen viel zu tun. Unsere Vision ist, Klimaschutz mit freier Lebensweise und wirtschaftlicher Stärke zu verbinden. Sonst folgt unserem Beispiel niemand auf der Welt. 

Teuteberg: Bei der Bahn geht es in erster Linie um Pünktlichkeit und Verfügbarkeit von Verbindungen. Wir müssen schaffen, dass das Auto klimafreundlich wird - über E-Mobilität, Wasserstoffantrieb oder synthetische Kraftstoffe. Wir sollten da auf deutsche Ingenieurskunst setzen. Außerdem sollten wir die Chancen der CO2-Speicherung durch Aufforstung global nutzen.

Herr Lindner, im letzten BamS-Interview haben Sie gefordert, Klimaschutz "den Profis zu überlassen". Dafür sind Sie sehr hart kritisiert worden. Stehen Sie noch zu dieser Aussage? 

Lindner: Dummerweise war mein Satz so missverständlich, dass ich es Gegnern leicht gemacht habe, uns zu denunzieren. In der Sache meine ich, dass Politiker, Journalisten und Schüler über demokratische Ziele streiten sollten. Aber in Deutschland sollten wir wieder stärker Ingenieuren, Technikern und Naturwissenschaftlern bei der Umsetzung vertrauen. Zu dieser Meinung stehe ich, denn ich selbst könnte die Wirkungsweise einer Brennstoffzelle nicht exakt erklären. Deutschland wird von zwei Parteien polarisiert: der AfD, die Missmanagement bei der Migration nutzt, und den Grünen, die nur über das Klima sprechen. Diese beiden Themen sollten rasch parteiübergreifend gelöst werden.

Wie meinen Sie das konkret? 

Lindner: Die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer hat einen nationalen Klimakonsens gefordert und alle Parteien eingeladen, die Regierungsverantwortung in Bund oder Ländern tragen. Dazu sind wir bereit. Bei der Zuwanderung sollte dasselbe passieren. Wenn wir bei Klima und Migration den gordischen Knoten durchschlagen, können wir uns endlich auch wieder mit anderen Themen beschäftigen. Digitalisierung, wirtschaftliche Erneuerung und vor allem Bildung. Weltbeste Bildung sollte das Mondfahrtprojekt Deutschlands werden - von der Kita bis zur Uni.

Vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen wird hauptsächlich über die AfD geredet, die FDP muss um die 5-Prozent- Hürde kämpfen. Warum tut sich Ihre Partei im Osten so schwer? 

Teuteberg: Wir tun uns gar nicht mehr so schwer wie früher. Wir liegen aktuell bei Umfragen in allen drei Ländern seit über einem Jahr über 5 Prozent. Wir werden den Sprung in alle drei Landtage schaffen! 

Lindner: Jeder, der die AfD wählt, muss wissen, dass das ein Risiko ist. Um Länder, in denen die AfD stark ist, werden Investoren in Arbeitsplätze und Touristen einen Bogen machen. Und noch greift die Höcke-Partei nur Minderheiten wie Migranten an. Danach werden sie alle attackieren, die von der von ihnen als richtig erachteten Lebensweise abweichen. Wer in Ostdeutschland die AfD wählt, um denen in Berlin eins auszuwischen, schadet sich am Ende selbst.

Als die Mauer vor 30 Jahren fiel, waren Sie beide noch Kinder. Wie haben Sie diese Zeit erlebt? 

Teuteberg: Als unheimlich aufregend und bewegend. Ich habe ja als Kind schon mitbekommen, dass wir nicht reisen dürfen. Dass unsere Verwandten aus dem Westen uns besuchen können, aber wir nicht sie. Am 10. November, dem Tag nach dem Mauerfall, bin ich mit meinen Eltern im Trabi nach Berlin gefahren. Wir alle waren wahnsinnig aufgeregt. Meine Mutter hat vor Freude geweint, überall herrschte große Euphorie. 

Lindner: Auch unsere Familie war geteilt: Im Spreewald und Sachsen habe ich Verwandtschaft. Ich erinnere mich, dass man beim Briefeschreiben auf jedes Wort achten musste. Auch die Probleme bei der Versorgung im Osten habe ich als Kind mitbekommen.

In Umfragen fühlen sich viele Ostdeutsche als die Verlierer der Wende ... 

Teuteberg: Diese Gefühle muss man ernst nehmen. Die bemerkenswerte Allianz zwischen AfD und Linke, die jetzt die Treuhand zum Sündenbock der Wiedervereinigung machen wollen, vergiftet und spaltet. Es gibt im Osten unserer Republik Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen, großen Leistungen und Grund zur Zuversicht. Da verbietet sich auch jede Arroganz eines Robert Habeck, der die Demokratie nach Thüringen bringen wollte. Vielmehr gibt es im Osten noch ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass man für Wohlstand arbeiten muss und physikalische Naturgesetze nicht durch besonders gefühlige Worte außer Kraft setzen kann. Wir sollten neugierig aufeinander sein. Der Westen kann auch manches vom Osten lernen.