Verbote vertreiben Innovationen

Christian Lindner Innovationen
Handelsblatt

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Herr Lindner, die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat kürzlich behauptet: „Jedes Verbot ist auch ein Innovationstreiber“. Stimmt das?

Lindner: Freiheit ist der Innovationstreiber. Verbote sind Innovationsvertreiber. Denn es werden Entwicklungspfade abgeschnitten. Das grüne Verbot des Verbrennungsmotors zum Beispiel würde eine Technologie beenden, die weltweit noch gebraucht wird und die mit synthetischen Kraftstoffen eine klimaneutrale Option wäre. Die Politik sollte sich für den Ordnungsrahmen interessieren, aber darin wieder stärker auf Erfindergeist, Gründertum, Kreativität und Freiheit der Menschen setzen. Die großen Tech-Unternehmen in den USA und China wie Google oder Alibaba sind nicht durch Verbote entstanden.

Ist der Zug Silicon Valley für deutsche Unternehmen schon längst abgefahren?

Lindner: An ein deutsches Amazon glaube ich nicht. Aber wir haben andere Stärken im Maschinen- und Fahrzeugbau oder in der Chemie zum Beispiel. Auch im industriellen Internet. „German engineered“ Klimaschutz könnte ein Exporterfolg werden. Darin sehe ich übrigens auch unsere globale Verantwortung. Unsere Ingenieurinnen und Techniker können Wohlstand und Freiheit mit Ressourcenschonung verbinden. Wasserstoff-Windpark statt Lastenfahrrad. Mit Verzicht und Verbot wären wir kein globales Vorbild. Wir müssen wieder auf Innovation setzen, indem bürokratische Fesseln gelöst werden und privates Kapital mobilisiert wird.

Tesla bekommt eine Milliarde Euro Subventionen, Intel führt Gespräche über staatliche Unterstützung für den Bau einer Batteriezellenfabrik in ganz Europa. Würden Sie so einen Subventionswettbewerb unterstützen?

Lindner: Davon rate ich ab. Wir sollten stattdessen unsere Standortbedingungen attraktiv machen: schnelle Genehmigungen, weniger Auflagen, mehr Fachkräfte durch bessere Bildung und ein modernes Einwanderungsrecht, günstigere Energie, wettbewerbsfähige Steuersätze und digitale Infrastruktur. Ich bin überzeugt, wir haben gerade bei der Bürokratie viele tief hängende Früchte, bei denen die Politik ohne Geld einen großen Hebel hat, wenn sie Tempo, Unterstützung und Freiheit gewährt.

Steht Europa für Erfindergeist, Gründerwillen und Kreativität?

Lindner: Wir können noch viel dafür tun. Gegenwärtig dominiert dort die Idee des lenkenden Staates. Von Wachstum wird überwiegend im Zusammenhang mit Staatsausgaben und Transfers gesprochen. Wohlstand können wir aber nicht nur verteilen, wir müssen ihn im globalen Wettbewerb erst einmal erwirtschaften. Wettbewerbsfähigkeit und realwirtschaftliche Investitionen sollten intensiver diskutiert werden als die Vergemeinschaftung von Schulden, die ja der deutsche Finanzminister Scholz gerne rühmt.

Was heißt das konkret für Europa?

Lindner: Wir müssen unseren Binnenmarkt als Motor von Integration, Fortschritt und Wachstum vertiefen. Bei digitalen Dienstleistungen und im Bankensektor ist das dringlich, wenn wir weltweit eine Rolle spielen wollen. Wir brauchen Initiativen für Freihandelsabkommen, um über den chinesischen Markt hinaus zu diversifizieren. Gerade in Deutschland haben wir aber ein Wachstumsdefizit, wir kommen langsamer aus der Corona-Rezession als andere. Deshalb müssen wir Impulse setzen. Die öffentliche Debatte ist momentan fixiert auf staatlichen Ausgaben, dabei ist das Wesentliche doch die private Investitionstätigkeit.

Wie kann die angekurbelt werden?

Lindner: Die FDP schlägt ein befristetes Programm für Super-Abschreibungen vor. Wer in Technologien investiert, die dem Klimaschutz und der Digitalisierung dienen, sollte diese Investitionen in zwei Jahren steuerlich abschreiben können. Für den Staat ist das mittelfristig kein Einnahmeausfall. Man sollte diese Super-Abschreibung zudem mit einer Steuergutschrift kombinieren, weil sonst manche Betriebe davon gar nicht profitieren könnten.

Ist das der erste Wink an den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz für eine Ampelkoalition? Die Idee würde er wohl unterstützen.

Lindner: Nein. Studien zeigen nämlich, dass die Kombination von attraktiven Abschreibungsbedingungen mit gezielten Steuersenkungen den besten Effekt auf Wachstum, Beschäftigung und künftige Staatseinnahmen hat. Deshalb sollte idealerweise der Solidaritätszuschlag für alle entfallen, um Dynamik zu erzielen. Ich begrüße, dass die Union unter Armin Laschet anders als 2017 das inzwischen genauso sieht. Olaf Scholz will dagegen bekanntlich die Steuerlast sogar erhöhen. Nach einer Wirtschaftskrise ist das kein guter Rat. Steuererhöhungen schließe ich für die FDP aus.

Sie haben selbst gesagt, dass Sie im Falle einer Regierungsbeteiligung das Amt des Bundesfinanzministers anstreben. Was wäre Ihre erste große Reform, die Sie anschieben würden?

Lindner: Neben den bereits erwähnten Abschreibungen werden wir uns ehrlich machen müssen, was die Haushaltssituation des Staates angeht. Ich rege in dem Zusammenhang an, dass wir den Bundeshaushalt wie eine Bilanz betrachten, die auch Abschreibungen zum Beispiel auf Infrastruktur und zukünftige Zahlungsverpflichtungen etwa in die Sozialversicherungen miteinbezieht. Das wird vielleicht manchen die Augen öffnen, wie die tatsächliche Finanzsituation des deutschen Staates in der Zukunft ist.

Das heißt, dass Sie im Prinzip die klassische Kameralistik des Staates auf die Bilanzierung eines Unternehmens umstellen wollen?

Lindner: Das wäre ein lohnendes Projekt für die nächste Wahlperiode.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Lindner: Die zukünftigen Zahlungsverpflichtungen und auch der Vermögensbestand des Staates müssen darin auftauchen – sonst unterbleiben wichtige Investitionen in die Infrastruktur. Wir haben auf der kommunalen Ebene an vielen Stellen bereits die Haushalte umgestellt auf ein bilanzielles System. Das kann Vorbildcharakter für den Bund haben.

Was genau versprechen Sie sich davon?

Lindner: Dann würden manche Aussagen sofort einer Plausibilitätsprüfung unterzogen werden. Ein Beispiel sind die Vorschläge von Herrn Scholz zum Thema Rente. Er ist aufgetreten als Nachfolger des früheren CDU-Arbeitsministers Norbert Blüm mit dem Statement, dass die Rente sicher sei. Dabei werden gut hundert Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt jedes Jahr in die Rentenkasse überwiesen. Die Nachhaltigkeit ist nicht gesichert.

Ist die Schuldenbremse in den nächsten Jahren überhaupt einzuhalten? Wie wollen Sie sonst Investitionen finanzieren?

Lindner: Wie gesagt, die wesentlichen Investitionen kommen aus der privaten Wirtschaft. Im Staatshaushalt fließen die vorhandenen Mittel dagegen oft wegen der komplizieren Verfahren gar nicht ab. Zudem verfügt der Staat über ein Milliardenvermögen wie zum Beispiel die Telekom-Beteiligung, die quasi in Investitionen in das Glasfasernetz getauscht werden könnte. Zudem bedauere ich, dass in Deutschland die Vorstellung verloren gegangen ist, dass man auch innerhalb eines Haushalts überflüssige Maßnahmen und Aufgaben streichen kann, um sie sinnvolleren Zwecken zuzuführen.

Haben Sie ein Beispiel?

Lindner: Die deutsche Automobilindustrie schreibt wieder Milliardengewinne und hat großartige Produkte. Dennoch wird Elektromobilität mit Tausenden Euro selbst für die Dienstwagen von Gutverdienern subventioniert. Hier gäbe es sofort Milliardensummen, die man umwidmen könnte, zum Beispiel für Investitionen in die Modernisierung der Bildung.

Trotz dieser Einsparungen: Laut dem Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW führen die Steuerpläne der FDP zu Mindereinnahmen von 88 Milliarden Euro im Jahr. Selbst wenn man Wachstumseffekte gegenrechne, würde der Staat 60 Milliarden Euro im Jahr weniger einnehmen. Wie wollen Sie Ihre Steuerpläne finanzieren?

Lindner: Es ist nicht geplant, alle unsere steuerpolitischen Vorschläge in einem Jahr umzusetzen. Es geht um eine Trendwende. Auf ein Jahrzehnt der Belastung bei Steuern, Abgaben und Bürokratismus sollte ein Jahrzehnt der Entlastung bei Steuern, Abgaben und Bürokratismus folgen.

Der Begriff „schwarze Null“ ist bisher noch nicht gefallen. Ist ein ausgeglichener Haushalt auf lange Zeit nicht mehr realistisch?

Lindner: Die „schwarze Null“ ist ein Symbol, das in Europa bedeutsam war. Entscheidend ist aber die Schuldenbremse. Von Markus Söder bis zu den Grünen wird sie infrage gestellt. Hier gebe ich Herrn Scholz einmal recht, der die Grünen dafür kritisiert und sich klar zu ihr bekannt hat. Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir die Schuldenbremse im Grundgesetz erhalten. Auch angesichts von Inflationsrisiken ist das ratsam.

Abgesehen von der Union. Sehen Sie denn mit der SPD oder den Grünen finanzpolitisch die größten Schnittmengen?

Lindner: Zwischen diesen beiden kann ich mich nicht entscheiden. Beide wollen die Steuerlast im Höchststeuerland Deutschland weiter erhöhen. Beide plädieren für weitere Vergemeinschaftung der Finanzen in Europa. Herr Scholz will sogar eine neue Steuer für die EU einführen und eine Rückversicherung für die Arbeitslosenversicherungen. In der Konsequenz würden die Beschäftigten in Deutschland die Folgen falscher Wirtschaftspolitik anderswo zahlen. Ich halte die finanzpolitische Eigenverantwortung der Mitglieder der EU und der Währungsunion dagegen ordnungspolitisch weiter für geboten.

Wie könnte denn eine gemeinsame Finanzpolitik zwischen SPD und FDP aussehen? Können Sie uns einen Einblick in ihre Überlegungen geben?

Lindner: Darüber denke ich nicht nach. Ich kann Ihnen sagen, dass es mit der FDP keine höheren Steuern geben darf. Es kann in der jetzigen Lage auch kein Aufweichen der Schuldenbremse geben, weil davon ein fatales Signal nach Europa ausgehen würde.

Eine weitere Forderung des SPD-Kanzlerkandidaten Scholz ist ein Mindestlohn in Höhe von 12 Euro.

Lindner: Wir halten unverändert das bisherige Verfahren für besser, dass nicht Wahlkämpfer, sondern eine unabhängige Kommission über die Höhe des Mindestlohns entscheidet. Abgesehen davon sollten die Höhe des Minijobs und Zuverdienstgrenzen bei Hartz IV verbessert werden. Davon profitieren die Menschen im Alltag.

Herr Scholz verspricht eine stabile gesetzliche Rente. Ist das angesichts des demografischen Wandels seriös?

Lindner: Mit den Vorschlägen der SPD wird das schwer gelingen. Herr Scholz will die Rente stärken. Das wollen wir auch. Wir wollen eine gesetzliche Aktienrente einführen, die in das bestehende Umlagesystem der Rentenversicherung eingebettet wird. Das wird für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht teurer, da das Geld aus den Rentenbeiträgen stammt.

Das Geld fehlt aber dann erst mal in der Rentenkasse.

Lindner: Ja, das muss in der Einführungsphase aus dem Haushalt begleitet werden. Aber es geht, wie das Beispiel Schweden zeigt, die nach diesem System erfolgreich seit vielen Jahren für gute Renten sorgen.

Börsen können auch abstürzen. Wie sicher ist die Aktienrente?

Lindner: Die Aktienanlage durch ein professionelles Management erfolgt über Generationen hinweg, die Höhen und Tiefen über einen langen Zeitraum ausgleichen kann.

Für all das braucht es Mehrheiten. Wird die FDP den Unions-Kandidaten Armin Laschet zum Bundeskanzler wählen, wenn er am Wahlabend nach Auszählung der Stimmen hinter Olaf Scholz liegt?

Lindner: Ich habe schon einmal auf die Regierungsbildungen in den Jahren 1969 und 1976 hingewiesen. Da war die Union jeweils stärker als die SPD aus den Wahlen hervorgegangen und hat trotzdem nicht den Kanzler gestellt. Die SPD hat damals zusammen mit der FDP eine Mehrheit für Willy Brandt und Helmut Schmidt organisiert. Ich kann es nur wiederholen: Für die FDP entscheiden die Inhalte, welche Persönlichkeit wir ins Kanzleramt begleiten würden.

Nehmen wir rein theoretisch an, Herr Scholz gewinnt mit klarem Vorsprung die Bundestagswahl. Wie wollen Sie dann den Bürgern erklären, dass Sie den Wahlverlierer Armin Laschet ins Kanzleramt begleiten wollen?

Lindner: Vermutlich werden über 70 Prozent der Menschen ihn dennoch nicht gewählt haben. Es entscheiden Koalitionsoptionen. Das hat man neulich im Land Bremen gesehen, als die Grünen den strahlenden Wahlgewinner CDU verschmäht haben, um mit dem Wahlverlierer SPD die Linkspartei in die Regierung zu holen.

Sie haben aber schon den Ehrgeiz, die Grünen auf den letzten Metern beim Ergebnis zu überholen?

Lindner: Unser erstes Ziel ist es, ein zweistelliges Ergebnis zu erzielen. Noch niemals in der Geschichte hatte die FDP zweimal in Folge ein zweistelliges Ergebnis. Darüber hinaus kämpfen wir dafür, möglichst nah an die Grünen aufzuschließen. Aus wichtigem Grund.

Der wäre?

Lindner: Deutschland muss weiter aus der Mitte regiert werden. Es darf nicht zu einem Linksruck kommen. Angesichts der Schwäche der Union ist es nicht zu erwarten, dass sie alle Wünsche der Grünen nach Umverteilung, Verboten und Subventionierung zurückweisen könnte. Auf der anderen Seite gibt es einen klaren Flirt von SPD und Grünen mit der Linkspartei. Die FDP muss so stark werden, dass wir gewichtigen Einfluss auf die Regierungsbildung haben. Wir sind dieses Mal der Garant für die Mitte.

Würden Sie Koalitionsgespräche nach 2017 noch einmal scheitern lassen, wenn die Inhalte nicht stimmen?

Lindner: Wir wollen Verantwortung übernehmen, aber wir würden zu einem Linksdrift nicht beitragen.