Überlassen wir technische Fragen Ingenieuren und Technikern

Christian Lindner
Augsburger Allgemeine

Herr Lindner, wie tief sitzt nach einem Jahr Großer Koalition der Stachel der vergebenen Chance, in einer Jamaika- Koalition selbst mitzuregieren?

Lindner: Für uns ist das Geschichte. Viele Interviews kreisen darum, obwohl wir nach vorne schauen. Wir fühlen uns durch das, was danach passiert ist, in unserer harten und schwierigen Entscheidung bestärkt. Seither war eine inhaltliche und personelle Neuaufstellung zu beobachten. Damals scheiterte zum Beispiel die von uns geforderte Abschaffung des Solis an der CDU. Jetzt gibt es neue Worte, wenngleich keine Taten. Um eine Wirtschaftsflaute zu verhindern, müsste das zusammen mit Investitionen aber bald kommen. Die Grünen wiederum sind leider nach links gerückt.

Nach aktuellen Umfragen scheint auch die Konstellation Schwarz-Grün möglich. Dann wäre die FDP weiter in der Opposition, das kann Sie doch kaum ruhig schlafen lassen?

Lindner: Wir warten einfach ab. Wir werben nicht für Koalitionen, sondern für unsere Überzeugungen. Ein Wahlkampf mit einer schwarz-grünen Spekulation wäre spannend. Da würden die sehr konservative Gesellschaftspolitik von Frau Kramp-Karrenbauer und ihr Wunsch nach dem Bau eines europäischen Flugzeugträgers auf grüne Steuererhöhungsfantasien prallen. Und auf die grüne Weigerung, die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. In einem solchen Wahlkampf würde die Rolle der FDP besonders deutlich werden, die für Marktwirtschaft und Weltoffenheit, aber auch für klare Regeln steht.

Setzt die Große Koalition die richtigen Schwerpunkte?

Lindner: Sehen Sie nur den Haushalt, der mit Müh und Not mit einer tiefroten Null zusammengezimmert wurde. Ausgerechnet bei der Bildung soll gekürzt werden und es sind keine zusätzlichen Mittel für Grundlagenforschung in Sachen künstlicher Intelligenz vorgesehen. Die FDP will dagegen eine Investitionsoffensive für Bildung und Digitalisierung.

Die Konjunktur schwächelt aber. Wo würden sie den Rotstift ansetzen, wenn gespart werden muss?

Lindner: Etwa bei überflüssigen Subventionen wie dem Baukindergeld. Auch wir wollen zielgerichtet Altersarmut bekämpfen. Deshalb sollen künftig der eigene Rentenanspruch und die eigene Vorsorge nicht auf die sogenannte Grundsicherung angerechnet werden. Aber mit der Gießkanne zu verteilen, wie es die Große Koalition plant, ohne die Bedürftigkeit zu berücksichtigen, das ist mit uns nicht zu machen. Schon die Rente mit 63 halte ich für töricht. Die am besten qualifizierten Facharbeiter mit den höchsten Renten in Zeiten des Fachkräftemangels zulasten der Jungen mit einer Stilllegungsprämie zu versehen, ist verrückt.

Kann bei der Europawahl EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber mit der Unterstützung der Liberalen rechnen?

Lindner: Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, wie das Europäische Parlament aussieht und wie dann die europäischen Spitzen aussehen. Wir gehen in diese Wahl als eine liberale Parteienfamilie, die gut ein Drittel der Regierungschefs in Europa stellt. Wir sind ein Machtfaktor. Wir wollen die seit Jahr und Tag in Europa bestehende informelle Große Koalition brechen, weil der Status quo für Europa schädlich ist. Wir wollen endlich Fortschritte etwa beim digitalen Binnenmarkt, der Asylpolitik oder beim Handel. Gleichzeitig lehnen wir eine Vergemeinschaftung von Risiken und Finanzen ab. Eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung übrigens auch.

Nur im letzten Punkt unterscheiden Sie sich von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron …

Lindner: Das stimmt, aber in vielen anderen wesentlichen Forderungen stimmen wir überein. Deshalb hat die Partei von Herrn Macron die Nähe zu den Liberalen gesucht. Wir stehen uns näher als Manfred Weber und Viktor Orbán.

Der Frage nach einer Unterstützung von Weber sind Sie jetzt ausgewichen. Sie wollen sich noch nicht festlegen?

Lindner: Nein. Denn es geht nicht um die Person. Ich habe mit Herrn Weber kein Problem, im Gegenteil, er ist ein respektierter und angesehener Politiker. Aber es geht um inhaltliche Fragen und nicht um Postengeschacher. Was ich Ihnen allerdings sagen kann: Die Kommissionspräsidentschaft ist für den EVPSpitzenkandidaten kein Erbhof. Wir werden jedenfalls nicht die Herren Berlusconi und Orbán mittelbar unterstützen, wenn die EVP da keinen klaren Schnitt macht.

Zurück nach Deutschland. Greta Thunberg ist kommende Woche in Berlin. Werden Sie sie treffen?

Lindner: Ob ein Dialog gewünscht ist, weiß ich nicht. Überraschend fand ich, dass Greta Thunberg sich offen für Kernenergie geäußert hat. Das müssten dann vor allem die Grünen mit ihr besprechen.

Was würden Sie ihr sagen?

Lindner: Kernkraft ist in Deutschland eine Schlacht der Vergangenheit. Ich lehne ab, dass den Menschen mit dem Klimawandel Angst gemacht wird. Das Ozonloch haben wir durch kluges Handeln bekämpft. Dieser Mut sollte Vorbild sein. Ansonsten bin ich Anhänger der Schulpflicht. Demonstrationen sollten in der Freizeit stattfinden. Auch für Erwachsene ist ja der politische Streik am Arbeitsplatz untersagt.

Haben Sie nie geschwänzt?

Lindner: Ich war kein großer Schulschwänzer, nein. Und heute beteilige ich mich als Mitglied eines Parlaments erst recht nicht daran, Schulschwänzen heiligzusprechen. Für den Klimaschutz kann man sich auch in der Freizeit einsetzen.

Sie sind ja der Meinung, da sollten die Profis ran?

Lindner: Ja. Damit meine ich die Ingenieure und Techniker, die konkret CO2 einsparen können. Wir Politiker, aber auch Journalisten und Schüler können sich für Einsparziele einsetzen. Den technischen Weg müssen wir aber anderen überlassen. Die politische Einmischung hat zu teurer Planwirtschaft ohne Klimaeffekt geführt. Grüne wollen Flugreisen verbieten, wir wollen Wissenschaftler das Flugzeug mit Wasserstoffantrieb entwickeln lassen. Die Grünen machen Klimapolitik mit dem erhobenen Zeigefinger, wir mit Technik.

Aber mit der Äußerung über Profis haben Sie es sich mit der jungen Generation, die sie als Partei gezielt ansprechen, ganz schön verscherzt?

Lindner: Nein, bei den Protesten gegen Uploadfilter im Internet sind wir deren erste Adresse. Ich nehme junge Menschen ernst. Deshalb rede ich ihnen nicht nach dem Mund. Zu den Freitagsdemonstrationen gehen die Politiker, die aber den Rest der Woche nichts für den Klimaschutz tun. Ich sage ganz offen, dass ich gegen Schwänzen bin und dass wir beim Klimaschutz eine andere Politik brauchen, mit der wir Technologie- Experten offen und konkret arbeiten lassen.

Aber bei Uploadfiltern wissen doch auch viele nicht, worum es geht. Müsste man das nicht auch den Profis überlassen?

Lindner: Wie gesagt, mit Profis meine ich nicht Politiker. Und bei den Uploadfiltern ist es sogar ähnlich. Da müssen nicht Politiker, sondern Vertragspartner, Experten und Praktiker andere Wege finden, Urheberrechte zu schützen als mit massenhafter Zensur. Genauso sollten wir Laien nicht darüber entscheiden, ob E-Auto, Wasserstoff-Brennstoffzelle oder synthetischer Kraftstoff besser ist. Gegen diese Form von Planwirtschaft wende ich mich. Da kann es noch so viel Häme geben, da lasse ich mich von meinen Überzeugungen nicht ablenken.