Start-up-Mentalität statt Planwirtschaft

Christian Lindner
Funke Mediengruppe

Herr Lindner, wir erreichen Sie in Shanghai. Welchen Eindruck macht die Vergabe der europäischen Spitzenposten aus der Ferne?

Lindner: Die Regierungschefs haben das Vertrauen in das europäische Einigungsprojekt geschwächt. Mit Margrethe Vestager hätte es eine profilierte Europäerin und konsequente Marktwirtschaftlerin gegeben, die im Wahlkampf präsent war. Sie ist auch am Widerstand von Frau Merkel gescheitert. Dafür wurde Frau von der Leyen aus dem Hut gezaubert, die im Europawahlkampf keine Rolle gespielt und die mit der Bundeswehr eine Hypothek hat. So ein Verfahren darf sich nicht wiederholen.

Freuen Sie sich gar nicht, dass eine deutsche Frau den Top-Job in Europa bekommen soll?

Lindner: Mich interessieren mehr die Sachpositionen. Die Nationalität darf bei europäischen Spitzenämtern keine Rolle spielen. Und wenn, dann hätte ich lieber einen Vertreter der deutschen Stabilitätspolitik an der Spitze der Europäischen Zentralbank gesehen.

Werden die Liberalen im EU-Parlament trotzdem für von der Leyen stimmen?

Lindner: Wie unsere Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Nicola Beer, gesagt hat, blieb Frau von der Leyen bisher unklar und wolkig. Ob die Liberalen sie wählen werden, erscheint mir zum jetzigen Zeitpunkt offen. Entscheidend wird sein, ob sie bei den Inhalten für mehr Klarheit sorgt.

Die Personalie hat die schlingernde deutsche Regierungskoalition in neue Turbulenzen gestürzt. Wird es Zeit für Neuwahlen?

Lindner: Diese Entscheidung liegt nicht bei uns. In diesen turbulenten Zeiten, wo sich in der Welt alles verändert, ist eine handlungsfähige Regierung ein Wert an sich. Wir haben keine Zeit zu verlieren.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat sich für eine Minderheitsregierung der Union ausgesprochen, falls die SPD die Regierung verlässt. Könnte Angela Merkel im Bundestag auf die Stimmen der FDP zählen?

Lindner: Das machen wir von Inhalten abhängig. Deutschland braucht ein Programm, um unsere wirtschaftliche Stärke zu sichern, die Digitalisierung zu nutzen und die Bildung in die Weltspitze zu führen. Aus der Distanz kann ich die Dringlichkeit nur betonen, denn die Konkurrenz hier ist uns auf den Fersen. Die Union hat dazu bislang nichts getan. Im Gegenteil, während der Jamaika-Gespräche waren Impulse wie die Abschaffung des Solidaritätszuschlags gescheitert. Wenn es da neues Denken gäbe, beteiligen wir uns an der Mehrheitsbildung. Wir machen keine Fundamentalopposition.

Warum profitieren die Grünen so sehr und die FDP so gar nicht von der Schwäche der Regierung?

Lindner: Ich sehe unsere Stabilität im Vergleich zur Vergangenheit bereits als gute Nachricht. Ich sorge mich daher mehr um die Entwicklung des Landes und beschäftige mich weniger mit unseren politischen Wettbewerbern. Bis zur Bundestagswahl, die spätestens 2021 stattfindet, werden die Karten noch einmal anders gemischt.

Sind Sie manchmal neidisch auf Robert Habeck?

Lindner: Nein.

Wie würde sich Deutschland mit einem grünen Kanzler verändern?

Lindner: Dass die Grünen in Bremen lieber mit der Linkspartei koalieren als mit Union und FDP, reicht als Hinweis. Ansonsten empfehle ich eine Diskussion über Inhalte. Unser Land braucht zum Beispiel eine neue Klimapolitik, die Schluss macht mit den planwirtschaftlichen Instrumenten wie der Ökostrom-Umlage, die uns die höchsten Energiepreise in Europa beschert haben - ohne dass wir nennenswert CO2 eingespart hätten.

Halten Sie eine CO2-Steuer auch für Planwirtschaft?

Lindner: Nein, die ist aus anderen Gründen abzulehnen. Sie ist teuer, ohne einen wirksamen Einspareffekt zu erzielen. Die FDP schlägt einen marktwirtschaftlich gebildeten Preis vor, der knappe Ressourcen besser koordiniert. Wir geben dem CO2-Ausstoß ein Limit - und jeder muss sich seinen Anteil an dem Budget kaufen. Dann werden wir erleben, dass die günstigsten CO2-Vermeidungsstrategien gewählt werden und nicht diejenigen, die den Politikern gerade in den Kram passen. Das wäre ein Instrument, das Innovationen und Start-up-Mentalität anschieben würde - und das wir sehr rasch einführen sollten. Der Klimaschutz ist ein so schwerwiegendes und drängendes Thema, dass wir schnell einen gesamtgesellschaftliche Konsens brauchen …

… den die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer bereits angeregt hat. 

Lindner: Die Initiative von Frau Kramp-Karrenbauer ist klug. Klimapolitik hat das Potenzial, die Gesellschaft ähnlich zu spalten wie Flüchtlingspolitik. Wir können das vermeiden, wenn alle in Bund und Ländern regierenden Parteien frühzeitig an einen Tisch kommen. Ich habe mich gewundert, dass sich die Grünen gegen diese Idee ausgesprochen haben. Wenn es den Grünen beim Klimaschutz wirklich um eine Lösung geht, sollten sie sich parteiübergreifenden Gesprächen nicht verweigern. Denn alle grundlegenden Veränderungen bedürfen einer Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Insofern würde auch eine neue Bundestagswahl an der Gesamtkonstellation wenig verändern.

Welche Klima-Beschlüsse wären mit der FDP nicht zu machen?

Lindner: Klar ist, dass wir den Wohlstand sichern und den Menschen eine selbstbestimmte Lebensführung erhalten wollen. Wer sich dahinter nicht versammeln kann, müsste ganz andere ideologische oder kulturelle Ziele mit der Klimafrage verbinden. Das wäre allerdings auch entlarvend. Wichtig ist, dass die Gespräche rasch beginnen. Sobald wir beim Klima zu Fortschritten gekommen sind, können wir endlich wieder über andere Themen reden. Das Klimathema ist nämlich nicht unsere einzige Herausforderung, auch wenn die mediale Debatte manchmal den Eindruck erweckt.

Wie tragen Sie persönlich zum Kampf gegen die Erderwärmung bei?

Lindner: Ich konsumiere bewusst. Generell bin ich aber gegen diese deutsche Erzählung von Askese und Verzicht. Ich bin für Technologie und Kreativität! Gerade jetzt aus Asien kann ich Ihnen sagen: Hier ist niemand bereit, den Verzichtspredigern zu folgen. Unser Modell in Deutschland muss sein: Wohlstand und eine freie Lebensweise. Wir müssen Klimaschutz verbinden mit einem vielfältigen Lebenswandel, sonst wird Deutschland zu einem armen, grauen, spaßfreien Land. Wir brauchen den Ehrgeiz, neue Antworten zu entwickeln. Das ist eine große Chance für eine Ingenieur-Nation. Die besten Wasserstoff- oder Elektroautos werden aus Deutschland kommen, wenn wir es richtig machen. Der moralische Zeigefinger wird in der Klimapolitik dagegen so wenig funktionieren wie in der Flüchtlingspolitik.