Mut zur Modernisierung

Christian Lindner
Handelsblatt

Herr Lindner, Sie haben zum Dreikönigstreffen eine „Mutrede“ angekündigt. Was sollen die Deutschen denn mutig im neuen Jahr angehen?

Lindner: Die Chancen, die in der Modernisierung liegen. Dafür müssen wir flexibler werden, mehr investieren, für neue Technologien offener werden. Unser Geschäftsmodell braucht ein Update, wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen. Warum setzen wir uns nicht die ehrgeizigen Ziele, die weltbeste Bildung, das modernste digitale Netz und die schnellste Verwaltung zu haben? Wenn wir die Prioritäten richtig setzen, ist das erreichbar.

Braucht Deutschland wirklich ein Update? Wir haben ohne die FDP im Bundestag einen Jobboom, die Renten steigen, die Wirtschaft wächst.

Lindner: Wegen der Politik von EZB-Präsident Mario Draghi steht die Wirtschaft unter Drogen. Gemessen an dieser künstlichen und gefährlichen Ausnahmelage wachsen wir viel zu langsam. Die Parteien im Bundestag ziehen die falschen Schlüsse, wenn sie nur auf Bürokratisierung und Umverteilung setzen. Mindestens eine Stimme muss daran erinnern, dass nur verteilt werden kann, was zuvor erwirtschaftet wurde.

Drehen die Bürger ihrem Konzept nicht den Rücken zu? Die Kanzlerin fordert angesichts des Brexits und der Wahl von Donald Trump in den USA eine stärke Verteilungsgerechtigkeit zwischen Arm und Reich ein. Es geht jetzt um die Abgehängten.

Lindner: In den USA war es die Mittelschicht, die sich verlassen gefühlt hat. Auch bei uns wird zu viel über die Ränder gesprochen, also Flüchtlinge und Superreiche. Was ist mit den Millionen Menschen in der Mitte? Ist diese Mitte stark, haben die Schwächeren eine Aufstiegsperspektive. Nicht unser Mittelstand mit erfolgreichen Familienbetrieben ist das Problem, sondern dass Konzerne wie Apple keine Steuern zahlen. Da muss man ansetzen, wie das unsere Parteifreundin Vestager in Brüssel macht. Außerdem ist die Niedrigzinspolitik ungerecht, weil davon die Eigentümer von Immobilien, Gemälden oder anderen Sachwerten einseitig profitieren. Wenn die Inflation in diesem Jahr zurückkehrt, wird die Mittelschicht weiter leiden. Deshalb muss man darauf drängen, dass die EZB ihre Politik endlich ändert.

Wie sieht die Lösung der FDP aus?

Lindner: Wirtschaft ist kein Nullsummenspiel, wo man die einen nur stärken kann, indem man den anderen etwas wegnimmt. Wir wollen den Menschen erleichtern, sich selbst etwas aufzubauen. Wir brauchen eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik, beste Bildung für jeden Einzelnen, eine sofortige Deckelung des Anstiegs der Sozialabgaben und mehr finanzielle Fairness zwischen Staat und Bürgern. Wenn die Frau Nahles einen Rentenbeitrag von 25 Prozent ankündigt, dann ist das kein Konzept, sondern eine Drohung. Wir brauchen eine Entlastung von der Friseurin bis zum Ingenieur, die auch spürbar ist.

Mit der Steuerentlastung hat sich die FDP in der letzten schwarz-gelben Koalition kräftig verhoben.

Lindner: Ich habe kein posttraumatisches Belastungssyndrom. Ja, 2010 hat uns Frau Merkel am langen Arm verhungern lassen. Daraus haben wir gelernt, dass wir keine natürlichen Verbündeten haben. Eine Entlastung in Höhe von rund 30 Milliarden Euro ist realistisch. Also Solidaritätszuschlag abschaffen, den Lohnklau bei der kalten Progression beenden und die Freibeträge erhöhen. Wir lassen uns aber auf die Steuerpolitik nicht verengen. Das ist ein wichtiges, aber nicht unser einziges Thema.

Welche Themen haben Sie denn noch?

Lindner: Wir müssen unsere Infrastruktur modernisieren, das betrifft insbesondere die digitale Infrastruktur. Wir sind international nur Mittelfeld. Wenn wir daran nichts ändern, werden wir auch bei der Wettbewerbsfähigkeit nur im Mittelfeld sein. Mein Vorschlag ist, den Staatsanteil an der Deutschen Post zu verkaufen und von dem Erlös von etwa zehn Milliarden Euro den Glasfaserbau vor allem im ländlichen Raum zu finanzieren.

Nach den Terroranschlägen wird aber doch eher weniger der Glasfaserausbau als vielmehr die innere Sicherheit ein großes Thema sein. Die Freiheit hat in Zeiten von Terror keine Konjunktur. Wo bleibt da Platz für die FDP?

Lindner: Gerade in dieser aufgeregten Zeit wächst doch der Bedarf nach Vernunft und Verhältnismäßigkeit. Mit dem aktuellen Aktionismus soll davon abgelenkt werden, dass die bestehenden Gesetze nicht ausgeschöpft wurden.

Hat die FDP ein eigenes Sicherheitskonzept?

Lindner: Wir wollen die Durchsetzungsfähigkeit des Rechtsstaats stärken. Dafür brauchen wir sicher 15 000 zusätzliche Polizisten. Die Zusammenarbeit der Behörden in Deutschland und Europa muss verbessert werden. Und der Staat muss die rechtlichen Möglichkeiten, etwa bei Gefährdern, wirklich ausschöpfen. Wenn Gesetze nicht angewendet werden, würde eine Verschärfung keinen Gewinn an Sicherheit bringen. Selbst der Bund der deutschen Kriminalbeamten warnt vor überzogenen Erwartungen bei der flächendeckenden Ausweitung der Videoüberwachung.

Macht der Bundesinnenminister seinen Job nicht richtig?

Lindner: Es ist verstörend, dass der Bundesinnenminister zum Auftakt eines Wahljahres und erst am Ende seiner zweiten Amtszeit Vorschläge für eine komplett andere Sicherheitsarchitektur vorlegt. Damit hat er der Sache einen Bärendienst erwiesen. Der Debatte verschließen wir uns aber nicht. Eine neue Großbehörde ist sicher keine Patentlösung, aber die föderale Zusammenarbeit hat sich eben auch nicht in allen Punkten bewährt. Erst recht nicht im europäischen Kontext. Ich hätte nur empfohlen, dass die Regierung einen unabhängigen Expertenrat einsetzt, statt das nun zum Gegenstand des Wahlkampfs zu machen.

2017 wird das Schicksalsjahr der FDP. Was macht Ihnen Mut, dass der Wiedereinzug gelingt?

Lindner: Es geht um die Liberalität unserer Gesellschaft angesichts von autoritären Bewegungen, die auch bei uns an Bedeutung gewinnen. Viele haben doch zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik eine Stimme der Vernunft vermisst, die sich für Begrenzung und klare Regeln einsetzt, aber sich zugleich gegen Fremdenangst stellt.

Haben Sie denn für eine mögliche Regierungsbeteiligung das nötige Personal, oder wäre es nicht besser, erst einmal in die Opposition zu gehen?

Lindner: Machen Sie sich keine Sorgen um das Team der FDP. Wir haben starke und erfahrene Persönlichkeiten.

... von denen aber nur wenige wie Hermann Otto Solms oder Otto Fricke Bundestagserfahrung haben.

Lindner: Aber politische Erfahrung. Dass wir auch mit neuen Leuten antreten, zeigt ja unsere Erneuerung. Wenn ich mir die anderen Parteien ansehe, müssen wir uns nicht verstecken.

Sie sagen, Sie wollen keine Regierungsbeteiligung um jeden Preis. Was sind ihre No-Gos?

Lindner: Wir wollen eine andere Europapolitik. Wir wollen die Rückkehr zum Recht, sowohl in der Flüchtlingsfrage als auch in der Währungspolitik. Die FDP würde neuen Vertragsbrüchen nicht zustimmen. Das ist eine Koalitionsbedingung.

Eine Zustimmung zu weiteren Rettungsmaßnahmen für Griechenland oder Italien würde es mit der FDP nicht geben?

Lindner: Die griechische Regierung will die Lage nicht in den Griff bekommen und sollte den Euro verlassen. Die Kanzlerin nötigt dagegen ihren Finanzminister, immer wieder neuen Rettungsmaßnahmen auf Kosten des Steuerzahlers zuzustimmen. In Italien werden wieder Banken vom Staat gerettet. Das ist die Perversion von Marktwirtschaft. Politiker vom Schlage eines Alexis Tsipras oder Matteo Renzis haben uns lange genug getäuscht. Dafür reicht die FDP niemandem mehr die Hand.

Wenn es bei der Bundestagswahl nicht klappt, wäre ein Wechsel in die Wirtschaft eine Option?

Lindner: Machen Sie sich bitte um mich keine Sorgen. Ich bin ganz sicher, dass die FDP erfolgreich sein wird. In Zeiten, in denen alle anderen einem grünen Mainstream folgen, muss es eine Partei geben, die noch an Freiheit, Vernunft und Mut appelliert.