Jetzt wäre der Zeitpunkt, um den Solidaritätszuschlag abzuschaffen

christian Lindner
B.Z. am Sonntag

Herr Lindner, Sie haben die Trump-Putin-Show aus Washington beobachtet. Wie war Ihr Eindruck vor Ort?

Lindner: Im politischen Washington gab es parteiübergreifend Entsetzen. Das Netteste war, dass Trump als unkalkulierbar bezeichnet wurde. Ich sehe in ihm Dynamit für die politische Kultur der USA und die Weltordnung. Aber seine Wähler fühlen sich bestärkt - zumal er innenpolitisch auch Positives bewirkt. Es gab Steuersenkungen und Bürokratie-Abbau. Das finden die Leute gut.

Aber nur die Reichen, oder?

Lindner: Nein, von der belebten Wirtschaft profitieren viele. In Deutschland haben wir uns angewöhnt, bei Steuerentlastungen nur auf Verteilungseffekte und nicht auf Wachstum zu schauen. Damit nehmen wir uns Chancen, die woanders genutzt werden. So hat Frankreich die Steuern ebenfalls gesenkt - wir Deutschen sind dagegen Vize-Weltmeister bei der Belastung. Zugleich läuft der Staatshaushalt über vor Geld. Jetzt wäre der Zeitpunkt, um den Solidaritätszuschlag abzuschaffen.

Können wir von Trump also etwas lernen?

Lindner: So weit würde ich nicht gehen. Aber wer glaubt, er wird glasklar abgewählt, kann sich leicht irren.

Wie reagieren, wenn Trump dauernd gegen uns wettert?

Lindner: Erstens gilt bei Trump: cool bleiben. Ernst, aber nicht wörtlich nehmen. Zweitens brauchen wir mehr Austausch mit den USA, vom Kabinett über Parlamentariergruppen bis hin zu Wirtschaftsdelegationen und der Zivilgesellschaft – Trump steht nicht für die USA! Drittens müssen wir Europa handlungsfähig machen. Das Handelsabkommen CETA mit Kanada sollte der Bundestag sofort ratifizieren. Stattdessen sehe ich große Versäumnisse, weil sich Deutschland in Europa isoliert hat. Ganz im Gegenteil zum Image, das Frau Merkel in den Medien hat.

Isoliert durch die Flüchtlingspolitik?

Lindner: Ja, erstens. Deutschland ist zweitens isoliert bei der Fortschreibung des Budgets der EU. Der Koalitionsvertrag stellt quasi einen Blanko-Scheck für mehr Geld aus. Da gehen unsere Partner nicht mit. Drittens ist Europa gespalten bei der Wirtschafts- und Währungsunion. Da müssen wir dreimal wenden.

Wie?

Lindner: Bei der Flüchtlingspolitik wollen wir Liberalen die europäische Lösung. Der Zwischenschritt wird aber sein, dass wir wie Frankreich, Dänemark und Schweden vorübergehend das geltende Dublin-Recht anwenden. Wir müssen zurück zu den unvollkommenen alten Regeln, damit es in einen Einigungsdruck gibt für einen neuen gemeinsamen Kodex.

Da sind Sie also bei Horst Seehofer, der an der Grenze zurückweisen wollte?

Lindner: Das ist unsere Position seit 2015. Aber wir wollen nicht zurück zu Schlagbäumen, wie ich es der CSU unterstelle. Die haben andere Motive als wir, denken Sie an die Kreuze an der Wand oder das Gekuschel mit Herrn Orban. Wir wollen Kontrollen an den Außengrenzen und gemeinsame Asylverfahren sowie vergleichbare Standards, damit die Zahlen insgesamt sinken und die Wanderung innerhalb Europas unterbunden wird.

Zum EU-Haushalt: Wollen Sie jetzt mehr in Europa investieren oder nicht?

Lindner: Im jetzigen Finanzrahmen gibt es genug Luft und Umschichtungsmöglichkeiten - Stichwort Agrarsubventionen. Danach kann man klären, wofür weiteres Geld benötigt wird. Für den Schutz der Außengrenze, für Investitionen in Technologien oder eine europäische Verteidigungsunion würden wir höhere Zahlungen unterstützen. Wichtig ist drittens, dass wir den Euro weiterentwickeln durch verbindlichere Schuldenregeln und die schnellere Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit aller Mitglieder. Hier hat Frau Merkel in Richtung der Vergemeinschaftung von Risiken und Schulden die deutsche Position geändert, wogegen zwei Drittel der Euro-Staaten protestieren.

Der Fall Sami A. – der Islamist wurde trotz Gerichtsverbot abgeschoben. Wer hat es verbockt?

Lindner: Ich habe volles Vertrauen zu unserem FDP-Flüchtlingsminister Joachim Stamp, dass seiner Behörde schlicht keine gerichtliche Entscheidung vorlag, die dem Vollzug entgegen gestanden hätte. Allerdings zeigt dieser Vorgang, dass wir gesetzliche Grundlagen und Verfahren ändern müssen, damit solche Gefährder, die Sozialleistungen beziehen und von der Polizei überwacht werden, abgeschoben werden können. Ich appelliere an die Grünen, die Einstufung der Magreb-Staaten als sichere Herkunftsländer nicht zu blockieren, weil dadurch Verfahren schneller werden, im Einzelfall Schutz aber nicht ausgeschlossen ist. Die Grünen profitieren in Umfragen davon, dass sie die letzten Vertreter der expansiven Asylpolitik sind, aber durch die verschleppte Problemlösung mobilisieren sie zugleich die AfD.

Wolfgang Kubicki erkennt einen klaren Rechtsbruch. Gibt es da einen Dissens zu Ihrem FDP-Vize?

Lindner: Nein. Wolfgang Kubicki hat seine Kritik an Horst Seehofer und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das in Kontakt mit dem Gericht stand, offenbar nur missverständlich ausgedrückt.