Ich verfolge langfristige Ziele mit der FDP, die über 2017 hinausreichen

Christian Lindner
WELT

Der neue SPD-Vorsitzende will das Land führen und Kanzler werden. Als FDP-Chef kennen Sie sich mit Aufholjagden aus, Herr Lindner: Halten Sie es angesichts der aktuell schwachen Umfragelage der SPD für möglich, dass Martin Schulz das schafft?

Lindner: Das hängt davon ab, wohin Herr Schulz das Land führen will. Seine Rede hat nicht viel neue Klarheit geschaffen. Herr Schulz hat eine lange Liste neuer Ausgabenwünsche vorgelegt, aber wenig zum Erwirtschaften unseres Wohlstands gesagt. Ich erinnere mich stattdessen an seinen Applaus nach der Wahl von Herrn Hollande in Frankreich, dessen Wirtschaftspolitik inzwischen krachend gescheitert ist. Wenn das die Richtung ist, in die er Deutschland steuern will, dann halte ich eine Kanzlerschaft weder für mehrheitsfähig noch wünschenswert.

Wer ist Ihnen als FDP-Chef politisch sympathischer: Schulz oder Angela Merkel?

Lindner: Ich kann zwischen Union und SPD kaum Unterschiede erkennen. Rentenpaket, Mindestlohn, steigende Abgaben, mehr Bürokratie – alles Projekte bei denen man gar nicht mehr weiß, ob sie eine schwarze oder rote Handschrift haben. Herr Schulz sprach gestern davon, er wolle sich um die hart arbeitenden Menschen kümmern, die trotz zwei Einkommen nur gerade so über die Runden kommen. Das würde ich begrüßen. Wie passt das aber zu den nach den Plänen von Frau Nahles auf 25 Prozent steigenden Rentenbeiträgen? Wie passt das dazu, dass er gestern einen sozialdemokratischen Finanzminister gefordert hat, weil der im Gegensatz zu Herrn Schäuble Steuersenkungen verhindern könnte. Ich fordere den neuen Parteivorsitzenden der SPD dagegen auf, sich wirklich um die hart arbeitende Mitte der Gesellschaft zu kümmern. Der Überschuss im Bundeshaushalt reicht exakt aus, um in diesem Jahr bereits für alle Einkommen unter 50.000 Euro den Solidaritätszuschlag komplett entfallen zu lassen.

Ihr Präsidiumskollege Michael Theurer kennt Schulz aus dem Europaparlament – und vergleicht ihn schon mit Helmut Schmidt. Das klingt nach einer Liebeserklärung...

Lindner: Martin Schulz hat die Rolle des europäischen Parlaments gestärkt. Er hat seinerzeit Berlusconi leidenschaftlich in seine Schranken gewiesen. Aber ansonsten weiß ich nicht, was er in der SPD ändern will und wie er auf wesentliche Fragen antwortet. Wovon soll Deutschland künftig leben? Wachstum oder Schulden? Freiheit oder Gleichheit? Bildung oder Umverteilung? Ich würde es begrüßen, wenn die SPD zu einer Reformpolitik der Agenda 2010 zurückkehren würde. Gestern war aber nur die alte Polemik gegen den angeblichen Neoliberalismus zu hören.

Was wäre denn ein inhaltliches Signal, das Sie Herrn Schulz gegenüber gewogener stimmen würde?

Lindner: Ich hätte erwartet, dass Herr Schulz sich von der Schuldenvergemeinschaftung in Europa verabschiedet und auf marktwirtschaftliche Reformen setzt. Dass er es Italien nicht durchgehen lässt, marode Banken mit Steuergeld zu retten. Dass er sich von Herrn Tsipras nicht länger an der Nase herumführen lässt, sondern ihm den Weg aus der Währungszone weist. Dass er deutlich macht, wie er unsere Außengrenzen schützen will. Ja, wir brauchen Europa – aber bitte eines, das seine eigenen Regeln und sein Recht wieder anerkennt und einhält. Das wäre für Martin Schulz allerdings eine 180-Grad-Wende: Er müsste sich von einem Teil des europäischen Dilemmas zu einer Führungspersönlichkeit der Bundesrepublik Deutschland wandeln.

Ist aber nicht Ihre Unterstützung für den Bundespräsidentenkandidaten Frank-Walter Steinmeier doch ein freundliches Signal an die SPD?

Lindner: Ich hätte mir mehr Auswahl in der Bundesversammlung gewünscht. Aber die Union hat trotz ihrer Stärke dort keinen Kandidaten gefunden, das ist bedauerlich. Herr Steinmeier ist jetzt ein Kandidat, der für einen Konsens der Parteien des demokratischen Zentrums steht. Ihn zu unterstützen entspringt also staatspolitscher Verantwortung zum Erhalt unserer politischen Kultur und Institutionen. Darüber hinaus gilt: Wir stehen inhaltlich in Opposition zur großen Koalition und den anderen im Bundestag vertretenen Parteien. Weil seit vier Jahren dort die Parteien alle gemeinsam nivellieren wollen, statt Leistungsorientierung und Risikobereitschaft zu fördern.

Immerhin gilt Schulz ja nicht als sonderlich begeisterter Anhänger von rot-rot-grünen Bündnissen. Kann er mit der Ampel als Machtoption planen?

Lindner: Eine Ampel ist ja schon rechnerisch aktuell außer Reichweite, und inhaltlich ist sie es auch. Mir fehlt die Fantasie, wie man da zusammenkommen könnte. Ein Regierungsbündnis kann ja kein Selbstzweck sein, sondern muss einer inhaltlichen Linie folgen. Die sehe ich mit SPD und Grünen gemeinsam nicht. Wenn eine Ampel ohne Rücksicht auf Sachpolitik verhandelt wird, stärkt man doch nur die Gegner der politischen Kultur in unserem Land.

Wäre denn eine Neuauflage der großen Koalition im Interesse des Landes?

Lindner: Nein. Die aktuelle Koalition hat kein großes Problem gelöst, sondern das Land nur verwaltet und eher neue Probleme geschaffen. Der Stau bei Investitionen ist größer geworden, unser Rückstand bei der Digitalisierung wächst, die Rentenkasse wurde für das Rentenpaket geplündert. Unser Land kann sich ein solches Bündnis nicht weitere vier Jahre leisten, in denen verteilt wird, als gäbe es kein Morgen mehr. Aber bei allem Verdruss über die große Koalition stehen wir nur für einen echten Politikwechsel zur Verfügung. Wir wollen etwas Handfestes erreichen: für den Wohlstand, für Investitionen, für Entlastung der Bürger, für eine Reform des Bildungsföderalismus. Dafür stehen wir, das wollen wir. Wenn das umsetzbar ist, kann man über Regierungsbündnisse reden. Wenn nicht, bleiben wir draußen. Ein Freund hat mir dazu ein afrikanisches Sprichwort genannt: Wenn du an eine vergiftete Wasserstelle kommst, bleib durstig!

Gehen wir mal von einer ungefährlichen Wasserstelle aus: Für ein Dreierbündnis, ob Ampel oder Jamaika, müsste die FDP mit den Grünen zusammenkommen. Wäre es nicht verantwortungsbewusst, sich auf eine solche Situation zumindest unverbindlich vorzubereiten?

Lindner: Wir haben Gesprächskontakte zu allen anderen demokratischen Parteien. Bei den Grünen schätze ich etwa Cem Özdemir durchaus. Seine Klarheit gegenüber der Türkei oder bei Fragen der Integration von Muslimen ist mir sogar näher als manche Äußerung der Frau Bundeskanzlerin. Aber für Özdemir und die Grünen gilt das gleiche für einst für Steinbrück und die SPD: Er ist gut, aber nicht repräsentativ für seine Partei. Cem Özdemir muss ja vertreten, was Herr Hofreiter entworfen hat, etwa bei der Vermögensteuer. Tatsächlich stehen die Grünen für den Mainstream der deutschen Politik: diese moralische Überlegenheit, wie in der Flüchtlingskrise zu sehen. Für den Hang, anderen seine ethischen Abwägungen aufzwingen zu wollen, alles gleich machen und vereinheitlichen zu wollen. Sie stehen für planwirtschaftliche Umweltpolitik mit Zeitrahmen, die die Fünf-Jahrespläne der DDR weit übertreffen. Das ist alles weit entfernt von uns. Ich bin gespannt, wie die sich bewegen wollen.

Fazit: Die FDP will zurück in den Bundestag, um Opposition zu betreiben?

Lindner: Wir sind seit 2013 durch ein Stahlbad gegangen, die Wähler haben uns eine Erneuerung verordnet. Nach dieser Erfahrung des rauen politischen Lebens außerhalb des Bundestags werden wir ganz sicher eines tun: auf unsere Berechenbarkeit und Klarheit achten. Der Wähler weiß, was er bekommt, wenn er sich für die Freien Demokraten entscheidet. Das werden wir nicht für kurzfristige Taktikerwägungen aufs Spiel setzen. Ich verfolge langfristige Ziele mit der FDP, die über 2017 hinausreichen.

Klarheit und Berechenbarkeit sind gute Stichworte: Wie bewerten Sie den Schritt von Sigmar Gabriel, auf SPD-Vorsitz und Kanzlerkandidatur zu verzichten, um nun das Außenamt zu übernehmen?

Lindner: Persönlich zolle ich ihm Respekt vor dieser für ihn nicht einfachen Lebensentscheidung. Für unser Land ist diese Instabilität schlecht. Herr Gabriel hinterlässt als Wirtschaftsminister zahlreiche ungelöste Baustellen, er ist vor der gescheiterten Energiewende geflohen. Mich besorgt es, dass aus diesem Schlüsselministerium bis September wohl keinerlei Impulse mehr kommen, weil die SPD das einstige Ministerium von Ludwig Erhards zu einem Wanderpokal gemacht hat. Und ob Sigmar Gabriel uns als kluger Diplomat überrascht? Bislang hat er sein Talent für diese Aufgabe sorgsam verborgen. In weltpolitisch bewegten Zeiten von Trump, Brexit und deutscher G-20-Präsidentschaft sehe ich dem mit Sorge entgegen.