Für eine Klimapolitik ohne soziale Spaltung

Christian Lindner
Deutschlandfunk

Die Europa- und die Bremen-Wahlen, die liegen jetzt genau eine Woche zurück. Sie haben das nach Wahlen ja schon häufig erlebt, helfen ein paar Tage Abstand bei der Analyse?

Lindner: Die Zahlen ändern sich ja nicht mehr. Aber man sieht sicherlich das große Ganze, innerhalb dessen dann eine einzelne Entscheidung getroffen worden ist.

Wie ist das diesmal gewesen? Viele sprechen von Zäsur oder gar von Zeitenwende, es geht um die Zukunft oder das Ende von Volksparteien. Ist das schon reingesickert für Sie, was da am Sonntag geschehen ist?

Lindner: Das war doch vorher schon absehbar, dass etwas passiert. Zumindest kann ich das für uns sagen. Ich bin sehr viel im Land ja unterwegs, und da nimmt man schon Stimmungen in Veranstaltungen auf, wie gut oder weniger gut sie besucht sind. Insofern waren wir nicht vollständig überrascht über das Wahlergebnis. Natürlich nicht in jedem Detail und jeder Ausprägung, aber man gewinnt schon ein Gefühl, ob es läuft oder es weniger gut läuft. Während des Wahlkampfs war schon klar: Die Musik spielt woanders. Also, insbesondere in der Klimadebatte, über die Klimadebatte bei den Grünen, und andererseits, bei uns ist so – na ja – eine freundliche Distanz, weil die eigene Anhängerschaft nicht voll mobilisiert war.

Und das hat mich gewundert. Sie haben digitalen Wahlkampf gelernt, im Netz, in diesen Jahren, als Sie nicht ganz so sichtbar waren auf der medialen Bühne, Sie haben einen Bundestagswahlkampf geführt, der parteiübergreifend anerkannt worden ist. Jetzt haben Sie ein Problem bei der Mobilisierung gehabt. Wie passt das zusammen?

Lindner: Das ist bei der Europawahl traditionell bei der FDP der Fall gewesen.

Auch wenn man die massiv gestiegene Wahlbeteiligung in Rechnung stellt?

Lindner: Ja, die kommt ja noch hinzu. Wenn andere Parteien stark mobilisieren – ich glaube, dass das bei den Grünen und auch bei der AfD in Ostdeutschland der Fall gewesen ist –, hat das ja einen weiteren Effekt: Die mobilisieren sich also auch noch groß. Bei unseren absoluten Zahlen ist das Ergebnis ja durchaus erfreulich: Von einer auf zwei Millionen abgegebenen Stimmen haben wir uns verdoppelt. Aber dennoch ist das Ergebnis nicht das, was wir als Ansprüche an uns selber stellen. Da hätte mehr drin sein können. Na ja, bald ist wieder eine Wahl.

Dann kommen wir kurz auf das, was Sie „Gestaltungsoptionen“ nennen, sowohl in Brüssel wie auch in Bremen. Gestaltungsoptionen, die abhängig sind, weitgehend vom Verhalten der Grünen in beiden Städten. Wie sehen Sie die Chancen – wenn wir zunächst auf Brüssel schauen – für Frau Vestager, die Kandidatin der Liberalen?

Lindner: Also, in Brüssel kommt es nicht zwingend auf die Grünen an. Sondern wenn die Grünen sich klar positionieren würden für Frau Vestager, dann hätten Konservative und Sozialdemokraten weniger Chancen, ihren eigenen Kandidaten durchzusetzen. Aber für eine Mehrheitsbildung werden die Grünen dort nicht zwingend gebraucht. Aber wenn die Grünen sich einkaufen lassen von Herrn Weber oder Herrn Timmermans, dann hat Frau Vestager keine Chance, dann gibt es eine andere Mehrheit – wenn die bei Frau Vestager bleiben, dann steigen ihre Chancen. Da wird jetzt verhandelt zunächst einmal, wenn es nach uns geht, über inhaltliche Positionen.

Womit rechnen Sie?

Lindner: Das wir zum ersten Male im Europäischen Parlament so etwas bekommen wie Koalitionsverhandlungen, zumindest, wenn es nach uns geht. Sonst hat man sich dort immer geeinigt – Herr Schulz und Herr Juncker versprachen sich in die Hand: ‚Du bekommst den Job, ich bekomme den Job, und den Rest gucken wir dann mal so auf der Strecke‘. Und jetzt könnte zum ersten Mal wirklich über Inhalte gestritten werden. Wie geht es weiter beim Digitalen Binnenmarkt, bekommen wir eine andere ambitioniertere Handelspolitik auf der Welt, um eine Antwort an Washington und Peking zu senden, schaffen wir es, eine gemeinsame europäische Migrationspolitik zu bekommen, inklusive Schutz der Außengrenzen – und ein Top-Thema, auch für die europäischen Liberalen – einen Klimaschutz, der stärker auf Technologieoffenheit setzt und die in Europa ja bewährten Instrumente, marktwirtschaftlichen Instrumente auf andere Sektoren ausweitet.

Kommen wir gleich drauf, auf den Klimaschutz. Kurz noch Ortswechsel. Rechnen Sie mit Jamaika in Bremen?

Lindner: Da kommt es wirklich auf die Grünen an. Anders als in Brüssel, kommt es in Bremen auf die Grünen an. Wollen die Rot-Rot-Grün oder wollen sie eine Veränderung in der Stadt. Das Wahlergebnis hat im Grunde ja ein deutliches Signal gesendet: Die Wählerinnen und Wähler wollen eine andere Politik – Rot-Rot-Grün wäre das nicht. Aber dort in Bremen entscheiden die Grünen, ob sie eher in die bürgerliche Mitte streben oder ob erstmals in Westdeutschland die Linkspartei in einer Regierungskoalition sein wird.

Dann reden wir über den Klimaschutz. Auf Parteitagen – das fällt mir auf über all die Jahre – wird beim Thema Umweltschutz in Reden gerne darauf verwiesen, dass der erste Umweltminister Hans-Dietrich Genscher hieß. Und die Botschaft, die da mitschwingt, ist: ‚Wir haben früh verstanden‘. Wenn Sie jetzt Themenkompetenzen bei Parteien abfragen, dann rangiert die FDP bei Klima- und Umweltfragen unter ferner liefen. Wie soll sich das ändern?

Lindner: Indem wir ganz konkret über unsere Konzepte und unsere Herangehensweise sprechen. Anders wird es nicht gehen. Ihre Analyse ist voll zutreffend. Bei Digitalisierung traut man uns was zu, bei der Bildung traut man uns was zu, auch bei der Nachhaltigkeit traut man der FDP etwas zu, aber eben bezogen stärker auf Staatsfinanzen und wirtschaftliche Dynamik, nicht auf den Umwelt- und Klimabereich. Da müssen wir länger Anlauf nehmen und intensiver über das sprechen, wie wir Klimaschutz machen wollen. Denn da unterscheiden wir uns sehr stark von CDU, SPD und Grünen. Die haben alle drei im Prinzip ja einen Zugang über staatliche Eingriffe. Das haben wir beim Erneuerbare-Energien-Gesetz gesehen: Hohe Subventionen für erneuerbare Energien, aber nicht abgestimmt, etwa mit dem Ausbau der Stromnetze oder der -speicher. Und da gehen wir einen anderen Weg und darum muss man länger sprechen. Der ist möglicherweise auch erklärungsbedürftiger in Zeiten, wo es eine Bereitschaft bei vielen Menschen gibt, auch Verbote anzunehmen. Man sieht das im Fernsehen. In einer Talksendung gab es eine Autorin, die dort ganz offen forderte, es müsse viel mehr verboten werden, viel mehr eingegriffen werden, und dafür gibt es auch Applaus – nicht von uns.

Was Erklärungen angeht, führen Sie sehr schnell in das Feld Kommunikation. Wolfgang Kubicki, Ihr Stellvertreter, hat am Mittwochabend im Fernsehen gesagt, die Wirkung Ihres „Fridays-for-Future“-Tweets sei ziemlich katastrophal gewesen. Ich weiß, dass Sie sich missverstanden fühlen, dennoch: War dieser Tweet ein Fehler?

Lindner: Welcher Tweet? Es handelte sich um ein Interview mit der Bild am Sonntag.

Ich rede von einem Tweet. Und ich habe ihn mitgebracht, den Profi-Tweet. Von dem rede ich.

Lindner: Ja, aber das ist ja in Wahrheit ein Interview in der „Bild am Sonntag“ gewesen.

Ja, aber das Kürzel CL steht dahinter, da haben Sie ihn auch getweetet.

Lindner: Ja. Natürlich.

Reden wir über den Tweet – das ist eine Kurznachricht.

Lindner: Ja, genau. Aber, wie gesagt, es handelt sich um ein Interview in der „Bild am Sonntag“ und das bezieht sich darauf.

Okay.

Lindner: Wenn ich gewusst hätte, wie missverstanden diese Formulierung werden könnte, dann hätte ich meine Worte klüger gewählt. Denn die Position, die ich dort vertreten habe, habe ich, haben wir schon seit Jahren. Es geht schlicht um Folgendes: Journalisten und Politologen, wie ich, im Bundestag und Schülerinnen und Schüler und Juristen und Klimaforscher können und sollen sich auf die Ziele, die Einsparziele, wie viel Millionen Tonnen CO2 dürfen noch ausgestoßen werden, wie viel muss reduziert werden, gerne verständigen. Aber unser großes Problem ist, dass Politologen, Soziologen und Theologen auch technische Fragen beantworten. Also, Wasserstoffantrieb oder synthetischer Antrieb, synthetischer Kraftstoff oder Elektroantrieb. Das diskutieren Politologen, Soziologen und Theologen. Und das muss sich verändern, da müssen eben die sprichwörtlichen Profis ran.

Also in der Kürze und in der Formulierung ein Fehler?

Lindner: Ich würde meine Worte heute anders wägen. Das hat sich ja vollkommen verselbstständigt, weil daraus gemacht worden ist, beispielsweise ich oder die FDP, wir wähnten uns als Profis in diesen technischen Fragen. Und darum geht es ja genau nicht, sondern es geht hier um ein Umdenken, dass wir in Parlament und Öffentlichkeit bitte nicht mehr naturwissenschaftlich-technische Fragen diskutieren. Weil ich ahne, auch Ihnen wird es nicht gelingen, in aller Kürze die Funktionsweise einer Brennstoffzelle zu erläutern.

Da haben Sie völlig Recht.

Lindner: Ich würde mich jedenfalls überfordert fühlen.

Es gibt – und da haben Sie dann gleichzeitig durch diesen Tweet, diese wenigen Zeilen, einen prominenten Platz eingenommen – seit nunmehr zwei Wochen, ein Video von Rezo, das millionenfach angeklickt wurde, das sich in Ausführlichkeit mit dem Klimaschutz beschäftigt. Haben Sie es gesehen?

Lindner: Ich habe es gesehen.

Haben Sie es in Gänze gesehen?

Lindner: Ich habe es auch in Gänze gesehen.

Was haben Sie gelernt?

Lindner: Es ist eine einseitige Meinungsäußerung, wie sie in der Demokratie erlaubt ist. Es handelt sich nicht um einen journalistischen Beitrag. Von Ihnen als Journalistinnen und Journalisten erwarte ich, dass Sie einerseits/andererseits darstellen.

Was er selbst auch zugibt. Er versteht sich nicht als Journalist.

Lindner: Ja, genau. Es ist kein Journalismus, sondern es ist eine zugespitzte, einseitige Darstellung. Im wirtschaftspolitischen Teil, genauso auch im klimapolitischen Teil. Und daraus muss man zweierlei Dinge lernen: Erstens, ich glaube, wir brauchen dringend mehr Dialog. Ich begrüße es, dass Rezo jetzt bereit ist, mit der CDU zu sprechen. Bedauerlich, dass er zuvor schon Anforderungen an das Gespräch stellt. Das finde ich in der Demokratie bedauerlich, weil man muss sich ja zunächst einmal auch um Verständnis des Anderen bemühen und auf die andere Seite der Medaille schauen. Und das Zweite, was man lernen kann ist, dass die Diskussionen sich verlagern aus der allgemeinen Öffentlichkeit, aus den Qualitätsmedien – wo wir jetzt gerade senden –, auch in andere Bereiche. Das ist eine große Herausforderung für die politische Kommunikation.

Mich hat total überrascht, was wiederum Wolfgang Kubicki am Mittwochabend zu diesem Video gesagt hat im ZDF. Wir hören nochmal kurz ein paar Sekunden rein.

„Warum soll ich mir das jetzt 57 Minuten anhören. Also, die Argumente der Klimaforscher kenne ich, damit muss ich mich jeden Tag auseinandersetzen. Ich kenne die Parolen der Fridays-for-Future-Bewegung. Mehr muss ich nicht tun.“

Ist das klug? Er hat das Video nicht gesehen. Es ist seit zwei Wochen in der Welt. Alleine die Tatsache, dass 13 Millionen Menschen dieses Video anschauen, macht es das nicht zum Pflichtstoff für Spitzenpolitiker?

Lindner: So würde ich das auch verstehen. Und es spricht für Wolfgang Kubicki, dass er wenigstens so ehrlich ist zu sagen, dass er es nicht gesehen hat. Aber ich halte es für einen Fehler, ein so prominentes Stück jetzt unserer politischen Debatte nicht im Einzelnen auch stilistisch einzuordnen.

Reden wir über die politischen Mitbewerber, Herr Lindner.

Lindner: Ungern. Lieber spreche ich über uns.

Haben wir ja jetzt schon gemacht, kommen wir auch sicherlich wieder hin. Sie sind Politikwissenschaftler – ich frage mich, ob es für die politische Auseinandersetzung der FDP mit ihren Mitbewerbern – und ich schaue jetzt mal die Grünen an – einen Unterschied macht, ob man auf Augenhöhe mit einer Partei im hohen einstelligen Bereich ringt oder mit einer Partei, die inzwischen über 20 Prozent einfährt?

Lindner: Das macht keinen Unterschied. Weil unser Hauptmitbewerber, wenn es um Wählerinnen und Wähler geht, sind nicht die Grünen, sondern sind die Unionsparteien traditionell. Und auch da hätte ich immer abgelehnt zu sagen, nur weil man kleiner ist, hat man weniger Recht in der politischen Debatte mitzuwirken.

Sie haben in der Nachwahlanalyse am Montag gesagt, es sorgt Sie, dass die Ränder gestärkt worden sind, haben auf die eine Seite die AfD gesetzt, auf die andere Seite die Grünen. Halten Sie diese beiden Pole für gleichermaßen radikal?

Lindner: Ich würde es anders formulieren. Hier geht es um Milieus in der Gesellschaft und es gibt auf der einen Seite ein großstädtisches Milieu von weltläufigen Menschen, polyglotten Menschen, die eine postmaterielle Orientierung haben, weil es ihnen auch wirtschaftlich sehr gut geht. Das sind diejenigen, die dann die Grünen zu der stärksten Partei in Hamburg beispielsweise machen.

Die ich normalerweise auch in Ihr Beuteschema einordnen würde.

Lindner: Das würde ich differenzieren. Die Anhängerschaft einer liberalen Partei unterscheidet sich da schon noch und ist vielfältiger. Ich würde es einmal so sagen, bei uns ist sehr stark der Gedanke der Toleranz auch gegenüber anderen Lebensweisen mit im Spiel. Bei uns geht es sehr stark auch um Fragen der Technologie und weniger sozusagen der Nutzung des Klimawandels oder der Klimapolitik für kulturelle Veränderungen, also um den eigenen Lebensstil anderen verbindlich zu machen. So und nun auf der anderen Seite, das ist dieser Pol, den ich mit AfD kennzeichnen will. Das sind Menschen, die haben möglicherweise kulturelle Verlustängste. Die fühlen sich durch Migration, Globalisierung und Digitalisierung in ihrem Leben und in ihren Zukunftschancen in irgendeiner Form bedroht und suchen ihr Heil nun ausgerechnet in dieser AfD, die mit einer ganz einfachen Botschaft kommt, nämlich wir machen die Schotten dicht und träumen uns in eine völkische Idylle zurück. Das besorgt mich eben, dass wir gleichzeitig das Erstarken dieser Milieus beobachten.

Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk und wir reden mit Christian Linder, dem Vorsitzenden der FDP. In so einem etwas längeren Interview, Herr Lindner, da hat man entweder die Chance, 20, 25 Themen anzusprechen, viele sagen abzuhaken oder aber eines, zwei, drei zu vertiefen. Ich will noch einmal beim Klimaschutz bleiben. Sie sagen, wir als Liberale setzen darauf, dass wir eine marktwirtschaftliche Lösung für das Problem finden. Sie sprechen von einem dritten Weg. Sie sprechen von Flugzeugen, die mit alternativen Antrieben fliegen, und das alles braucht ja Zeit. Zeit, das sagen die Wissenschaftler, nicht nur die Friday-Schüler-Demonstranten, die wir nicht haben. Akzeptieren Sie diesen unmittelbaren, den zwingenden Zeitdruck, den auch die Grünen in das Feld führen?

Lindner: Wir haben Klimaziele 2030, 2050 und wir orientieren uns an dem, was die Weltgemeinschaft sich an Zielen vorgegeben hat. Da gibt es jetzt andere Vorstellungen. Manche wollen schon im Jahr 2030, zu Beginn der 30er Jahre ein klimaneutrales Deutschland haben. Das halte ich nicht für physikalisch-technisch möglich. Wir haben es ja jetzt schon nicht geschafft, die notwendigen Stromleitungen zu bauen, die wir für den jetzigen Stand erneuerbarer Energien haben. Das heißt, wir orientieren uns an den Klimazielen 2030 und 2050. Auf diesem Weg müssen doch jeweils, zumindest nach unserer Auffassung, immer die tiefhängenden Früchte geerntet werden. Das heißt, jetzt im Jahr 2019 müsste man doch Initiativen starten, um im Wärmebereich, also bei den Heizungen und bei der Gebäudesanierung, schnell voranzukommen. Da ist bislang nämlich gar nichts passiert. Man spricht vom schlafenden Riesen im Klimaschutz, das ist der Wärmebereich und den müsste man wecken. Bevor wir jetzt also Flugreisen rationieren oder so verteuern, dass eine Mittelschichtsfamilie sich nicht mehr den Mallorca-Urlaub leisten kann, bevor wir also rigoros in bestimmten Bereichen herangehen, sollten wir doch erst einmal in den anderen Bereichen, wo noch gar nichts passiert ist, die ersten Schritte machen.

Sie kommen häufig mit dieser Familie, die sich dann den Flug nach Mallorca nicht mehr leisten kann, wenn es eine CO2-Steuer gibt oder aber die Flugpreise eben entsprechend hochgehen. Dann weiß ich immer nicht, ob Sie sagen wollen, wir können es politisch nicht vermitteln, dass der Hin- und Rückflug für 88 Euro, von Berlin nach Málaga oder sonst wohin, für Geringverdiener nicht machbar ist, oder ob Sie sagen, das muss möglich sein, für diese Einkommensschichten einen solchen Flug für diesen Preis zu fliegen.

Lindner: Es muss möglich sein, dass eine ganz normale Familie ihr Leben selbstbestimmt führen kann. Meine Sorge ist, dass die gut Betuchten, die sich grüne CO2-Preise leisten können, so weitermachen wie bisher. Die fliegen auch weiter zum Backpacker-Urlaub nach Asien, weil sie sich es leisten können, und die anderen, die nicht so hohes Einkommen haben, das sind dann diejenigen, die auf Auto, auf Urlaub, auf Ernährungsgewohnheiten verzichten müssen, und das ist eine neue soziale Spaltung, die wir nicht haben müssen. Denn ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wenn wir unseren Erfindergeist wecken, wir in der Lage sind, klimaneutral zu leben und zu wirtschaften ohne diese harten Freiheitseinschränkungen.

Sie haben das eben am Anfang auch schon einmal intoniert. Macht es Sie nicht stutzig, dass Sie einen für die Wähler ja viel bequemeren Weg vorschlagen, durch technologischen Fortschritt, durch Marktwirtschaft und gleichzeitig die Partei, die auf Regulierung, nennen Sie es Zwang, setzt, am vergangenen Sonntag nicht bei 5,5 sondern bei 20,5 Prozent landet?

Lindner: Das bedeutet aber auch, dass 80 Prozent diese Partei eben nicht gewählt haben.

Es bedeutet zunächst einmal, dass eine Partei, die einen ganz anderen Weg geht, einen den Sie für völlig falsch halten, viermal so stark abschneidet wie Sie.

Lindner: Das ist erlaubt das zu fragen, aber ich erlaube mir die Antwort, 80 Prozent haben diese Partei nicht gewählt. Was wollen diese 80 Prozent? In den öffentlichen Debatten, mit Verlaub, auch in den Medien, geht es nur um diese 20 Prozent, aber die 80 Prozent spielen keine Rolle und da würde ich heran. Ob es tatsächlich für die Grünen ein Konjunkturprogramm wäre, wenn ihr Programm real umgesetzt würde, das ziehe ich mal in Zweifel. Die stark steigenden Energiepreise, die zahlt auch der BAföG-empfangende Studierende. Der hat auch die höchsten Strompreise Europas bereits heute zu blechen. Also, wenn das sich weiter verschärft, wie ändert sich dann das Bild? Gegenwärtig wird ja abstrakt gesprochen über Klimaschutz, ohne dass wir die Preise benennen, und meine Sorge ist, dass die Zustimmung zu einer radikalen Klimapolitik in den nächsten Jahren und Jahrzehnten massiv zurückgehen könnte, wenn wir tatsächlich die Auswirkungen sehen. Deshalb sollten wir im Entwicklungspfad jetzt den richtigen Weg einschlagen. Ich will es noch einmal an einem Beispiel machen, Herr Remme. Wir haben uns für eine Form der Energiepolitik, der Energiewende entschieden, die uns die höchsten Strompreise in Europa für Bürger und Betriebe gebracht hat. Wenn wir diese Instrumente, ich nenne sie planwirtschaftlich, wenn wir die jetzt im großen Maßstab auf alle Bereiche des Lebens ausdehnen und wir das wiederholen, wir werden kein leuchtendes Vorbild sein, sondern ein abschreckendes Beispiel.

Wenn Sie auf die Union schauen, sehen Sie diese massiven Verluste der CDU, begründet in der Tatsache, dass der Machtübergang von Angela Merkel zu Annegret Kramp-Karrenbauer problematisch läuft oder steckt mehr dahinter?

Lindner: Ich glaube, da steckt mehr dahinter. Am Wahltag und in der Berichterstattung danach ist Ihnen das aufgefallen, alle sprechen über Annegret Kramp-Karrenbauer und Andrea Nahles. Diese Bundesregierung, die so viel Federn lassen musste am Wahlsonntag, wird aber geführt von Angela Merkel. Die spielt offensichtlich in der innen- und parteipolitischen Betrachtung keine Rolle mehr, weil sie sich geschickter Weise selbst herausgenommen hat, aber die Situation, dass wir die höchsten CO2-Vermeidungspreise weltweit haben, ohne die Klimaziele zu erreichen, also ganz teuer, ganz wirkungslos, das ist Mitverantwortung von Frau Merkel. Das zweitwichtigste Thema für die Menschen am Wahlsonntag war die Frage der Migration. Da sind wir in Deutschland und Europa auch keinen Schritt weiter, auch eine Verantwortung der von Frau Merkel geführten Regierung.

Als Ministerpräsidentin hat sich AKK Respekt erworben, auch parteiübergreifend. Sie hat sich durchgesetzt in einem harten Wettbewerb gegen Friedrich Merz und Jens Spahn. Jetzt wachsen allerorten Zweifel an ihr, was denken Sie?

Lindner: Dass man mit dem Urteil nicht so schnell sein sollte. Annegret Kramp-Karrenbauer und Andrea Nahles sind ja in einen regelrechten Shitstorm geraten, beide, und ich halte nichts davon, dass so schnell gewechselt wird von Hosianna zu Kreuzigt-ihn und dass jede Formulierung ohne jedes Wohlwollen sofort öffentlich zerrissen wird. Mich sorgt das eher, wie schnell es zu solchen Bewegungen kommt.

Die CDU ist nicht oder vielleicht noch nicht dort, wo die SPD ist. Verstehen Sie, was bei den Sozialdemokraten gerade vor sich geht?

Lindner: Ja, ich verstehe das sehr gut, wir haben solche Phasen auch hinter uns und deshalb habe ich da keine Häme und keine Schadenfreude. Die SPD ist auf der Suche nach ihrem Kurs. Die fragt sich, was ist eigentlich unsere Identität. Was würde eigentlich dem demokratischen Gespräch fehlen, wenn es uns nicht gäbe und die Frage ist ehrlich gesagt berechtigt. Denn wenn man Kevin Kühnert hört, das, was der fordert, gibt es schon, das nennt sich Linkspartei oder Grüne. Was Svenja Schulze, die Umweltministerin, im Klimabereich fordert, das gibt es schon, das sind Grüne oder Linkspartei. Das heißt also, in diesem linken Parteienspektrum von SPD, Grünen und Linkspartei, da ist die SPD, leider muss man sagen, nicht eine Avantgarde, sondern hat sich verwechselbar gemacht. Dabei läge aus meiner Sicht, ich muss mir jetzt um meine eigene Partei genug Gedanken machen, ich muss der SPD keine Ratschläge geben, aber eigentlich läge doch auf der Hand zu fragen, wie geht es eigentlich unserem traditionellen SPD-Wähler. Das ist ein gut verdienender Facharbeiter, der zum Beispiel bei Ford in Köln am Band arbeitet, vielleicht als Teamleiter inzwischen, der Überstunden macht, der träumt von einem eigenen Häuschen auf dem Land und von dort pendelt er jeden Morgen mit dem Auto in das Werk. Der hält nichts von Enteignungen à la Kühnert, und der fragt sich auch, welche Kosten bestimmte Vorschläge von Frau Schulze für ihn haben.

Ich will jetzt am Ende des Interviews wenigstens noch eine außenpolitische Frage stellen. Wir haben viel über Innenpolitik gesprochen, und es sind ja auch bewegte Zeiten, aber nach über einem Jahr und einer kurzfristigen Absage vor drei Wochen war der amerikanische Außenminister in Berlin. In Harvard bekommt Angela Merkel stehende Ovationen, von Donald Trump bekommt sie oftmals die kalte Schulter. Beim Thema Iran-Abkommen arbeiten die beiden Hauptstädte explizit gegeneinander, ein Dilemma?

Lindner: Ein Dilemma, denn die Vereinigten Staaten sind unser wichtigster Verbündeter und Partner. In sicherheitspolitischen, aber auch in Handelsfragen gibt es keine Alternative zum transatlantischen Verhältnis. Deshalb müssen wir stärker in das transatlantische Verhältnis, auch in schwierigen Zeiten, Aufmerksamkeit investieren. Ich glaube, dass unser diplomatischer Dienst generell unterfinanziert ist. Wir reden immer über die Bundeswehr, die unterfinanziert ist, aber der Auswärtige Dienst genauso, und in diesen schwierigen Zeiten müsste es eine diplomatische, eine Dialoginitiative mit den USA geben, wenn es schwierig ist mit dem Weißen Haus, dann umso stärker mit dem Kapitol. Dann bräuchten wir neue Goethe-Institute und Generalkonsulate auch in der Fläche. Wenn man mit Herrn Trump nicht sprechen kann, dann mit seinen Wählerinnen und Wählern.

Der Ton ist ja oft ruppig geworden, insbesondere von Seiten Washingtons. Wenn jetzt Anfragen kommen, wie ein deutscher Beitrag für eine Schutzzone in Nordsyrien, wo man sehr leicht zwischen die Fronten und die Stühle, zwischen Assad und Washington und Erdogan, mit allen Risiken, die das bedeutet, geraten kann. Was tun?

Lindner: Deutschlands Beitrag kann nicht hauptsächlich ein militärischer sein. Dazu sind wir überhaupt gar nicht - bei den Einsätzen, die wir jetzt schon haben - in der Lage. Das mag ein Dilemma sein, dass wir große Verantwortung auf der Weltbühne haben als so starkes Land, dass wir aber das militärisch gegenwärtig nicht abbilden können. Deshalb halte ich das für eine eher theoretische Debatte.