Es wird ein drittes Entlastungspaket geben.

Christian Lindner
Südkurier

Lesedauer: 6 Minuten

 

Herr Lindner, der baden-württembergische Regierungschef Kretschmann empfiehlt den Bundesbürgern, künftig weniger zu duschen und öfter mal einen Waschlappen zu verwenden, um Energie zu sparen. Duschen Sie weiter wie gewohnt? 

Lindner: Die Handlungsvorschläge von Herrn Kretschmann können die Bürgerinnen und Bürger selbst einordnen. Die Bundesregierung sollte sich darauf konzentrieren, die Probleme bei der Gasversorgung zu bewältigen, dafür zu sorgen, dass es auch durch Prüfung der Kernenergie keine Stromlücken gibt und Menschen sich angesichts der Inflation nicht sorgen müssen, dass die Wohnung nicht warm oder der Kühlschrank nicht voll wird. Die stark gestiegenen Preise sind bereits ein so starker Anreiz für die Menschen, sorgfältig mit Energie umzugehen, dass solche Ratschläge auch missverstanden werden können. 

Die Bürger stellen sich auf einen Winter mit Wohlstandsverlust ein, in dem sie persönlich zurückstecken müssen. In Bezug auf Ihre Hochzeit wurde Ihnen der Vorwurf gemacht, Sie seien abgehoben. Trifft Sie dieser Vorwurf? 

Lindner: Meine Hochzeit ist Privatsache.

Dann lassen Sie uns über die politischen Debatten sprechen, an denen Sie sich beteiligen. Thema Schuldenbremse. Es gibt auch aus der FDP Stimmen, sie angesichts der Entlastungspakete auszusetzen. Bleibt es dabei, dass das mit Ihnen nicht zu machen ist?

Lindner: Wir müssen die Ursachen der Inflation bekämpfen, denn sie ist die größte Gefahr für Wohlstand und sozialen Frieden. Ein Mittel dazu ist, die Preissteigerungen nicht durch immer mehr Staatsgeld anzuheizen. Deshalb ist es ökonomisch sinnvoll, zur Schuldenbremse zurückzukehren. Das Grundgesetz lässt uns da auch keine Wahl. Ausnahmen sind für überraschende Schocks vorgesehen, nicht für strukturelle Herausforderungen wie wir sie heute haben. Damit wird die junge Generation vor Überforderung geschützt. Denn angesichts der steigenden Zinsen für den Staat müssten wir in Kürze Steuern erhöhen oder mit dem Rotstift regieren, um die Zinsen für die Schulden der Vergangenheit zu zahlen.

Warum sind Sie denn so vehement gegen eine Übergewinnsteuer für die Unternehmen, die von der Krise profitieren? Einige EU-Länder machen das ja. 

Lindner: Frankreich hat sich dagegen entscheiden, und ob der Populist Boris Johnson der beste Ratgeber für Deutschland ist, wage ich in Zweifel zu ziehen…

…aber Spanien will in den nächsten zwei Jahren sieben Milliarden Übergewinnsteuer abschöpfen und sie direkt in die Sozialausgaben schieben.

Lindner: Das deutsche Steuersystem muss neutral bleiben. Es darf nicht nach Stimmungslage entschieden werden, welche Gewinnhöhe moralisch ist und welche nicht. Zumal wir hohe Steuersätze schon haben. Niemand könnte sich mehr auf Gesetze verlassen. Denken Sie an die Impfstoffhersteller, die sonst vielleicht im Ausland ihre Forschung machen. Mich beschäftigt aber die Ursache der hohen Gewinne im Energiebereich. Aufgrund der Regeln des Strommarktes werden auch die Produzenten von Solar-, Wind- und Kohlestrom so bezahlt, als hätten sie das teure Gas eingekauft. Dadurch entstehen Milliardengewinne aus Zufall. Es ist nicht einfach, aber ich wäre offen für eine Debatte, wie die Regeln des Strommarktes verändert werden könnten, um diese Zufallsgewinne zu reduzieren.

Können Sie verstehen, dass sich Bürger mit der Gasumlage schwertun, wenn sie sehen, dass Konzerne, die in gar keiner Notlage sind, davon profitieren?

Lindner: Ja. Auch hier gab es keine einfache Lösung. Mein Kollege Robert Habeck hat die Zuständigkeit und beobachtet die Entwicklung genau. Die Überlegung war, die Belastung durch den Wegfall von russischem Gas, die manche Versorger zwingt, teuer anderes Gas einzukaufen, auf alle Gasverbraucher umzulegen. Es geht um sozialen Ausgleich. Mit der Senkung der Mehrwertsteuer haben wir dafür gesorgt, dass der Staatshaushalt davon nicht finanziell noch profitiert. 

Ist es sozial gerecht, dass das Energiegeld von 300 Euro auch Bezieher hoher Einkommen bekommen, aber Rentnerinnen und Rentner nicht? 

Lindner: Die Energiepreispauschale muss versteuert werden. Dadurch profitieren Geringverdiener mehr als die Zahler des Spitzensteuersatzes. Wir haben insgesamt enorme Entlastungspakete mit einem Volumen von über 30 Milliarden Euro geschnürt. Darin sind viele Maßnahmen enthalten, die auch Rentnerinnen und Rentnern helfen. Die Energiepreispauschale hatte dagegen im Paket die Intention, berufsbedingte Mobilitätskosten zu dämpfen. Aber klar ist eines: Die Rentnerinnen und Rentner fühlen sich teilweise nicht gesehen, obwohl wir viel getan haben. Das darf sich nicht wiederholen.

Die VDK-Chefin Bentele hat gesagt, Christian Lindner habe keine Ahnung von der Lebensrealität der Rentner. Was ist Ihre Antwort darauf?

Lindner: Frau Bentele spricht mich an, obwohl die Urheberschaft für diese Entscheidung nicht bei mir liegt. Ihre Kritik ist wohl parteipolitisch zu verstehen. Aber zur Sache, unsere Absicht ist beispielsweise, das Wohngeld zu reformieren, damit der Kreis der Wohngeldberechtigten größer wird und auch eine Heizkostenkomponente mit einberechnet wird. Ich denke etwa an das Rentnerpaar, das in seiner Wohnung jetzt Angst vor der Heizkostenrechnung hat, aber auch an die alleinstehende Witwe, die in ihrem früheren Familienhaus allein lebt und jetzt mit einer kleinen Rente Sorge hat, weil das Einkommen für die gestiegenen Gaspreise nicht reicht. Das Wohngeld in seiner reformierten Form soll auch die Menschen mit kleinem Einkommen erreichen und Menschen erfassen, die mit kleiner Rente im Eigentum wohnen. Gerade in Baden-Württemberg ist das ein großes Thema. 

Wann kommt das?

Lindner: Zum 1. Januar. Das ist Teil des dritten Entlastungspakets, ebenso wie die Reform des Bürgergeldes als Nachfolger von Hartz IV. Es ist seit vielen Jahren mein Wunsch, die Lebenssituation von Menschen im Arbeitslosengeld II-Bezug zu verbessern. Zum einen, indem der Regelsatz an die Inflation angepasst wird, zum anderen aber sollen die Menschen, die in Hartz IV sind, mit dem neuen Bürgergeld mehr Respekt erfahren, wenn sie einen kleinen Job haben. Wer heute in Hartz IV ist und daneben einen Minijob hat, muss bis zu 80 Prozent seines Einkommens beim Staat abgeben. Das finde ich unter Gesichtspunkten der Leistungsgerechtigkeit absolut unmoralisch. Beim neuen Bürgergeld sollte es deshalb mehr Respekt geben für diejenigen, die sich Schritt für Schritt wieder in die finanzielle Unabhängigkeit vom Staat zurückarbeiten wollen. Das sollen sie auch in Euro und Cent spüren. 

Die Studierenden sagen, sie seien bei den Entlastungspaketen vergessen worden. Kommt da noch was? 

Lindner: Wir haben eine Bafög-Reform verabschiedet und den Bafög-Beziehern einen Heizkostenzuschuss bezahlt. Wer einen Job hat, bekommt die Energiepreispauschale. Und dann müssen wir schauen, ob es darüber hinaus noch Studierende gibt, die Unterstützung benötigen. 

Wie geht es mit dem 9-Euro-Ticket weiter oder einem Nachfolgemodell? Vorschläge gibt es genug. Aber es gibt auch einen Finanzminister, der alles ablehnt.

Lindner: Das 9-Euro-Ticket war eine Idee des FDP-Bundesverkehrsministers Volker Wissing. Wir müssen nun die richtigen Schlussfolgerungen daraus ziehen. Für mich hat sich gezeigt, dass wir in Deutschland einen Tarifdschungel haben, der im Alltag nicht komfortabel ist. Mein Appell an die Länder ist daher, dass die Landesverkehrsminister gemeinsam mit dem Bundesverkehrsminister zu einfachen, für die Menschen im Alltag nachvollziehbaren, bundesweit vereinheitlichten und digital zugänglichen Tarifen im Nahverkehr kommen. Der Bund zahlt bereits viel für den Nahverkehr. Darüber hinaus gehende Subventionen sind nicht darstellbar. Die Fortsetzung würde gut 14 Milliarden Euro kosten. Das Geld brauchen wir für Bildung oder die Investitionen in das Schienennetz.

Sie haben ja das Wort von der Gratismentalität verwendet in Bezug auf das 9-Euro-Ticket und dafür einen Shitstorm geerntet. Würden Sie das nochmal so sagen? 

Lindner: Ich habe gesagt, dass es im Nahverkehr keine Gratismentalität à la bedingungslosen Grundeinkommen geben kann. Wenn das umstritten ist, führen wir eben diese Debatte. Denn nicht kostendeckende Mobilität ist nicht nachhaltig finanzierbar. Es könnten dann auch Fahrten zu oft unbedacht übernommen werden, weil es eben nicht den Preis als Lenkung gibt. Da die Kapazitäten begrenzt sind, wäre das unökologisch. Die Anforderungen an den Staat werden immer höher, es wird immer mehr von der Solidargemeinschaft verlangt. Aber es gibt eben Grenzen. Wenn es meine Rolle ist, daran zu erinnern, dass nichts umsonst ist, sondern irgendjemand immer zahlt, dann übernehme ich diese. Ich muss vermitteln zwischen denen, die viel abgeben, und denen, die öffentliche Leistungen fordern oder Solidarität benötigen. Das muss in einer fairen Balance bleiben.

Wie hat sich denn das Klima innerhalb der Ampelkoalition entwickelt? 

Lindner: In der Ampelkoalition koalieren zwei linke Parteien mit der FDP als einer Partei der Mitte. Die Wahlprogramme und der Blick aufs Land sind unterschiedlich. Die FDP ist in diese Koalition eingetreten, um zu verhindern, dass das Land nach links rückt. Wir wollen stattdessen, dass aus der Mitte heraus Fortschritt entsteht. Es ist nicht einfach, aber wir finden immer wieder professionell zu gemeinsamen Lösungen. 

Die Grünen profitieren in den Umfragen, die FDP nicht…

Lindner: Die Unterstützerinnen und Anhänger der FDP fremdeln teilweise mit dieser Koalition. Das war uns immer klar. Wir haben die Regierung gebildet, weil die Union nicht regierungsfähig und regierungswillig war. Weil es aus staatspolitischer Verantwortung geboten ist, muss die FDP diese Schwierigkeiten in Kauf nehmen.

Wenn man die Umfragen liest, kommt man zu dem Eindruck, dass sich die Grünen in der Mitte breitmachen. Was wollen Sie denn tun, damit die Mitte Deutschlands versteht, dass offenbar nur die FDP Politik für sie macht? 

Lindner: Ich lasse Fakten sprechen. Im kommenden Jahr werden 40.000 Euro Einkommen nur noch 37.000 Euro Kaufkraft haben. Die Grünen wollen dennoch Steuern erheben, als wären es noch 40.000 Euro. Die FDP hingegen will diese kalte Progression für die arbeitende Mitte verhindern und das Steuersystem an die Inflation anpassen.

Eine Äußerung von Ihnen kürzlich konnte man so deuten, dass Habeck Kanzler werden wolle, Sie aber nicht. Kann man das so sagen? 

Lindner: Nein, ich habe etwas anderes gesagt. Der Parteivorsitzende der Grünen hat angekündigt, dass man bei der nächsten Wahl wieder das Kanzleramt anstrebt. Mein Vorgänger wollte Kanzler werden und wurde es. Mein Vorvorgänger wollte vielleicht Bundespräsident werden und wurde Bundestagspräsident. Ich muss nichts weiter werden. Ich möchte meinen Job als Parteivorsitzender und Finanzminister so machen, dass man später sagt: Er hatte einen Kompass, Mut zu notwendigen Entscheidungen und hat das Land voran gebracht.