Ein Einfrieren der Gebühren wäre das richtige Signal.

Christian Lindner
Süddeutsche Zeitung

Lesedauer: 7 Minuten

 

Herr Lindner, Sie haben mit schweren Krisen zu tun - und dennoch Zeit für die Krise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Warum ist Ihnen das Thema jetzt so wichtig?

Lindner: Wir erleben in mehrfacher Hinsicht einen Umbruch, die Geschäftsmodelle der privaten Medien stehen insbesondere im Printbereich unter Druck. Zugleich ist die Rolle journalistischer Medien  nicht zu überschätzen, denn in Krisenzeiten besteht ansonsten die Gefahr der Desinformation. Deshalb mache ich mir Gedanken, wie die Legitimation der Öffentlich-Rechtlichen gestärkt und der Wettbewerb mit den Privaten fair bleibt.

Machen sich diese selbst genug Gedanken?

Lindner: Die Szene ist vielfältig und hat eine innere Pluralität. Da gibt es hohes Problembewusstsein und Veränderungsbereitschaft – und genauso gibt es noch Beharrungsvermögen und Fehleinschätzungen zur Lage.

Reformen werden schon seit Jahrzehnten diskutiert – bislang ist wenig passiert. Wie lässt sich erreichen, dass die Diskussion jetzt zu Zählbarem führt?

Lindner: Die Umstände erzwingen Veränderung. In Frankreich wurden Entscheidungen zur Gebührenfinanzierung getroffen, die man nicht übertragen kann, die aber auch hierzulande hellhörig machen müssen. Ich rate allerdings zu Realismus. Die FDP wollte früher das ZDF privatisieren und den Rundfunkbeitrag halbieren. Solche Forderungen verfolge ich nicht, weil deren Umsetzung nicht wahrscheinlich ist. Die Anstalten sind Tanker, die nur langsam den Kurs ändern können.

Und wenn sich die Sender nicht selbst reformieren?

Lindner: Erodieren die Akzeptanz und Legitimation für dieses System.

Was kann die Politik tun?

Lindner: Wir müssen jetzt das öffentliche Gespräch führen, damit Entscheider und Gremien der Debatte nicht ausweichen. Ich sehe nach den Vorgängen beim RBB ein Momentum. Auch in vielen Redaktionen ist das kritische Bewusstsein gegenüber den eigenen Strukturen gewachsen.

Was muss sich an diesen Strukturen ändern?

Lindner: Beispielsweise sind die Möglichkeiten, effizienter mit den bestehenden Finanzmitteln umzugehen, nicht ausgeschöpft. Es gab Überlegungen, Teile der Verwaltungen von ARD-Anstalten zusammenzulegen. Das scheint mir aktueller denn je. Das ändert nichts am Programm für die Zuschauerinnen und Hörer, setzt aber Mittel frei für Investitionen in das Programm – oder für eine bessere Bezahlung von freien Mitarbeitenden. Da nehme ich teilweise eine Zwei-Klassen-Gesellschaft wahr.

Glauben Sie, es ist realistisch, dass die Posteninhaber jetzt selbst ihre Posten kürzen?

Lindner: Im Zuge der natürlichen Stellenfluktuation – ja. Übrigens ist hinsichtlich der Gebühr ja auch eines schon erreicht worden: Es gibt kein Indexmodell bei der Festlegung der Gebühren.

Dieses Indexmodell sah vor, die Beitragsentwicklung an die Teuerungsrate zu koppeln…

Lindner: …diese automatischen Erhöhungen abzuwenden, war seinerzeit ein Anliegen der FDP. Jetzt sollten wir darüber hinaus gehen. Angesichts der Belastungen der Menschen durch die Inflation wäre ein Einfrieren der Gebühren das richtige Signal. Die Steigerungen bei Preisen und Tarifen sollten die Sender durch Konsolidierung und Reformen in den bestehenden Budgets finanzieren. Das ist realistisch und ambitioniert zugleich.

Aber die Doppelstruktur von ARD und ZDF brauchen wir weiter?

Lindner: Ja – wobei eine Debatte erlaubt ist, ob die starke Regionalisierung der ARD auf der einen Seite nicht auf der anderen Seite den Charakter eines nationalen Vollprogramms beim ZDF unterstreichen sollte.

Kürzlich haben Sie vorgeschlagen, kein Intendant sollte mehr verdienen als der Bundeskanzler. Wie bitte kommen Sie auf den Bundeskanzler als Vergleichsgröße?

Lindner: Die Öffentlich-Rechtlichen brauchen, weil sie gebührenfinanziert sind und insofern nicht in einem wirtschaftlichen Wettbewerb stehen mit den privaten Anbietern, einen objektiven Maßstab. Nach dem Vorbild der Balkenende-Norm in den Niederlanden könnten das die Bezüge höchster Staatsämter sein, wie in unserem Fall Bundeskanzler oder Ministerpräsident.

Sie sehen ernsthaft keine direkte Konkurrenz von Öffentlich-Rechtlichen und Privaten?

Lindner: Wirtschaftlich? Nein. Die Öffentlich-Rechtlichen finanzieren sich überwiegend aus Gebühren, die Privaten am Markt. Und wie viele Wechsel aus Managementpositionen zwischen beiden Sektoren gibt es?

Nun ja, das Publikum hat begrenzte Aufmerksamkeit und Zeit. Es widmet sich dem einen oder dem anderen.

Lindner: Dieser Wettbewerb bezieht sich auf den Inhalt. Private Programmmacher müssen mit ihrem Content Gewinn erzielen – das ist bei den Gebührenfinanzierten ausdrücklich nicht so. Bei den Privaten entscheidet der Eigentümer auf der Basis des wirtschaftlichen Erfolges über Konditionen. Im öffentlichen Bereich gelten andere Regeln. Der Bundeskanzler bekommt auch keine Erfolgsprämie.

In Öffentlich-Rechtlichen heißt es mitunter: Wir müssen für die Intendantinnen und Intendanten mehr zahlen, wenn wir da spitzenmäßige Leute wollen. Nun kann man darüber streiten, ob im WDR oder so spitzenmäßige . . .

Lindner: ... die Motivation, eine Führungsaufgabe im öffentlich-rechtlichen Bereich anzunehmen, sollte aus der Sache kommen. Wer nur durch viel Geld motiviert wird, kann sich anderen Aufgaben zuwenden, finde ich. Die Aufgaben eines Kanzlers, eines Intendanten oder eines Ministers sind faszinierend und eine Ehre. Und nebenbei auch angemessen vergütet.

Jetzt wissen wir, welche Gehälter nicht über denen des Bundeskanzlers liegen sollten. Welche dürfen denn über dem Gehalt des Kanzlers liegen?

Lindner: Wer unternehmerische Risiken eingeht, etwa durch eine Produktionsfirma. Und natürlich gibt es Gesichter mit Markenwert auf dem Sender, um deren Verpflichtung die Anbieter im Wettbewerb stehen. Markus Lanz war ja auch einmal bei RTL. Beim Spitzenpersonal der Verwaltung wären übrigens auch rotierende Modell denkbar.

Wie stellen Sie sich das vor?

Lindner: Muss die Führung auf Dauer bei einem Intendanten liegen oder ist nicht ein Vorstandsmodell denkbar, bei dem der Sprecher jährlich rotiert? Ich bin da nicht festgelegt. Aber was ich kann sagen: Es ist höchste Zeit für diese Debatten.

Sie schlagen vor, die Öffentlich-Rechtlichen sollten sich auf Bildung und Information konzentrieren. Und worauf sollten sie verzichten?

Lindner: Teure Rechte für Sportgroßereignisse halte ich für entbehrlich.

Wie ist es mit Unterhaltung, mit Quizshows?

Lindner: Unterhaltung gehört dazu, wenn das Programmangebot attraktiv sein soll. Damit zieht man auch Publikum an. Es soll ja kein Telekolleg oder Schulfernsehen sein. Gleichzeitig darf es keine Verdrängungssituation zwischen Kommerziellen und Gebührenfinanzierten geben, weil beide ununterscheidbar sind.

Was meinen Sie damit?

Lindner: Beispielsweise sehe ich teils sehr ausgedehnte Textberichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen im Online-Bereich. Die steht in einem Wettbewerbsverhältnis zu dem steht, was die Privaten leisten, auch Verlage wie der Ihre, die keinen Cent Gebühren erhalten, sondern Journalismus wesentlich durch Lesereinnahmen und Werbung finanzieren. Da stellen sich Abgrenzungsfragen. Es darf im Ergebnis nicht zu einer Verdrängung kommen. Denn das würde die für die Demokratie unverzichtbare Medienpluralität gefährden.

Politisch sind die Öffentlich-Rechtlichen Ländersache. Was können Ihre in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt mitregierenden Parteifreunde tun, jetzt wo der neue Medienstaatsvertrag abgesegnet werden soll?

Lindner: Auf Länderebene besteht Einfluss, weil die Staatsverträge gebilligt werden müssen. Das ist ein Hebel, den man aber nicht überstrapazieren sollte.

Wie finden Sie persönlich denn persönlich die Entwicklung der inhaltlichen Qualität der Öffentlich-Rechtlichen in den letzten Jahren?

Lindner: Es gibt Qualitätsführer. Ich persönlich sehe das heute journal im ZDF als Flaggschiff, von der journalistischen Qualität über die Grafik bis zur Exklusivität der Gespräche. Die Privaten haben nichts Vergleichbares. Das frühere RTL-Nachtjournal mit Heiner Bremer hat keinen Nachfolger bekommen. Zur Qualität gehört für mich auch die abgebildete Meinungspluralität. Bei der inhaltlichen Ausgewogenheit scheint mir, dass wir in Deutschland nicht durchgehend BBC-Standard haben.

Was hat Ihnen selbst denn bei ARD und ZDF zuletzt richtig gut gefallen, wobei sind Sie vielleicht nicht jubelnd von der Couch aufgestanden?

Lindner: Das Revival von „Wetten dass“, weil das rührend nostalgisch war. Insgesamt sind die Nachrichten von hoher Qualität. Momentan bin ich wegen meiner dienstlichen Aufgaben aber überwiegend in den Mediatheken aktiv, wenn ich auf dem Laufband bin oder auf langen Autofahrten.

Sie haben mal gesagt, Sie sorgten sich, dass immer weniger Menschen unseren Medien Vertrauen schenken. Wie kann man es denn wieder stärken?

Lindner: Erstens Akzeptanz für Meinungspluralität, auch innerhalb eines Verlags, Senders, einer Redaktion. Da ist eine kritische Selbstreflexion erforderlich, zu sagen, okay, man muss die Dinge nicht nur von links betrachten, man kann sie auch aus der Mitte betrachten, vielleicht sogar von rechts – also freundliche Grüße an Sigmund Gottlieb, der immer die Haltung der CSU eingespeist hat.

Zweitens?

Lindner: Wir müssen nachdenken über die Attraktivität des journalistischen Berufs und die Vielfalt der Zugänge. Ich bin selbst Geistes- und Sozialwissenschaftler. Müssen aber eigentlich so viele in Politik, Medien und Verbänden Geistes- und Sozialwissenschaftler oder Juristen oder Volkswirte sein, überhaupt alles Akademiker? Braucht es nicht mehr Zugänge für Quereinsteiger? Auch das verändert die Perspektive. Drittens: Arbeitsbedingungen von Journalisten. Befristungen und geringe Einkommen – das verändert das Berufsbild nicht zum besseren. Last not least: Ich rate zu einer kritischen Reflexion darüber, wo eigentlich die Grenze ist zwischen Journalismus und Aktivismus.

Ja, wo ist sie denn? Was sagen Sie?

Lindner: Ich nehme eine Veränderung wahr. Seit bald 15 Jahren führe ich regelmäßig Gespräche mit Journalistenschülerinnen und Journalistenschülern. Früher wurde auf meine Frage nach den Gründen für die Berufswahl geantwortet, man wolle Chronist sein, Menschen informieren oder auch Missstände recherchieren. Zuletzt hört ich, als Journalist müssen man den Klimawandel bekämpfen, soziale Missstände abstellen oder schlicht die Welt verändern.

Was dachten Sie da?

Lindner: Dass ich auch die Welt verändern will, weshalb ich Politiker geworden bin und mich Wahlen unterwerfe. Bei Journalisten dachte ich immer, es geht um Abbildung der Wirklichkeit – und getrennt davon die eigene Meinung.

Die Gesellschaft im Beruf besser zu repräsentieren ist sicher wünschenswert, und auch im Bundestag etwa mangelt es daran. Wie lässt sich das verbessern?

Lindner: Repräsentanz und Repräsentativität sind in meinen Augen zwei unterschiedliche Dinge, wie Wolfgang Schäuble als Alterspräsident des Bundestages hervorgehoben hat. Sich zu fühlen als Vertreter des ganzen Volks bedeutet, dass man sich als – in meinem Fall – mittelalter weißer, heterosexueller Akademiker und Großstadtbewohner um Verständnis für andere Lebenslagen bemühen sollte. Der Versuch, für alles Quotierungen zu finden, wird nicht gelingen. Stattdessen muss man sich der Mühe unterziehen, sich auch in die Schuhe anderer Menschen, sozusagen in ihre Lebensentwürfe zu stellen.

Das tun Sie?

Lindner: Ja. Als Liberaler bin ich ohnehin neugierig auf Lebensentwürfe anderer. Ich esse zum Beispiel gelegentlich vegan. Das fällt mir allerdings leichter als umgekehrt einem Veganer die Currywurst. Spaß beiseite, wir benötigen Sensibilität für die Lebenslagen von Gruppen mit Diskriminierungserfahrungen. Aber umgekehrt darf sich der urbane Lifestyle nicht über die Millionen erheben, die ländlich mit Auto, Eigenheim und Grill leben.

Sie sind mit der Welt-Politikjournalistin Franca Lehfeldt verheiratet. Haben Sie dadurch einen besonderen Blick auf die Medienpolitik?

Lindner: Nein, Medien, Politik und ihre Verbindung beschäftigen mich seit vielen Jahren. Meine Frau ist übrigens eine eher untypische Journalistin, weil sie davor ein Wirtschaftsstudium absolviert und vom house keeping bis zum Management in Hotels gearbeitet hat. Deshalb fällt uns vielleicht leicht, mal nicht über Medien oder Politik zu sprechen.