Die Steuergestaltung für Konzerne wie Apple muss auf die Tagesordnung

Christian Lindner
Süddeutsche Zeitung

Herr Lindner, in den Sondierungen geht es jetzt um Steuern und Finanzen. Haben Sie rote Linien?

Lindner: Damit bin ich vorsichtig. Wir wollen eine Finanzpolitik, die den Menschen das wirtschaftliche Vorankommen erleichtert. Eine, die als fairer empfunden wird, weil der Silicon-Valley-Kapitalismus Steuern zahlt. Die Investitionsanreize schafft, etwa beim Risikokapital…

…und das wollen Sie durchsetzen mit einem FDP-Finanzminister?

Lindner: Die Ziele müssten in einem guten Koalitionsvertrag abgebildet sein. Deshalb ist der Auftrag, den der nächste Finanzminister umsetzen muss, wichtiger als die Person, die ihn umsetzt.

Es könnte auch ein CDU-Minister sein?

Lindner: Das Bundesfinanzministerium hat besondere Kompetenzen, um die gesamte Regierungsarbeit zu steuern. Deshalb ist es ratsam, dass die größte Partei nicht Kanzleramt und Finanzministerium zugleich führt, sondern wie in Kiel einer der kleineren Partner.

Wäre die Koalition nicht schnell am Ende, wenn Finanzminister und Kanzlerin sich nicht einigen könnten, etwa beim Euro?

Lindner: Ich glaube, dass ein solcher Abstimmungsbedarf über Parteigrenzen hinweg nicht zu mehr Streit führt, sondern zu weniger. Konflikte sollten im Koalitionsausschuss thematisiert werden, nicht nur im Kabinett oder im Präsidium der CDU.

Die Kanzlerin hat Richtlinienkompetenz, sie könnte den Minister entlassen.

Lindner: Ja, formal. Eine Koalition ist aber darauf angewiesen, ihre Mehrheit im Parlament zu erhalten.

Der Koalitionsausschuss der schwarz-gelben Regierung hatte zwischen 2009 und 2013 ausschließlich Krisentreffen…

Lindner: Deshalb bin ich dafür, diese Runde routinemäßig in jeder Sitzungswoche zu versammeln, um zu sprechen und Vorhaben zu koordinieren.

Kann man sich das Ergebnis der Sondierungen als tiefgefrorenes Gericht vorstellen, das bei Koalitionsverhandlungen aufgetaut wird?

Lindner: Omas Eintopf? Jedenfalls sollte es ein gehaltvolles Gericht sein. Und auch keine Resteverwertung wie bei der Bouillabaisse…

Wobei eine Bouillabaisse die französische Würze mitenthalten würde…

Lindner: Nichts dagegen, aber wir ziehen ein Gericht der Mitte vor, also Gulaschsuppe.

Und ab Weihnachten wird gelöffelt?

Lindner: Das weiß ich nicht. Wir sortieren jetzt, was verhandelbar ist und was nicht. Es muss detailliert gesprochen werden, damit es später keine Missverständnisse gibt. Bei möglichen Koalitionsverhandlungen müsste klar sein, was wir gemeinsam wollen.

Kann man sich in den Koalitionsverhandlungen noch erlauben zu scheitern?

Lindner: Koalitionsverhandlungen nimmt man nur auf, wenn die Aussicht auf Erfolg besteht.

Die Wahlversprechen der vier Parteien summieren sich auf 100 Milliarden Euro. In der Kasse des Bundes sind aber nur 30 bis 40 Milliarden. Wer muss auf was verzichten?

Lindner: Ich kenne keinen Kassensturz, aber die Zahlen der Steuerschätzer, die dem Gesamtstaat im Jahr 2021 etwa 146 Milliarden Euro höhere Einnahmen als 2016 voraussagen. Man muss auch wieder überlegen, wo der Staat effizienter werden kann.

Sie wollen Ausgaben kürzen?

Lindner: Ich sehe kein Problem, unwirksame und sozial unausgewogene Subventionen zu streichen wie beispielsweise die für E-Autos.

Das reicht nicht, um die Steuerreform der FDP zu finanzieren im Volumen von 30 Milliarden Euro jährlich. Damit wäre das Geld aufgebraucht, man hätte keine Mütterrente und keinen Euro investiert.

Lindner: Ohne harte Arbeit am Haushalt wird eine Entlastung nicht möglich sein. Wir brauchen eine finanzpolitische Trendwende. Ein bequemes Regieren auf Kosten der schon übermäßig belasteten Mittelschicht kann ich mir nicht vorstellen. Mich besorgt, dass in den Äußerungen unserer Sondierungspartner viel vom Verteilen und wenig vom Erwirtschaften die Rede ist. Das wäre nur die Fortsetzung der großen Koalition mit anderen Mitteln. Ich erinnere mich zudem, dass der Wirtschaftsflügel der Union vor der Wahl eine Steuerentlastung von 30 Milliarden Euro gefordert hat. Die CSU unterstützt unseren Vorschlag, den Solidaritätszuschlag zu streichen. Übrigens kann ich mir auch Steuererhöhungen vorstellen.

Steuererhöhungen?

Lindner: Ja, Steuererhöhungen. Für Konzerne wie Apple. Auf europäischer Ebene und im Kreis der G20 muss deren Steuergestaltung ganz vorn auf die Tagesordnung.

Stellen Sie sich eine Internetsteuer vor oder eine Abgabe auf „Schürfrechte“ im europäischen Internetraum?

Lindner: Da gibt es viele technische Vorschläge. Für eine Festlegung ist es zu früh. Jenseits dieser Konzerne muss das Augenmerk darauf liegen, die Mitte der Gesellschaft von der Krankenschwester bis zum Ingenieur zu entlasten. Bei Steuern und Sozialabgaben, die wieder unter die Marke von 40 Prozent bezogen auf den Bruttolohn sinken sollten.

Sind Steuererhöhungen auch in Deutschland vorstellbar?

Lindner: Eine Kleeblatt-Koalition sollte viele entlasten, aber niemanden zusätzlich belasten.

Im Saldo darf es also nicht teurer werden?

Lindner: Genau.

Der Grüne Jürgen Trittin will lieber investieren als Steuern senken.

Lindner: Von den Grünen habe ich eher viele neue Ideen für Sozialtransfers im Ohr. Mir sind jedenfalls auch private Investitionen willkommen, die wir durch andere Abschreibungsregeln erleichtern sollten. Wir stellen zudem die Beteiligung des Staates an Post und Telekom in Frage. Also: Aus den Aktien an der Telekom, die wir nicht mehr brauchen, machen wir ein Glasfasernetz.

Und aus der Staatsbeteiligung an der Commerzbank?

Lindner: Die kann kein Dauerzustand sein. Die Commerzbank spielt aber eine wichtige Rolle bei der Finanzierung des Mittelstands, die durch Geschäftsmodelle neuer Anteilseigner nicht geschwächt werden darf. Darauf sollte die Bundesregierung achten. Eile ist auch angesichts des Börsenkurses nicht geboten.

Trittin will auch Spitzenverdiener stärker belasten.

Lindner: Von Spitzenverdienern höre ich keine Forderungen nach Entlastung, aber ihre weitere Belastung wäre nicht sinnvoll. Herr Trittin sollte sich auf andere Themen konzentrieren. Er ist ja ein Vollprofi mit enormer Durchsetzungsfähigkeit…

…an dem vor vier Jahren eine schwarz-grüne Regierung gescheitert ist.

Lindner: Wir leiden bis heute unter seiner Durchsetzungsfähigkeit beim Erneuerbare-Energien-Gesetz.

CDU-Unterhändler Jens Spahn schließt einen höheren Spitzensteuersatz auch nicht kategorisch aus?

Lindner: Das sagt viel über die CDU aus. Ich variiere meinen Satz von eben: Eine Kleeblatt-Koalition muss nicht jeden entlasten, sondern nur viele, aber sie sollte niemanden zusätzlich belasten.

Addiert man alle Versprechen wie digitale Schulen, Förderung von Familien und des ländlichen Raums oder Wohnungsbau, wird Ihr Kleeblatt die teuerste Koalition, die es jemals gab. Also neue Schulden?

Lindner: Nein. Auf die schwarze Null zu verzichten, wäre ein fatales Signal nach Europa.

Apropos Europa. Ließe sich mit Ihrer FDP über ein viertes Programm für Griechenland reden, falls dies erforderlich wird?

Lindner: An diesen Spekulationen beteilige ich mich nicht. Für solche Programme galten bis 2015 klare Regeln: Der IWF ist beteiligt, die langfristige Schuldentragfähigkeit ist gegeben, Reformfortschritte sind erreicht. Daran orientiert sich die FDP weiter.

Sie würden einem Schuldenschnitt zustimmen, wenn der IWF den fordert?

Lindner: Auch das ist spekulativ. Fest steht, dass es innerhalb der Euro-Zone keinen Schuldenschnitt geben kann. Deshalb müsste Griechenland in diesem Fall aus der Euro-Zone austreten.

Die Europäer bauen sich lieber einen eigenen Währungsfonds…

Lindner: Es wäre zu prüfen, wer in einem Europäischen Währungsfonds das Sagen hat und ob am Ende doch wieder politische Deals eine größere Rolle spielen als die nüchternen Zahlen. Und zu welchem Zweck würde er eingerichtet? Geht es um die Krisenintervention oder sollen sogar schon konjunkturelle Schwankungen abgefedert werden? Sie merken meine Skepsis. Ich rate weiter zur Zusammenarbeit mit dem IWF.

Bedeutet Europa nicht, aufeinander zuzugehen? Wollen Sie überall deutsche Stabilitätskriterien durchsetzen?

Lindner: Was wir an Regeln verfolgen, das ist kein deutsches Konzept, sondern ein Gebot der ökonomischen Klugheit. Viele schimpfen auf die deutsche Stabilitätspolitik. Aber nach Lage der Dinge fahren wir ganz gut damit. Warum sollte das für andere kein Konzept sein?

Weil Deutschland zum Beispiel keine Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent hat, wie das in Griechenland der Fall ist.

Lindner: Die Jugendarbeitslosigkeit in Europa besorgt mich auch. Das ist aber kein Problem, das mit Konsumausgaben zu lösen wäre, sondern nur mit geöffneten Arbeitsmärkten, besserer Bildungspolitik und attraktiven Investitionsbedingungen.

Genau dafür geben Sie ja auch Geld aus.

Lindner: Das Problem scheint mir eher zu sein, dass die Versäumnisse der Generation Berlusconi in Europa nicht schnell genug angegangen werden und dass dies mit Umverteilung kaschiert werden soll. Für Investitionen haben wir einen Haushalt der Europäischen Union, in dem schon jetzt das Band der Solidarität geknüpft ist. Sollten dennoch Mittel für konkrete Investitionen fehlen, könnte man darüber sprechen.