Deutschland braucht Klarheit

Christian Lindner
Passauer Neue Presse

Die Union hat ihren Obergrenzen-Streit beigelegt und damit den Weg für Jamaika-Gespräche freigemacht. Hat Merkel bereits angerufen?

Lindner: Wir stehen in ständigem Austausch. Die Union ist jetzt offenbar gesprächsfähig. Die Sondierungen werden in der kommenden Woche beginnen. Ich begrüße das, denn Deutschland braucht Klarheit.

Ist mit der Einigung das entscheidende Hindernis für Jamaika ausgeräumt?

Lindner: Nein, die Einwanderungspolitik ist nicht das einzige Themenfeld, bei dem die Partner unterschiedliche Vorstellungen haben. CDU, SPD und Grüne waren vier Jahre kaum unterscheidbar. In diesen Mainstream ordnen wir uns nicht ein. Der Kompromiss der Union ist zudem noch nicht die strategische Zuwanderungspolitik, die wir für erforderlich halten. Er ist nur ein Signal, dass Frau Merkel sich bewegt.

Wo sehen Sie die größten Differenzen?

Lindner: Die Grünen werden sich mit vielen der vorgeschlagenen Maßnahmen schwertun. Da geht es um die beschleunigten Abschiebungen und die Einordnung der Maghreb-Länder als sichere Herkunftsstaaten. Wir halten eine klare Trennung zwischen Asylberechtigten und Flüchtlingen für nötig. Für Flüchtlinge muss der Aufenthalt zeitlich beschränkt bleiben. Die Union bleibt in diesem Punkt vage. Außerdem ist völlig unklar, wie der Fachkräftezuzug organisiert werden soll. Wir wollen ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild. Darüber finde ich im Papier der Union leider nichts.

CDU und CSU wollen ein „Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz“. Kann man sich da nicht verständigen?

Lindner: Das ist doch nur ein Begriff. Was drinstehen soll, lässt die Union bisher weitestgehend offen. Wir wollen Qualifizierten einen unbürokratischen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ermöglichen. Das würde unseren Wohlstand sichern.

Die Unions-Einigung ist für die Grünen ein „Formelkompromiss“ mit kurzer Halbwertszeit. Wurde gemogelt?

Lindner: Man muss fair bleiben. Die Bundeskanzlerin und die CSU lagen sehr weit auseinander. Es ging hier auch um Gesichtswahrung und Befriedung der Zusammenarbeit innerhalb der Unionsparteien.

Mit welchen zentralen Forderungen wird die FDP in die Jamaika-Gespräche gehen?

Lindner: Wir wollen Trendwenden erreichen in der Europa- und Euro-Politik, bei Energie und Wirtschaft und in der Einwanderungspolitik. Bildung und Digitalisierung gehören ganz oben auf die Agenda einer künftigen Bundesregierung.

Die Kanzlerin lobt die Pläne des französischen Präsidenten zur Reform Europas. Welche Änderungen wären mit der FDP nicht zu machen?

Lindner: Die Vorschläge für eine engere Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik und bei der Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus kann man nur unterstützen. Bei der Schaffung eines digitalen Binnenmarktes und einer gemeinsamen Energiepolitik sind wir auch einer Meinung. Wir sollten uns also auf diese 80 Prozent der Vorschläge konzentrieren, die Europa stärker machen. Der Rest der Ideen, die auf eine Vergemeinschaftung von Schulden oder neue Umverteilungstöpfe hinauslaufen, würde keine Zustimmung der FDP finden.

Die Union will bei der sozialen Sicherheit mehr tun – zum Beispiel bei der Rente. Mit Unterstützung der FDP?

Lindner: Jeder hat sein Programm. Es ist nicht sozial, die letzte Lücke des Staats zu suchen, um sie mit dem Geld der Steuer- und Beitragszahler zu schließen. Es gibt auch eine Verantwortung für die Menschen, die das alles mit steigenden Steuern und Abgaben bezahlen müssen. Die FDP will eine neue Balance.

Durch den Wechsel von Wolfgang Schäuble, der Bundestagspräsident werden soll, wird das Finanzministerium frei. Ein Top-Job, den die FDP für sich beansprucht?

Lindner: Uns geht es um eine andere Finanzpolitik, nicht um Amtsinhaber. Wir wollen den Mittelstand entlasten und eine faire Steuerpolitik auch gegenüber Apple, Google & Co durchsetzen.