CDU, CSU und SPD fehlt die Kraft, dem Land eine wirkliche Richtung zu geben

Christian Lindner
Passauer Neue Presse

Herr Lindner, die SPD-Basis entscheidet über die Große Koalition. Was passiert, wenn Schwarz-Rot scheitert?

Lindner: Ich gehe davon aus, dass es eine Mehrheit in der SPD für eine Große Koalition geben wird. Die Alternative wären Neuwahlen, und davor hat die SPD Angst. Scheitert die GroKo, wären Neuwahlen die sauberste Lösung. Diese Große Koalition wird das Land nicht voranbringen. Die wesentlichen Themen von der Stärkung des Bildungssystems, der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Entbürokratisierung werden von CDU, CSU und SPD nicht angepackt. Ihnen fehlt die Kraft, dem Land eine wirkliche Richtung zu geben. Von Aufbruch und Dynamik keine Spur. Die Erneuerung lässt weiter auf sich warten. 

Aber ist es nicht ein Wert an sich, dass es dann wieder endlich eine stabile Regierung gibt?

Lindner: Ja, es ist gut, wenn wir wieder eine Regierung haben. Noch besser aber wäre es, wenn die Bundesregierung ähnlich ambitioniert wäre wie die in Frankreich. Union und SPD wollen vor allem den gegenwärtigen Wohlstand verteilen. Da werden Unterschiede und Widersprüche zwischen Parteien zugeschüttet. Für die Zukunftsfähigkeit des Landes wird aber wenig getan.

CSU-Chef Horst Seehofer wirft Ihnen in Bezug auf die gescheiterten Jamaika-Verhandlungen „Doppelzüngigkeit“ vor, spricht von einem „Krebsübel der deutschen Politik“…

Lindner: Horst Seehofer wirft mir vor, Unterlagen aus den Sondierungen veröffentlicht zu haben. Mit diesem ulkigen Angriff entlarvt Herr Seehofer sich jetzt selbst als Analog-Minister. Denn dieselben offiziellen Unterlagen, die Herr Seehofer durch seine Sprecher an Journalisten verteilt hat, haben wir auf Twitter allen Bürgern zur Verfügung gestellt. Das kann jeder bis heute sehen. Jetzt wundert mich nicht mehr, dass Emmanuel Macron in Frankreich einen Digitalminister einrichtet, während Seehofer in Deutschland ein Heimatministerium durchsetzt. Edmund Stoiber sprach einst von Laptop und Lederhose, aber bei Seehofer ist davon nur die Lederhose übrig geblieben. Heimat schaffen die Menschen selbst, wenn sie mit Glasfaser und geordneter Einwanderungspolitik gute Rahmenbedingungen haben.

Droht ein großer transatlantischer Handelskrieg?

Lindner: Ja, ich habe die große Befürchtung. Donald Trump betreibt eine Politik der Abschottung. Jetzt muss Europa seinerseits die eigenen Interessen stärker vertreten und Gegenmaßnahmen einleiten. Trump kümmert sich um Stahl und Aluminium, hat in der Vergangenheit auch von Autos gesprochen. Die Wahrheit ist, dass die USA bei der digitalen Handelsbilanz mit Facebook und Google ein massives Übergewicht gegenüber Europa haben. Also wird man diese Zukunftsindustrie von der die USA massiv profitieren, in den Blick nehmen müssen. Da kann es nicht um Motorräder von Harley Davidson gehen, da muss es um diese großen Umsatzbringer für die USA gehen. Man muss deutlich schärfere Sanktionen zumindest in den Raum stellen, um Trump zu überzeugen, dass es in seinem eigenen Interesse ist, keinen Handelskrieg anzuzetteln.

Hätten Brüssel und Berlin früher reagieren müssen?

Lindner: Das eigentliche Versäumnis ist, dass es in Deutschland und Europa, insbesondere bei den Parteien der Großen Koalition und den Grünen, kein offensives Eintreten für den Freihandel gibt. Wie kann man Trump entgegentreten und für Freihandel werben, wenn man hier im Deutschen Bundestag nicht in der Lage ist, ein Freihandelsabkommen mit Kanada zu beschließen? Im Koalitionsvertrag taucht die Ratifizierung für CETA nicht auf. In den Jamaika-Sondierungen wollten die Grünen die FDP zwingen, auf die vollständige Ratifizierung dieses Freihandelsvertrages zu verzichten. Die Krokodilstränen über Herrn Trump sind wenig glaubwürdig, solange es im Bundestag keine klare Mehrheit für die Ratifizierung von CETA gibt. Nur die FDP ist in diesem Punkt klar. Wir wollen Freihandel, weil er im Interesse der Menschen ist. Wenn man der Globalisierung Regeln geben will, wird das nur gelingen, wenn die Länder, die die gleichen Werte teilen, bei dieser Regelsetzung gemeinsam vorangehen.

Die Schweizer entscheiden über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sollte es auch in Deutschland eine Debatte und ein Votum darüber geben?

Lindner: Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den Gebühren ist populistisch. Auch die FDP war in der Vergangenheit nicht frei von dieser Versuchung. Aber wir brauchen einen öffentlich-rechtlichen Qualitätsjournalismus. Der muss mit Gebühren finanziert werden. Nur mit Werbung oder Steuermitteln ginge das nicht, weil die Sender sonst in Abhängigkeiten geraten würden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist jedoch gut beraten, mit dem Geld der Beitragszahler sparsamer umzugehen. Die Gebühr kann in den nächsten Jahren sinken, da gibt es noch erhebliche Sparreserven. Auf keinen Fall dürfen die Gebühren steigen. Es muss ein breiteres Meinungsspektrum geben, damit gar nicht erst der Eindruck entsteht, man würde nur Positionen links der Mitte unterstützen, während Positionen der Mitte und der Mehrheitsgesellschaft kaum stattfinden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss verschlankt werden, aber nicht abgeschafft.

Braucht es zwei öffentlich-rechtliche Anstalten in Deutschland?

Lindner: Forderungen, das ZDF abzuschaffen oder zu privatisieren, sind unrealistisch. Ich bin dafür, die einzelnen Sendeanstalten zu verschlanken, besser mit dem Geld umzugehen, zu prüfen, wie das Online-Angebot ist, ob es all die digitalen Spartenkanäle und Außenstudios braucht. Welche Redaktionen und welche Technik müssen wir stärken, weil die Zuschauer es wollen, und was macht keinen Sinn? Wir brauchen den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk mit dem Auftrag der Grundversorgung mit qualitativ hochwertigen Informationen und kulturellen Angeboten, die vielleicht auch nicht so marktgängig sind. Ich würde nicht gerne in einer Gesellschaft leben, die nur Medienangebote kennt, die stark meinungsgebunden sind oder nicht die Qualitätsansprüche des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben. Die Sender dürfen auch nicht versuchen, die privaten Sendeanstalten zu kopieren, sondern müssen sich auf ihren Auftrag konzentrieren.