Auf eine nachhaltige Risikostrategie setzen

Christian Lindner
Augsburger Allgemeine

Lesedauer: 4 Minuten

Herr Lindner, Bund und Ländern haben im Kampf gegen die Corona-Pandemie gerade neue Beschlüsse gefasst, die weit ins private und öffentliche Leben eingreifen. Wie bewerten Sie die Maßnahmen?

Lindner: Äußerst kritisch und teilweise sogar rechtlich fragwürdig. Es werden pauschal Betriebe geschlossen, die in Hygienekonzepte investiert haben und die Menschen schützen können. Es droht sozialer und wirtschaftlicher Schaden, ohne dass es dauerhaft Fortschritte für den Gesundheitsschutz gibt. Was passiert vor allem, wenn nach den Weihnachtsferien die Zahlen wieder steigen? Kommt dann der dritte Lockdown? Wir müssen weg vom hektischen Krisenmanagement zu einer nachhaltigen Risikostrategie. Dazu hat ein beachtlicher Teil der organisierten Ärzteschaft mit namhaften Virologen gestern eine Alternative vorgeschlagen, die den Schutz besonders Gefährdeter ins Zentrum stellt, auf Gebote statt Verbote setzt und die vor allem regional reagiert. Das könnte eine dauerhaft durchhaltbare Strategie sein, die Freiheit und Gesundheit besser ausbalanciert.

Das Parlament wurde erneut nicht beteiligt. Dabei hatte Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus als Vertreter der Regierungsparteien genau das eingefordert. Was ist davon zu halten?

Lindner: In Berlin spricht man inzwischen vom Brinkhaus’schen Gesetz. Damit ist gemeint, in Sonntagsreden wortreich und vehement genau das zu fordern, was in Wahrheit nie wirklich geplant ist. Das kennt man von den Reden über Steuersenkungen, Soli-Abschaffung, Verkleinerung des Bundestages oder rationaler Energie- und Klimapolitik. Aus allen anderen Fraktionen, insbesondere SPD und Grüne, gibt es aber die echte Forderung nach einer Beteiligung des Parlaments. Eine offene Debatte im Bundestag könnte ein Stück Versöhnung mit den Menschen bedeuten, die die Regeln ganz oder teilweise ablehnen. Außerdem kann die parlamentarische Debatte dabei helfen, Schwächen und Fehler zu erkennen. Beispiel Beherbergungsverbot. Das hätte in dieser Form niemals den Weg durch den Bundestag gefunden.

Werden die Fraktionen überhaupt beteiligt?

Lindner: Ich habe gerade moniert, dass die Fraktionsvorsitzenden zwar zu Beginn der Pandemie von der Kanzlerin informiert wurden, dann aber lange Zeit nicht mehr. In dieser Woche gab es dann erstmals wieder eine Unterrichtung. Das ist allerdings nur eine informelle Beteiligung. Sie ersetzt nicht Debatten und Entscheidungen im Parlament. Und genau dahin müssen wir bei so weitreichenden Freiheitseinschränkungen zurückkehren.

Wird die Debatte ausreichend sachlich geführt?

Lindner: Wir müssen uns einerseits vor der Relativierung dieser Erkrankung hüten. Anderseits ist das Schüren von Panik à la Lauterbach, dem SPD-Gesundheitspolitiker, auch kein guter Ratgeber. Das führt dann zu Übertreibungen, wie etwa zuletzt Lauterbachs Forderung, die Unverletzlichkeit der Wohnung aufzugeben. Das macht der Staat noch nicht mal bei der Terror-Abwehr.

Bei der CSU gibt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder gerne anderen gute Ratschläge. Nervt Sie das?

Lindner: Das können die Bürgerinnen und Bürger auf der Basis der Ergebnisse seiner Politik ohne mich beurteilen.

Viele der Corona-Finanzhilfen kommen bei den Unternehmen nicht an. Woran liegt es?

Lindner: Das betrifft neben den Unternehmen die Solo-Selbstständigen und es liegt am Übermaß der Bürokratie. Wir haben bereits den Vorschlag gemacht, dass Verluste aus 2020 bei der Steuer mit Gewinnen aus 2018 und 2019 voll verrechnet werden können. Das wäre eine unbürokratische Lösung, die allen hilft, und wir sollten sie schnell beschließen. Denn im neuen Jahr droht uns sonst eine weitere Verschärfung der ohnehin anstehenden Pleitewelle.

Die CDU hat wegen der Corona-Pandemie ihren Parteitag abgesagt. Wie bewerten Sie das?

Lindner: Jede Partei muss das für sich selbst entscheiden. Grundsätzlich gilt aber, dass das demokratische Leben fortgesetzt werden muss. Es geht nicht um den Unterhaltungsfaktor, sondern es geht um einen demokratischen Legitimationsprozess. Wir können die Vorbereitung der nächsten Bundestagswahl nicht auf Dauer unterbrechen. Ich halte das auch in Pandemie-Zeiten für machbar.

Notfalls auch indem man Parteitage digital veranstaltet?

Lindner: Das würde ich befürworten. Der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak nun wohl auch. Die Große Koalition insgesamt stand bisher auf der Bremse. Wenn die CDU jetzt den Willen hat, das Parteiengesetz zu modernisieren und digitale Entscheidungen zu ermöglichen, dann ist die FDP bereit, das in einem ganz schnellen Gesetzgebungsverfahren möglich zu machen, um der CDU ihren Parteitag bald zu ermöglichen.

Friedrich Merz hat also recht mit seinem Wunsch nach einer schnellen Lösung?

Lindner: Da steht mir kein Urteil zu. Mich wundern nur manche Kommentare. Früher fand man es gut, wenn jemand am Gitter des Kanzleramts gerüttelt hat. Wenn er das heute macht, dann ist er plötzlich ein Trump.

Wir werten das mal als ein Ja. Darüber hinaus: Die Union ist ein potenzieller Koalitionspartner der FDP. Aber wenn von dort keine klaren Ansagen kommen, auch in Bezug auf den Kanzlerkandidaten, dann können Sie wohl kaum eine Strategie für die Bundestagswahl entwickeln. Machen Sie diese Verschiebungen als Parteichef nervös?

Lindner: Wir entwickeln unsere Strategie unabhängig von dem, was andere Parteien machen. Für uns stehen Freiheit und Selbstverantwortung, das Ende der Schuldenpolitik und die Sicherung von Arbeitsplätzen, ein modernes Bildungssystem und Tempo bei der Digitalisierung im Zentrum. Nach der Bundestagswahl wird man dann sehen, welche Konstellationen möglich sind. Meine Prognose ist, dass es, anders als manche glauben, nicht automatisch auf Schwarz-Grün hinauslaufen wird. Das ist auch gut so, denn diese Verbindung zweier stark staatsorientierter Partei führt nicht dazu, dass die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten und der wirtschaftliche Fortschritt gestärkt werden.

Hat die FDP eigentlich genug Geld für einen Bundestagswahlkampf?

Lindner: Wir sind so solide finanziert wie seit 25 Jahren nicht mehr. Wir haben das gemacht, was wir dem Staat empfehlen: Mit weniger Geld besser umgehen.