Lesedauer: 3 Minuten

 

Dass die Kanzlerin inzwischen vermehrt von Öffnungen redet, lässt zwar auf eine andere Sprache schließen. Es verheißt aber noch lange keine andere Politik. Der Beschluss der Bund-Länder-Runde vom Mittwoch dokumentiert es schwarz auf weiß: Die Bürger haben es mit einer Öffnungs-Fata-Morgana zu tun.

Es ist zwar gut, dass das CDU-geführte Kanzleramt sich nicht vollständig mit seiner Linie durchsetzen konnte – das hätte so gut wie gar keine Veränderung bis weit über Ostern hinaus bedeutet. Doch auch der jetzige Fahrplan für die kommenden Wochen bleibt hinter dem zurück, was eigentlich möglich wäre. Auf Druck der Kanzlerin werden Öffnungen weiterhin nur an den jeweiligen Inzidenzwert gekoppelt. So richtig es ist, endlich regional zu differenzieren, so sehr greift dieser Kennwert allein zu kurz.

Ob 35, 50 oder 100: Die Inzidenz ist immer mehr von einem Mittel zum Zweck zu einem Selbstzweck geworden. Sie sollte Indikator für eine drohende Überlastung des Gesundheitswesens sein. Wenn sich aber die Ausgangslage durch eine fortschreitende Impfkampagne, mehr Schnell- und Selbsttests und eine verbesserte Kontaktnachverfolgung grundlegend verändert, verliert die Zahl ihre Aussagekraft.

Daher sollten dringend zusätzliche Kennzahlen herangezogen werden: die Zahl der positiven Tests, die Auslastung der intensivmedizinischen Versorgung, die regionale Impfquote und das Alter der Infizierten zum Beispiel. Nur so bekommen wir ein vollständiges Bild der Pandemie, das eine verantwortungsvolle Balance zwischen Freiheit und Gesundheitsschutz überhaupt erst möglich macht.

Nach dem Willen der Bund-Länder-Runde aber rückt ein Weg aus dem Lockdown in die Ferne. Selbst bei vergleichsweise niedrigen Infektionszahlen sind jeweils 14 Tage konstant unter den Schwellenwerten liegende Inzidenzen die Voraussetzung für weitergehende Öffnungen. Verschärfungen dagegen sollen nach wenigen Tage über den Schwellenwerten kommen. Da die Inzidenzen zurzeit weitgehend konstant bleiben, ist offensichtlich, dass wir möglicherweise über erste Schritte nicht hinauskommen werden.

Von den skizzierten Öffnungsschritten bleiben auch die Innengastronomie, weite Teile der Kultur und der Tourismus unberücksichtigt. Dabei wurden auch hier Hygienekonzepte entwickelt, Schnelltestergebnisse könnten ebenso gut wie in anderen Bereichen genutzt werden. Alle Branchen mit Hygienekonzepten brauchen klare Öffnungsperspektiven. Nicht die Öffnung muss begründet werden, sondern die Einschränkung.

Im Beschluss der Bund-Länder-Runde wird zwar betont, dass massives Testen und flächendeckendes Impfen den Umgang mit der Pandemie verändern würden. Doch ausgerechnet auf diesen zentralen Feldern versagt die Bundesregierung. Während die Regierung dem Land viel zumutet, leistet sie selbst zu wenig, um den Lockdown zu beenden. Die Schäden für Gesellschaft und Wirtschaft sind groß. Die Pandemiemüdigkeit wächst.

Wir bleiben unter unseren Möglichkeiten. Bei den Schnelltests kommen wir viel zu langsam voran. Gesundheitsminister Spahn hatte vor Tagen angekündigt, genug Schnelltests zu ordern. Warum setzt er dann erst jetzt eine Taskforce zur Beschaffung ein? Länder wie Österreich verwenden sie schon seit längerem. So wurden Öffnungen ermöglicht, im Handel zum Beispiel. Wenn man schon seit Monaten um das Potenzial von Schnell- und Selbsttests wusste, ist das eine verheerende Schlafmützigkeit. Ein angebotener Schnelltest pro Woche ist zu wenig. Es ist falsch, beim Testen zögerlich und knausrig zu sein. Denn jede Testoffensive ist günstiger als weitere Wochen oder Monate im Lockdown.

Auch der Impfprozess läuft zwei Monate nach dem Start schleppend. Hatten wir zunächst zu wenig Impfstoff, können wir nun möglicherweise nicht mehr alle Impfdosen zeitnah verimpfen. Es liegt also nicht nur an der mangelnden Bestellung der EU-Kommission, sondern auch an Fehlern bei Logistik und Organisation. Deswegen brauchen wir ein nationales Impfportal und eine funktionierendes Nachrücksystem. Die Kapazitäten von niedergelassenen Haus- und Fachärzten müssen wir nutzen – bei der Ankündigung durch Bund und Ländern darf es nun nicht bleiben.

Insgesamt bleiben die Beschlüsse der Bund-Länder-Runde eine Enttäuschung. Angesichts der starken Belastungen von Gesellschaft und Wirtschaft ist das viel zu wenig. Durch Impfungen und Tests haben wir anders als vor einem Jahr mehr Chancen, das Virus unter Kontrolle zu halten. Wenn die Regierung immer noch am Lockdown festhält, ist das politischer Wille. Dabei wäre eine bessere Balance aus Gesundheitsschutz und Freiheit schon jetzt möglich.