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„Das ist eine Chance für die Menschheit“, sagte der ehemalige US-Außenminister John Kerry und heutige Klimabeauftragte des Präsidenten Joe Biden zu Beginn einer Begegnung vor einigen Tagen in Berlin. Er meinte den Klimaschutz. Er sehe Klimaneutralität als einen „Markt mit bald neun Milliarden Teilnehmern“. Spitzentechnologien würden überall auf der Welt gebraucht. Mit einem leistungsfähigen privaten Bankensektor könne man Schwellenländern auch gleich die Finanzierung anbieten.

Was für eine Aussage, dachte ich. Während in Deutschland über das Verbot von Inlandsflügen und Verbrennungsmotoren diskutiert und den Menschen das Einfamilienhaus madig gemacht wird, die planwirtschaftlichen Vorgaben immer kleinteiliger und teurer werden und wir uns immer stärker in nationale Alleingänge flüchten, entdecken die Vereinigten Staaten „Greentech“ als den nächsten großen Investitions- und Wachstumszyklus – in globaler Perspektive. Ist es nicht Zeit zum Umdenken in Deutschland?

Bislang wurde Klimaschutz zu oft auch als Instrument eines linken Gesellschaftsumbaus gedacht – inklusive antidemokratischen Verirrungen oder der „Degrowth“-Ideologie, die in einer alternden Gesellschaft gleichbedeutend mit einer Verarmungsperspektive ist. Dabei ist die Dekarbonisierung ein faszinierendes Fortschrittsthema, das ökologische Verantwortung mit Spitzentechnologien zu einem neuen Wachstumsmodell verbinden kann. Wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn wir den Anschluss nicht verlieren wollen.

Unbestritten: Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen der Menschheit. Und außer einigen notorischen Klimaleugnern bestreitet niemand die Notwendigkeit, die Erderwärmung in den kommenden drei Jahrzehnten zu stoppen. Strittig indessen ist der Weg in eine klimaneutrale Zukunft. Geradezu reflexartig werden von Parteien links der Mitte Verzicht und Verbote gefordert. An der deutschen Askese soll die Welt genesen? John Kerry schien für diese deutschen Debatten nur ein mildes Lächeln übrig zu haben.

Tatsächlich stecken in der Lösung der Klimafrage großartige Möglichkeiten für Tausende Unternehmen in den USA, Deutschland und Europa. Und damit Chancen für Hunderttausende neuer, zukunftssicherer Arbeitsplätze. Zu den Komponenten, die weltweit im Transformationsprozess hin zu einem CO2-freien Wirtschaftskreislauf benötigt werden, gehören insbesondere innovative Anlagen, neue chemische Produkte, emissionsfreie Mobilität und hocheffiziente Energienetze und Energiespeicher. Maschinen- und Automobilbau, Chemie, Energie – vier Bereiche, in denen sich in den kommenden Jahren gewaltige Nachfrage entwickeln wird. Vier Bereiche, in denen deutsche Unternehmen schon heute führend sind.

Dies ist also ein Plädoyer für eine kluge Balance zwischen Staat und Markt. Um innovative Lösungen der Klimafrage zu entwickeln, benötigen wir einerseits einen starken Staat: also eine effiziente Verwaltung, den Abbau von Bürokratiehürden, die Förderung von Investitionen in die Entwicklung neuer Technologien und viel schnellere Genehmigungsverfahren für neue Anlagen. Nötig wird sicher auch die Unterstützung von Investitionen in Technologiewechsel sein, die in unser aller Interesse sind, die aber ohne Eintreten der Solidargemeinschaft betriebswirtschaftlich nicht zu realisieren wären; ich denke an die Dekarbonisierung einer heimischen Stahlproduktion, die als Basis vieler Wertschöpfungsketten erhalten bleiben sollte. Bis auf solche eng umrissenen Ausnahmen sollten wir uns aber vor neuen Subventionen hüten.

Denn andererseits sollten wir viel stärker als bisher auf dezentralen Ideenwettbewerb, Forschergeist und privates Kapital setzen. Eine Politik, die den Menschen und den Betrieben en détail vorschreiben will, wie sie zu leben und was sie zu produzieren haben, und die dies mit Steuern, Subventionen und Verboten durchsetzt, ist sogar kontraproduktiv. Denn sie begrenzt das Entdeckungsverfahren für neue Problemlösungen, das die marktwirtschaftliche Ordnung bietet.

Sorgen wir stattdessen dafür, dass der Staat sich nicht im Mikromanagement verzettelt. Es reicht eine zentrale Vorgabe: wie viel CO2 im Jahr ausgestoßen werden darf, um die Klimaziele von Paris zu erfüllen. Bis 2050 wird diese Vorgabe schrittweise auf null gesenkt. Wer CO2 ausstoßen will, muss im CO2-Emissionshandel Erlaubnisscheine erwerben, die von Jahr zu Jahr weniger und damit teurer werden. Wer hingegen besonders viel CO2 spart, muss weniger Zertifikate kaufen und spart Geld. Wer CO2 aus dem Kreislauf entnimmt, zum Beispiel mit der Aufforstung von Wald oder industrieller Speicherung, kann sogar Geld verdienen.

Der Staat sollte also nur festlegen, wie viel CO2 bis zum Jahr 2050 noch ausgestoßen werden darf; den Weg dorthin wollen wir dem Erfindergeist von Ingenieurinnen, Technikern, Wissenschaftlerinnen und Unternehmern überlassen.

Der große Vorteil des CO2-Emissionshandels: Er ist bereits erprobt und bewährt. Energieunternehmen, Industrie oder Fluggesellschaften in Europa müssen für ihren CO2-Ausstoß bereits heute Erlaubnisscheine kaufen. Es entsteht ein Marktpreis für CO2-Emissionen, der Lenkungswirkung entfaltet. So ist die Kohleverstromung in den letzten beiden Jahren deutlich zurückgegangen, weil sie sich für die Energieunternehmen nicht mehr lohnt. Dafür werden Investitionen der Industrie in emissionsarme Verfahren immer wirtschaftlicher.

Mit BASF und RWE wollen beispielsweise jetzt zwei große deutsche Unternehmen in der Nordsee einen der größten Windparks der Welt errichten. Sie fordern kein Steuergeld, sondern nur faire Rahmenbedingungen. Inklusive der Freigabe von Flächen, die der Staat bislang erst für die Zeit nach 2030 zur Nutzung vorgesehen hat. Wiederum die Frage, worauf wir warten? Ein (auch für andere Interessenten) offenes Vergabeverfahren sollte umgehend eröffnet werden. Das wäre ein sinnvoller Teil eines Klimasofortprogramms – statt des gegenwärtig in der Bundesregierung wohl debattierten symbolischen Tempolimits auf Autobahnen.

Es stimmt: Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Die Dekarbonisierung darf aber nicht zur sozialen Spaltung führen. Auch für Menschen mit geringem Einkommen muss die Klimaneutralität bezahlbar bleiben. Ich bin zum einen überzeugt, dass ein marktwirtschaftliches Modell durch höhere Effizienz die Vermeidungskosten pro Tonne CO2 reduziert. Im Umgang mit knappen Ressourcen war die freiheitliche Wirtschaftsordnung der Zentralverwaltungswirtschaft oder dem Sozialismus immer überlegen. Zum anderen sollten wir Einnahmen aus dem staatlichen Verkauf von CO2-Erlaubnisscheinen als „Klimadividende“ pro Kopf an die Menschen zurückzahlen. Das schützt Familien und Geringverdiener erstens vor Überforderung. Zweitens wird ein Anreizsystem geschaffen: Wer wenig CO2 verbraucht, könnte unter dem Strich ein Plus haben. Und drittens wird ausgeschlossen, dass die Politik sich eine neue Einnahmequelle eröffnet, die für was auch immer genutzt wird.

Der Besuch von John Kerry in Berlin hat gezeigt: Deutschland und Europa haben auch beim Klimaschutz in den USA wieder einen verlässlichen Partner. Mit der neuen Biden-Administration gibt es ein Window of Opportunities beim globalen Klimaschutz. Die Bundesregierung muss diesen Ball aufnehmen. Wir brauchen in Deutschland einen marktwirtschaftlichen Neustart der Klimapolitik – und weniger nationale Alleingänge sowie weniger technologische Denkverbote. Denn es besteht jetzt die vielleicht historische Chance, ein transatlantisches Emissionshandelssystem zwischen den USA und der EU aufzubauen. Es könnte der Kern für einen späteren globalen Emissionshandel sein. Dieser würde weltweit einen Wettbewerb um die besten Ideen beim Klimaschutz auslösen. Er würde auch der Speicherung von CO2 einen Wert geben und damit zum Beispiel dem Erhalt der Regenwälder dienen. Als ich Kerry den Vorschlag eines verbundenen CO2-Marktes unterbreitet habe, schien er nicht abgeneigt. Worauf warten wir?