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Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Linke und Liberale in kaum einer politischen Frage natürliche Verbündete sind. Die Linke setzt auf eine lenkende Rolle des Staates, Freie Demokraten setzen auf die Kraft der Eigenverantwortung. In diesem Wahljahr wird besonders deutlich werden, was uns alles trennt. Zum Beispiel werden wir sicherlich hart um die Zukunft unserer Wirtschaftsordnung streiten. Dennoch ist es Tradition und eine Stärke unserer Demokratie, dass die Opposition bei Grundrechtsthemen gegenüber der Regierung gemeinsam für die Rechte des Parlaments eintritt. Die Missachtung des Parlaments beim Corona-Management der Bundesregierung ist ein solcher Fall.

Die Corona-Pandemie traf unser Land unvorbereitet. In dieser Lage wurden der Exekutive bislang ungekannte Sonderrechte eingeräumt. Das mag im Frühjahr 2020 angemessen gewesen sein, um schnell auf das noch unbekannte Virus reagieren zu können. Unsere Fraktionen trugen die Krisenpolitik zu Beginn mit, unterstützten die Hilfen zur Rettung von Jobs und Unternehmen.

Bald aber war die Situation eine andere. Unsere Erkenntnisse über das Virus und seine Ausbreitungswege nahmen zu. Der Umgang mit der Bedrohung wurde zum Alltag. Der Bundestag stellte zudem unter Beweis, dass er schnell auf Änderungen des Infektionsgeschehens reagieren kann. Der Bundestag aber wurde zunehmend außen vor gelassen. Die Regierung hat es sich im Agieren ohne Parlamentsbeteiligung bequem gemacht. Eine verfassungsrechtlich nicht legitimierte Ministerpräsidentenrunde entscheidet bis heute über die massivsten Grundrechtseinschränkungen in der Bundesrepublik seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Es werden Regeln geändert, die Bewegungsfreiheit beschränkt, ganze Wirtschaftszweige stillgelegt. Die gewählten Parlamentarier können das Geschehen aber ebenso wie alle Bürgerinnen und Bürger im Land nur am Fernsehschirm verfolgen. Im Bundestag wird in Debatten nur nachträglich über längst beschlossene und zementierte Maßnahmen diskutiert. Solche Entscheidungsprozesse drohen auf längere Sicht unsere parlamentarische Demokratie zu deformieren.

Über den Gesetzgebungsprozess wird gesagt, dass kein Gesetz das Parlament so verlässt, wie es hineingekommen ist. Durch Diskussionen und den Austausch von Argumenten werden Kritikpunkte – durchaus auch solche, die von der Opposition geäußert werden – aufgegriffen und Entscheidungen verbessert. Bei den Corona-Maßnahmen findet dies aktuell nicht statt. Dabei sind die Fehler der Regierung zahlreich: Schutzmaterialien wurden Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen viel zu spät zur Verfügung gestellt, die Schulen in den Sommerferien nicht auf den Herbst und Winter vorbereitet.

Bis heute ist es trotz immer strengerer Beschränkungen für die Gesamtbevölkerung nicht gelungen, einen wirksamen Schutzschirm über die am meisten gefährdeten Menschen in Pflegeeinrichtungen zu spannen. Unsere Fraktionen haben schon frühzeitig vor diesen Entwicklungen gewarnt und auch konstruktive Vorschläge eingebracht, wie wir sie verhindern können: Durch die Förderprogramme für Luftfilter in Schulen oder die Ausweitung von Testungen in Pflegeeinrichtungen etwa. Der Vorschlag zur Abgabe von FFP2-Masken an Risikogruppen wurde erst viel zu spät umgesetzt. Insgesamt ist der Umgang mit der Frage, wie wir Masken im Kampf gegen die Pandemie einsetzen, kein Ruhmesblatt für die Bundesregierung.

Doch im Zuge der fehlenden Parlamentsbeteiligung ist die Exekutive taub geworden für alternative Strategien. In der Ministerpräsidentenrunde entwickelt sich scheinbar ein Überbietungswettbewerb bei der Härte der Maßnahmen statt alternative Optionen zu prüfen. Ohne die Stimme der parlamentarischen Opposition wurde das harte Ringen um die Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseinschränkungen durch aktionistische Symbolpolitik ohne wissenschaftliche Evidenz ersetzt.

Nicht selten wurden Entscheidungen dieses Gremiums durch die Gerichte gekippt. Das politische Versagen beim besseren Schutz der Risikogruppen wurde durch eine immer schärfere Rhetorik gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern kaschiert. Der daraus entstehende Schaden für die Akzeptanz und das Vertrauen in die Legitimation der Maßnahmen ist in der Bevölkerung immens.

Das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz sollte die auch von Verfassungsrechtlern angemahnte fehlende Parlamentsbeteiligung rechtlich sicherstellen. Unsere Fraktionen drangen hier auf ein Gesetz, das die notwendigen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung auf eine sichere rechtliche Grundlage gestellt und gleichzeitig die Parlamentsbeteiligung gewährleistet hätte.

Stattdessen wurde mit den Stimmen der Großen Koalition und der Grünen-Fraktion ein Gesetz beschlossen, das hauptsächlich bereits getroffene Maßnahmen nachträglich legitimiert und der Exekutive weiterhin alle Möglichkeiten für Entscheidungen am Parlament vorbei einräumt. Dass die Grünen als Oppositionsfraktion hier nicht konsequent für die Rechte des Parlaments eintreten, schmerzt.

Wie sehr sich die Bundesregierung vom normalen Ringen im parlamentarischen Alltag entfernt hat, zeigt sich beim chaotischen Impfstart. Unter Wissenschaftlern, Medizinern oder Journalisten lässt sich wahrscheinlich kaum jemand finden, der den Beginn der Impfkampagne in Deutschland als gelungen bezeichnen würde. Dennoch wird das bloße Hinterfragen von Vorgängen und Entscheidungen bei der Impfstoffbestellung und -produktion von den handelnden Ministern geradezu als Majestätsbeleidigung gewertet. Dabei droht neben den Fehlern bei Logistik und Tempo bereits das nächste Problem: Verfassungsrechtler halten die Impfpriorisierung, wie sie durch eine Verordnung des Gesundheitsministeriums festgelegt wurde, für verfassungswidrig.

Bei dieser ethischen Frage, die im extremsten Fall über Leben und Tod entscheiden kann, entschied sich die Bundesregierung erneut, an den gewählten Parlamentariern vorbei zu entscheiden. Bei solch tiefgreifenden Grundrechtsfragen hätte auch hier Ort der Debatte und Entscheidung der Bundestag sein müssen. Die Impfbereitschaft der Bevölkerung leidet unter diesen Verzögerungen und intransparenter Politik. Auch wenn mit dem Impfen endlich begonnen wurde, ist es für ein Impfgesetz nicht zu spät. Im Gegenteil: Seine schnelle Verabschiedung wäre umso dringlicher.

Ein Ende des Regierens am Parlament vorbei ist leider nicht in Sicht. Wieder und wieder wiederholt sich ein Muster: Vorschläge aus dem Bundeskanzleramt gelangen in die Medien und werden mehr oder weniger von den Ministerpräsidenten abgenickt. Das Parlament wird übergangen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier verteidigt dies mit der Begründung, die Ministerpräsidentenrunde mit der Kanzlerin sei „ein Erbstück aus der Bismarck-Zeit“. Ausgerechnet Bismarck, dem jegliche Kontrolle der Regierung durch das Parlament ein Dorn im Auge war.

Wir meinen dagegen, dass das Parlament dringend aus der Zuschauerrolle herauskommen muss. Dafür sind wir als selbstbewusste Parlamentarier auch selbst verantwortlich. Wenn sich anscheinend auch nicht die ganze Opposition dazu durchringen kann: Wir werden weiterhin für die Wahrung parlamentarischer Rechte streiten.