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Das Wort Quarantäne wurde im 17. Jahrhundert aus dem Französischen ins Deutsche übernommen. Es geht auf die Zahl 40 zurück, denn so viele Tage mussten Schiffe seit der Zeit der Pest im 14. Jahrhundert vor einem Hafen ankern, bevor sie hereingelassen wurden. Aus den 40 Tagen sind heute 14 geworden. Ansonsten bekämpfen wir in Deutschland das Coronavirus weiter überwiegend mit den Methoden des Mittelalters: Polizei, Grenzkontrollen, Ausgangssperren, Schutzmasken. Andere Gesellschaften auf der Welt sind weiter – sie nutzen die Chancen der Digitalisierung.

Der Shutdown ist ein historisch einmaliger Eingriff in unsere Freiheit. Politische Verantwortung bedeutet, den Normalzustand so bald wie möglich wiederherzustellen, nicht, den Ausnahmezustand zu normalisieren. Die Digitalisierung böte uns Instrumente, die wir smart nutzen könnten, um Schritt für Schritt unsere Freiheit zurückzugewinnen – unter der Voraussetzung, dass Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung geachtet werden. Die digitalen Defizite unseres Landes gefährden Gesundheit, Freiheit und Wirtschaft. Was tun?

Erstens brauchen wir endlich die lange schon angekündigte Tracing-App. Durch den Datenaustausch zwischen Smartphones werden Kontakte anonymisiert nachvollziehbar und im Falle eines Infektionsrisikos werden wir verständigt. Die Bundesregierung arbeitet daran. Aber wir brauchen mehr Tempo. Deshalb sollte Jens Spahn die deutsche Start-up-Community aktiv einbinden, um Entwicklung und Erprobung zu beschleunigen.

Zweitens. Das Robert Koch-Institut und das Max-Planck-Institut haben bereits Anwendungen vorgestellt, mit denen wir Daten spenden können. Die Verbreitung dieser Apps ist leider überschaubar. Die Idee verträgt ein Upgrade, das auch den individuellen Nutzen vergrößert: Unsere Gesundheitswerte und Symptome sollten wir individuell in einer vertrauenswürdigen Diagnose-App festhalten, für uns selbst auswerten lassen und anonymisiert der Forschung zur Verfügung stellen können – inklusive eines Alarms, wann Test und Selbstisolation angezeigt sind.

Drittens empfiehlt sich eine Zoning-App, mit der wir Gebiete ausweisen, in denen es besonders viele Fälle und damit ein hohes Infektionsrisiko gibt. Oder in denen sich besonders viele schutzbedürftige Menschen aufhalten. Häufungen von Covid-19-Fällen kommen kleinräumig durchaus vor, wie die Bevölkerung von Heinsberg leidvoll erfahren musste. Auf der anderen Seite könnten Gebiete wie Pflegestationen ausgewiesen werden, um die dort lebenden Hochrisikogruppen besser zu schützen.

Viertens regen wir eine Immun-App an, mit der sich nachweislich immunisierte Personen ausweisen können. Das Virus wird sich allmählich von den bisherigen lokalen Clustern in die Breite der Bevölkerung ausbreiten. Dann brauchen wir die Genesenen für systemrelevante Aufgaben, sei es in der Pflege, im Krankenhaus, bei der Polizei – oder als Spender von Blutplasma.

Fünftens brauchen wir eine Hilfe-App, mit der die Vielzahl bestehender Plattformen für medizinische Hilfsdienste, Lieferdienste für vulnerable Personen, Angebote zur Kinderbetreuung, Dienste zur Aufrechterhaltung von Handel und Logistik sowie einfacher Nachbarschaftshilfen gebündelt werden. Der Bund sollte hierfür eine zentrale Infrastruktur bereitstellen, um einen Überblick über Bedarfe und Hilfsangebote zu bekommen und um zentral bewerben, nachsteuern und nötigenfalls regulieren zu können. Gerade gesundheitlich schwächeren oder älteren Menschen ist es nicht zuzumuten, sich regionale, private Plattformen selbst zu suchen.

Sechstens macht eine Beschaffungs-App Sinn. Schutzbekleidung und Masken werden von Kliniken, Pflegeheimen, Bundesländern und der Bundesregierung händeringend gesucht. Mit Lieferengpässen bei lebenswichtigen Medikamenten auch abseits der Versorgung von Covid-19-Patienten ist zu rechnen. Eine zentrale Koordinationsplattform existiert bereits mit dem DIVI Intensivregister für freie Beatmungsbetten. Dieses System sollte auf medizinische Güter und Schutzausrüstung insgesamt ausgeweitet werden. Es kann nicht sein, dass die Menschen, die in unserem Gesundheitssystem ihren Kopf für uns hinhalten, ihren eigenen Schutz auf eigene Faust suchen müssen.

Und siebtens müssen wir diese Krise als Chance nutzen, um die dringend notwendige Digitalisierung in Deutschland voranzutreiben. Die Defizite in der Schulen und Hochschulen sowie der öffentlichen Verwaltung sind leider eklatant sichtbar geworden. Angesichts der schwierigen Lage bleibt uns gar nichts anderes übrig, als unser Gesundheitswesen zum Vorreiter zu machen. Immer noch erfolgt der Informationsaustausch zwischen Ärzten, Test-Labors, Gesundheitsämtern und Patienten nicht einheitlich über gemeinsame digitale Schnittstellen – oftmals angeblich sogar noch per Fax. Das führt zu unnötigen Verzögerungen und Ungenauigkeiten in der Registrierung und Nachverfolgung von Covid-19-Erkrankungen. Zentrale Plattformen bieten auch hier große Chancen.

Die zentrale Koordinierung solcher Apps bringt einen weiteren, entscheidenden Vorteil mit sich: Es würden wertvolle Daten generiert, mit denen Simulationen generiert und künstliche Intelligenz (KI) trainiert werden können. Diese könnten einen substanziellen Betrag dazu leisten, etwa Ausbreitungsmuster oder sich abzeichnende Knappheiten medizinischer Produkte zu erkennen und zu prognostizieren. Dadurch könnten wir einschränkende Maßnahmen zielgenauer dosieren und Ressourcen effizienter einsetzen.

Digitale Lösungen bergen großes Potenzial im Kampf gegen diese und zukünftige Pandemien. Der Schutz individueller Daten und das Prinzip der Freiwilligkeit müssen dabei gesichert sein. Zu schnell wird aus dem legitimen Ziel des Gesundheitsschutzes sonst eine Überwachungsgesellschaft. Es muss also unser Anspruch sein, dass wir durch die Anwendung digitaler Lösungen tatsächlich freier werden – und nicht in Wahrheit Freiheit und Privatheit dauerhaft verlieren.