Wir müssen die Fesseln für unsere Wirtschaft lösen.

Christian Lindner Wirtschaft
Wirtschaftswoche

Lesedauer: 12 Minuten

 

Herr Minister, von wem stammt folgendes Zitat: „Es gibt keinen ordnungspolitischen Grund für Aktienpakete in Staatsbesitz. Deshalb sollten wir verkaufen.“

Lindner: Ich habe da eine Ahnung …

Das Zitat stammt von Ihnen, aus dem vergangenen letzten Bundestagswahlkampf. Jetzt als Bundesfinanzminister auf der Suche nach Geld könnten Sie Ihren Worten Taten folgen lassen.

Lindner: Das tun wir. Ich erinnere zum Beispiel an den Anteil an der Lufthansa, den wir gewinnbringend veräußert haben. Es gibt noch andere Beteiligungen, die nicht im öffentlichen Interesse liegen, und die bei passender Gelegenheit privatisiert werden sollen.

Wäre diese Gelegenheit nicht genau jetzt - um die Löcher im Haushalt 2024 stopfen?

Lindner: Nein, mit den Erlösen aus Privatisierungen darf man den Haushalt nicht ausgleichen. Solche Transaktionen werden auf die Schuldenbremse angerechnet, es entstehen keine Spielräume dadurch. Das ist auch richtig so, denn mit dem Verkauf von Tafelsilber sollte kein Konsum finanziert werden.

Sie haben als Finanzminister mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen den Klima- und Transformationsfonds (KTF) die historisch größte Ohrfeige aus Karlsruhe einstecken müssen. Dieser Makel ist mit Ihrem Namen verbunden. Wie sehr ärgert Sie das?

Lindner: Für die ganze Regierung ist das peinlich und ich sehe darin einen Auftrag für mich. Ich reklamiere nicht die Urheberschaft für diesen Koalitionskompromiss…

… demzufolge 60 Milliarden Euro Ende 2021 vom Corona-Fonds auf den KTF übertragen wurden…

Lindner: … aber ich trage die politische Verantwortung dafür. Das Verfassungsgericht hat sich erstmals umfassend mit der Schuldenbremse befasst. Mit der heutigen Rechtsklarheit wären viele Entscheidungen der Vergangenheit anders getroffen worden. Jetzt ordnen wir die Staatsfinanzen im Lichte des Urteils neu. Das mache ich mit großem Engagement …

… und auch mit heimlicher Freude? Unter dem Druck aus Karlsruhe können Sie endlich eine Konsolidierungspolitik gegen SPD und Grüne durchsetzen.

Lindner: Nein, von Freude kann keine Rede sein. Es geht ja um viele sinnvolle Zukunftsvorhaben, die nun neu priorisiert und finanziert werden müssen. 60 Milliarden Euro können nicht im Vorbeigehen kompensiert werden. Da ich aber ein Gegner uferloser Staatsverschuldung und ein Unterstützer der Schuldenbremse bin, ärgere ich mich nicht, wenn sie jetzt scharf gestellt wird.

Drei Wochen nach dem Urteil sucht die Koalition immer noch nach einem Ausweg. Warum gab es eigentlich keinen Plan B?

Lindner: Beklagt wurde in Karlsruhe der KTF, geurteilt wurde über die Staatspraxis insgesamt. Die Konsequenzen betreffen auch Länderhaushalte und Sondervermögen wie den Aufbauhilfefonds für die Hochwasseropfer des Jahres 2021, den die Vorgängerregierung eingerichtet hatte. Deshalb musste viel umfassender geprüft werden, als ursprünglich erwartet.

Die Regierung hat nur wenige Optionen: Steuern erhöhen, Ausgaben kürzen die Schuldenbremse reformieren. Lassen Sie uns die alle mal durchgehen. Also: Können Sie Steuererhöhungen wirklich ausschließen oder werden sie Teil eines großen Deals?

Lindner: Zum Januar 2024 werden 15 Milliarden Euro Steuerentlastung durch den Abbau der kalten Progression für die Bürgerinnen und Bürger rechtswirksam. Zudem planen wir die Senkung der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe in der Größenordnung von 3 Milliarden Euro. Es gibt also nicht nur keine Steuererhöhungen, sondern sogar Entlastungen.

Das klingt eindeutig. Aber ist für Sie der Wegfall von Steuerprivilegien eine indirekte Steuererhöhung – oder lassen Sie da mit sich reden?

Lindner: Subventionen müssen immer geprüft werden, ob sie ihre Ziele erreichen. Aber nicht selten wird von vermeintlichen Privilegien gesprochen, um dann doch die arbeitende Bevölkerung zu belasten. Ich bin nicht auf der hastigen Suche, wo man dem Mittelstand stärker in die Tasche greifen kann. Schauen wir doch erst einmal, wo der Staat mit dem Geld, das er hat, besser umgehen und effizienter seine Ziele erreichen kann. Das gilt ganz besonders auch für die enorm gestiegenen Sozialausgaben.

Dann sind wir bei Subventionen und Ausgabenprogrammen…

Lindner: … wo wir natürlich für die Zukunft geplante Ausgaben neu bewerten. Außerdem schauen wir, was im Bundeshaushalt aus der Zeit gefallen ist und nicht mehr benötigt wird. So kann man Mittel gewinnen, um Investitionen in neue Technologien zu stärken.

Haben Sie ein Beispiel?

Lindner: Etwa der Hafendiesel, eine Vergünstigung für Dieselkraftstoffe in Häfen. Ich nehme dieses Beispiel aus der Vergangenheit, weil ich keine Dinge nennen möchte, bevor wir uns in der Koalition geeinigt haben.

Wieviel Geld fehlt denn für 2024 wirklich? Die Zahlen reichen von 17 bis 90 Milliarden Euro?

Lindner: Vorschlag: Nehmen Sie doch einfach die Zahl des Bundesfinanzministers.

Gerne.

Lindner: Im Haushalt 2024 fehlen aktuell 17 Milliarden Euro. Das hat allerdings nur teilweise etwas mit dem Urteil zu tun. Beispielsweise sind drei Milliarden die Senkung der Stromsteuer, sechs Milliarden die Anpassung der Grundsicherung. Im Klima- und Transformationsfonds ist der Änderungsbedarf dagegen groß.

Da fehlen noch die berühmten 60 Milliarden Euro aus dem Urteil …

Lindner: Ja. Allerdings wäre von diesen nur ein Teil in 2024 verausgabt worden. Die Summe war vorgesehen für den Zeitraum bis Ende 2027. In jedem Fall können die rechtsverbindlichen Ausgaben mit den Einnahmen des KTF aus der CO-2-Bepreisung und der verbliebenen Rücklagen bestritten werden. Für neue Programme arbeiten wir an neuen Grundlagen.

Das heißt also: erstmal ist alles nicht so schlimm, knapp wird es dann erst ab 2025?

Lindner: Nein, es gibt schon noch zahlreiche Absichten und Pläne, die wir neu absichern müssen.

Sie müssen also 17 Milliarden Euro kürzen. Warum ist das in einem Haushalt mit 450 Milliarden Euro überhaupt so schwierig?

Lindner: Sie müssen sehen, dass etwa 380 von den 450 Milliarden Euro gesetzlich gebundene Leistungen sind. Da müsste man dann in Leistungsgesetze eingreifen. Das setzt politische Einigkeit voraus.

Wo würden Sie ansetzen?

Lindner: Es wird derzeit noch verhandelt. Aber ich habe durchaus Vorschläge gemacht. Im Bereich des Sozialstaats wird viel Geld ausgegeben. Das kann und muss effektiver erfolgen. Wir müssen mehr Menschen in Arbeit bringen, die jetzt Bürgergeld in Anspruch nehmen. Es gibt überall Arbeit, das sieht jeder, der mit offenen Augen durch die Stadt geht. Deshalb gibt es jetzt den Jobturbo meines Kollegen Hubertus Heil.

Viele Projekte liegen jetzt auf Eis – von Intel über Infineon und TSMC in Dresden. Der schwedische Batterieproduzent Northvolt hat eine Ausnahme für eine geplante Fabrik Heide bekommen: Was ist die Botschaft dahinter?

Lindner: Die Zusage für Northvolt war keine Ausnahme oder Botschaft, sondern entspricht dem fortgeschrittenen Verfahrensstand bei diesem Projekt.

Wären Sie nicht schon viel weiter, wenn Sie die 10 Milliarden Euro Subvention nur für die Chipfabrik von Intel in Magdeburg streichen würden?

Lindner: Hier gibt es Absichtserklärungen, die bis in die Zeit von Frau Merkel zurückreichen. Unabhängig von diesem Einzelfall bin ich auf mittlere und lange Sicht nicht davon überzeugt, dass Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit, seinen Wohlstand und seine soziale Sicherheit durch Subventionen sichern kann.

In einer perfekten Welt würde das stimmen, aber wir sind umgeben von großen Konkurrenten wie den USA und China, die ausländische Unternehmen mit vielen Milliarden anlocken.

Lindner: Abwarten. Wenn man sich in den USA die Zinslast und die Schuldenquote ansieht, bin ich neugierig, ob der nächste Präsident, egal ob Demokrat oder Republikaner, diese Fiskalpolitik fortsetzen kann. Und außerdem stellt die EU auch hunderte Milliarden für den „Green Deal“ bereit.

Ob Chips, Batterien oder Wasserstoff: Funktioniert der Aufbau von Schlüsselindustrien, um Autonomie zu erlangen, heute noch ohne Subventionen?

Lindner: Ich teile das Paradigma der Autonomie nicht…

Es ist das Paradigma Ihrer Koalition. Und der EU…

Lindner: Nein, wir wollen resiliente Liederketten und insbesondere ein De-Risking bei China, aber kein De-Coupling. Aber ob Halbleiter aus den USA, Irland oder aus Deutschland kommen, das ist mir einerlei – idealerweise kommen sie aus unterschiedlichen Quellen. Es wäre doch töricht zu glauben, dass wir alle Branchen und alle Glieder einer Wertschöpfungskette in unserem Land haben müssten. Das würde doch den Gedanken einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft in Frage stellen. 

Was ist mit Menschen, die umbauen und sanieren müssen und die etwa beim Heizungstausch auf ein Hilfsprogramm des Staates setzen? Können Sie denen sagen, dass ihr Dach über dem Kopf sicher ist?

Lindner: Ja, diese Zusagen sind gemacht und sicher.

Die Grünen wollen gern ökologisch schädliche Subventionen abbauen und verweisen auf das Bundesumweltamt, das rund 65 Milliarden Euro davon identifiziert hat. Warum streichen Sie hier nicht?

Lindner: Das klingt immer so einfach. Aber wenn man sich dann welche konkret anschaut, stellt man fest, dass ein Abbau die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen würde oder enorm schädliche soziale Auswirkungen hätte.

Zum Beispiel?

Lindner: Die Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau gelten als eine umweltschädliche Subvention.

Warum?

Lindner: Weil Flächen versiegelt werden durch neue Wohnungen.

Und was ist mit dem billigeren Industriestrom?

Lindner: Einen Industriestrompreis gibt es ja nicht. Wir senken die Stromsteuer für einen Bereich der Wirtschaft, der im weltweiten Wettbewerb steht. Wenn es unser Ziel ist, den Industrie- und Wirtschaftsstandort Deutschland zu erhalten und wir immer größere Teile elektrifizieren, dann müssen wir die Konsequenzen ziehen, auch bei der Stromsteuer.

Das heißt, die genannten 65 Milliarden Euro Einsparvolumen bei ökologisch schädlichen Subventionen sind ein Popanz?

Lindner: Das ist keine Zahl, die ich mir zu eigen mache.

Herr Lindner, eines wundert uns schon: Sie wirken angesichts des Haushaltschaos und der Krise der Ampel recht entspannt.

Lindner: Ich habe gute Nerven.

Wie kann das sein? Unsere Wirtschaft steckt in der Rezession, Ökonomen sprechen von einer „Schockstarre der deutschen Industrie“. Sind Sie nicht alarmiert?

Lindner: Ich bin engagiert, um daran etwas zu ändern. Ich sehe die Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung. Vor allem höre ich von Mittelständlern, Handwerkern, großen Unternehmen und Investoren, was los ist.

Die Stimmung ist katastrophal.

Lindner: Die Stimmung ist noch schlechter als die Lage. Das ist für mich ein Handlungsauftrag.

Und was tun Sie?

Lindner: Zunächst einmal muss man die Lage richtig analysieren: Es kommen mehrere Dinge zusammen. Einige geopolitische und wirtschaftliche Entwicklungen, die außerhalb unser Einflusssphäre liegen. Stichwort: Ukrainekrieg und der Ausfall russischer Energieimporte, die konjunkturelle Schwäche in China und die Zinspolitik der Notenbanken. Auf der anderen Seite haben wir strukturelle Defizite, an denen wir gerade jetzt arbeiten müssen.

Die Ungeduld wächst in der Wirtschaft. Nach zwei Jahren Regierung müsste von der FDP langsam etwas kommen.

Lindner: Es ist schon viel passiert. Wir haben unsere Energieversorgung umgestellt und ruinöse Preisspitzen verhindert. Planungs- und Genehmigungsverfahren sind beschleunigt. Wir erleichtern die Einwanderung von Fachkräften, zugleich bekämpfen wir illegale Migration in den Sozialstaat. Es gibt marktwirtschaftlicheren Klimaschutz. Im Bundeshaushalt stehen Rekordinvestitionen. Bürokratiekosten gehen zurück. Die Inflation sinkt, weil wir die EZB mit einer restriktiven Fiskalpolitik unterstützen. Wir haben die Steuerlast für Menschen und Betriebe gesenkt. Wir sind auf dem Weg.

Das heißt, die Bürger und Unternehmen würdigen nicht Ihre Erfolge?

Lindner: Nein, aber die äußeren Einflüsse sind stark. Deshalb müssen wir weiter am Ball bleiben. Zwei weitere Bausteine sind hier das Zukunftsfinanzierungsgesetz und das Wachstumschancengesetz…

… sehr kleine. Winzige, sagen manche.

Lindner: Dass wir die Mitarbeiterkapitalbeteiligung in Startups erleichtert haben, wurde international wahrgenommen. Ich sehe also schon eine erhebliche Wirkung.

Aber wird sie erheblich genug?

Lindner: Natürlich wünsche ich mir mehr. Politik ist die Kunst des Möglichen. In den letzten zehn Jahren wurde die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes vernachlässigt. Wir haben einen strukturellen Reformbedarf nach Jahren der Verteilungspolitik geerbt. Das ist in zwei Jahren nicht aufgeholt. Und nicht für alles gibt es Mehrheiten in diesem Land.

An was denken Sie da?

Lindner: Auf die notwendige Unternehmenssteuerreform warten wir seit 2017, weil die Mehrheit im Parlament dafür fehlt.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnt jedenfalls vor einem Absturz der Wirtschaft. Sehen Sie das auch so?

Lindner: Nein. Zum Glück hängt die Stärke der deutschen Wirtschaft nicht am Staatshaushalt. Aber die Standortbedingungen haben sich dramatisch verschlechtert, das stimmt. Jetzt haben wir es in der Hand, sie zu verbessern. Wir müssen die Fesseln für unsere Wirtschaft lösen. Ich wünsche mir, dass wir jetzt nicht nur ein Konsolidierungspaket für die Staatsfinanzen vorlegen, sondern gleichzeitig ein Dynamisierungspaket für die Wirtschaft.

Gleichwohl stöhnt die Wirtschaft über zunehmende Bürokratie, etwa das Lieferkettensorgfaltsgesetz.

Lindner: Ja. Das ist ein Gesetz, das noch aus der Zeit der großen Koalition stammt. Ich habe den Beschluss bedauert. Wir arbeiten jetzt daran, dass die Bürokratie nicht weiter ausufert. Frau von der Leyen plant eine EU-Sanierungsrichtlinie, die mich unverändert besorgt.

Kommen wir zum großen Thema Schuldenbremse.

Lindner: Gerne.

Es gibt namhafte Ökonomen, die eine Reform befürworten, etwa mit einer Investitionsklausel. Sie sind gegen jegliches Aufweichen. Warum verweigern Sie sich einer Diskussion?

Lindner: Der Investitionsbegriff wird schnell ausgedehnt. Die politische Linke spricht zum Beispiel von Investitionen in den sozialen Zusammenhalt. Hier wird der Investitionsbegriff verdreht. Mein zweites Gegenargument ist: Wenn wir uns verschulden, müssen wir dafür auch Zinsen zahlen. Das schränkt künftige politische Gestaltungsspielräume ein.

Aber Deutschland ist im Vergleich zu anderen Staaten nur moderat verschuldet.

Lindner: Deshalb sind wir auch der Goldstandard und zahlen für unsere Staatsschulden vergleichsweise weniger. Und mit 64 Prozent Staatsschulden im Vergleich zum BIP sind wir noch immer über dem Vorkrisenniveau, auch wenn wir uns wieder dem Limit von 60 Prozent nähern.

Werden wir die 60 Prozent bald wieder unterschreiten?

Lindner: Ja, in der kommenden Wahlperiode voraussichtlich.

Experten sagen, dass die Schuldenbremse Investitionen hemmt…

Lindner: … was ich so nicht sehe. In vielen Haushaltstiteln für Investitionen bleibt jedes Jahr etwas übrig. Wir müssen also nichts an der Schuldenbremse ändern, sondern all die bürokratischen und genehmigungsrechtlichen Hürden abbauen, damit das vorhandene Geld auch abfließt.

Was halten Sie von der Idee, ähnlich wie bei der Bundeswehr einen klar definierten Topf als Sondervermögen für Klimaschutz und Zukunftstransformation im Grundgesetz zu verankern?

Lindner: Selbst die WirtschaftsWoche ist also schon in diesem Narrativ verfangen! Eigentlich müssten Sie doch sagen: Wir stehen vor einer gewaltigen Transformation, das ist eine Aufgabe für Unternehmen. Die müssen investieren - und der Staat muss dafür gute Rahmenbedingungen liefern.

Aber verhindert die Schuldenbremse nicht eine tiefgreifende Steuerreform, da ja bei Steuersenkungen zunächst die Staatseinnahmen zurückgehen?

Lindner: Das Problem ließe sich beheben, indem der Staat auf bestimmte Ausgaben verzichtet. Man müsste also entsprechende Freiräume schaffen.

Herr Minister, Sie sind auch Bundesvorsitzender der FDP. Ihre Partei befindet sich in den Wahlumfragen gerade in der politischen Todeszone um fünf Prozent. Wie groß sind hier Ihre Sorgen?

Lindner: Ich bin seit zehn Jahren Parteivorsitzender. Deshalb bin ich mit den Wellenbewegungen vertraut und bleibe gelassen. Denn wir haben ein Alleinstellungsmerkmal in der Parteienlandschaft: Die FDP ist die einzige liberale Partei in Deutschland. Die einzige Partei, in deren Zentrum der einzelne Mensch steht mit dem Respekt vor Leistung und Eigentum.

Aber selbst viele Mitglieder sind skeptisch. Es gibt eine Mitgliederbefragung darüber, ob die FDP aus der Ampelkoalition aussteigen soll. Was tun Sie, wenn eine Mehrheit dafür ist?

Lindner: Ich werde als erstes beschreiben, was die FDP in dieser Regierung erreicht hat.

Reicht das?

Lindner: Immerhin können wir auf etwas verweisen. Wünschen wir uns mehr? Ja! Aber wir bringen das Land in schwieriger Zeit voran. Darauf würden wir verzichten. Zweitens muss man die Anhänger der Idee eines Austritts aus der Regierung vor allen Dingen fragen: Was dann? Eine rot-grüne Minderheitsregierung? Eine rot geführte Groko?

Wer 2025 den Wechsel will, wird aber bei der Bundestagwahl nicht unbedingt FDP, sondern CDU wählen, oder?

Lindner: Man sollte nach der Sache urteilen. Die CDU liebäugelt mit Steuererhöhungen – ich nicht. Innerhalb der CDU ist das Verhältnis zur Schuldenbremse noch, sagen wir es einmal freundlich, ungeklärt.

Aber Ihre Botschaft kann ja nicht nur sein: Die FDP verhindert das Schlimmste.

Lindner: Nein, die FDP bewirkt Positives. Klar, wir bremsen auch manche Idee. Aber wir sind eine Gestaltungspartei.

Aber es scheint nicht zu reichen.

Lindner: Auch ich bin ungeduldig. Wir arbeiten hart daran, dass Land zu erneuern und die Wirtschaft auf den Erfolgspfad zurückzuführen. 2025 können die Bürgerinnen und Bürger dann urteilen, wie es weitergehen soll.

Wollen Sie in die nächste Bundestagswahl mit einer Koalitionsaussage für die Union gehen?

Lindner: Wir sind eine eigenständige Partei und gehen ohne Koalitionsaussage in die nächste Wahl.

Glauben Sie denn, dass die Union 2025 regierungsfähiger ist als 2021?

Lindner: Da wage ich keine Spekulation. Richtig ist, dass Markus Söder nach der Bundestagswahl 2021 dem CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet die Gefolgschaft gekündigt hat, als ich noch an einer Option Jamaika habe arbeiten wollen. Aber das ist Geschichte.