Unser Ziel ist es, 2024 zum Jahr der Wende zu machen.

Christian Lindner Bauernproteste
Neue Osnabrücker Zeitung

Lesedauer: 7 Minuten

 

Herr Lindner, die Landwirte legen das Land mit ihren Traktoren lahm, die Bahn streikt. Wird das neue Jahr ein Jahr des Protests?

Lindner: Es liegt in unserer Hand, wie dieses Jahr wird. Unser gemeinsames Ziel sollte es jedenfalls sein, 2024 zu einem Jahr der Wende in der gesellschaftlichen Stimmung und der wirtschaftlichen Entwicklung zu machen. Jede und jeder kann einen Beitrag dazu leisten, dass wir den Krisenmodus verlassen.

Sehen Sie Spielraum, den Landwirten weiter entgegen zu kommen oder steht die Bundesregierung jetzt geschlossen hinter dem Kompromiss, die Agrardiesel-Subventionen stufenweise abzubauen?

Lindner: Wir haben uns die Auswirkungen des Vorschlags gründlich angesehen und deshalb Korrekturen vorgenommen. Das grüne Nummernschild bleibt, die Subvention des Agrardiesels läuft nur schrittweise aus. Mit dem Abbau von Subventionen schließen wir im Übrigen keine Haushaltslöcher, sondern finanzieren neue Entlastungen. Es wird ja die Stromsteuer für das gesamte produzierende Gewerbe gesenkt. Eine alte Subvention läuft aus, eine neue Entlastung wird eingeführt.

Aber nochmal: Ist das letzte Wort gesprochen, auch wenn die Bauern noch wochenlang weiter protestieren?

Lindner: Das Parlament hat beim Haushalt das letzte Wort. Aber für die Normalisierung der Staatsfinanzen werden alle ihren Beitrag leisten müssen. Der Agrarsektor erhält jährlich Subventionen von gut neun Milliarden Euro aus Brüssel und Berlin. Es fallen 2025 jetzt weniger als dreihundert Millionen weg. Wir reden also von rund drei Prozent.

Bauernpräsident Rukwied spricht von „einem Sterben auf Raten” der Betriebe, der durch die Kürzungen ausgelöst werde. Nehmen Sie das also in Kauf?

Lindner: Herr Rukwied vertritt die Interessen einer Gruppe. Dazu gehört auch eine drastische Ausdrucksweise. Bekanntlich bin ich ja persönlich oft auf dem Land, im Wald und im Pferdestall zu finden. Deshalb habe ich Sympathie für die Betriebe und kenne auch einige. Ich glaube, dass die aktuelle Subventionsfrage in Wahrheit einen tiefer liegenden Druck freigesetzt hat. Viele Landwirtinnen und Landwirte fühlen sich seit Jahren bevormundet durch eine grüne Ideologie, durch unwissenschaftliche, teure und bürokratische Vorgaben, durch erzwungene Flächenstilllegungen und durch anderes mehr. Mein Vorschlag ist, dass wir die Zukunftsfähigkeit des Agrarbereichs nicht durch Subventionen stärken, sondern durch mehr Vertrauen, dass die Landwirte am besten wissen, wie sie ihre Betriebe nachhaltig führen. Landwirte sind stolze Unternehmer, die mit großartigen Produkten am Markt erfolgreich sein wollen statt um Staatshilfe zu bitten.

Ihr Kabinettskollege Robert Habeck von den Grünen meint mit Blick auf die Proteste, dass in den letzten Jahren „etwas ins Rutschen geraten ist, was den legitimen demokratischen Protest und die freie Meinungsäußerung entgrenzt”. Teilen Sie seine Einschätzung?

Lindner: Zum Teil. Schon bei den Klimaklebern habe ich darauf hingewiesen, dass Blockaden eine Form von Gewalt sind und dass gefährliche Eingriffe in den Verkehr und Sachbeschädigungen Fälle für den Staatsanwalt sind. Bei den aktuellen Protesten gab es Grenzüberschreitungen, aber unter dem Strich scheint es weitgehend friedlich zuzugehen. Mir scheint zudem, dass die Landwirte sich nicht von der AfD instrumentalisieren lassen, die ihnen populistisch nach dem Munde redet. Das wäre ja auch ein Treppenwitz der Geschichte, da die AfD eigentlich aus der EU austreten und gleich alle Agrarsubventionen abschaffen will. Wir müssen jedenfalls in alle Richtungen sensibel sein. Unabhängig davon, ob das System von Rechts oder von Links infrage gestellt wird. Gewalt ist kein Mittel der Politik.

Was würde es für Deutschland bedeuten, wenn die USA weitere Ukraine-Hilfen in Höhe von 60 Milliarden Euro nicht freigeben?

Lindner: Das würde Putin in die Karten spielen. Deshalb gehe ich davon aus, dass die USA am Ende zu ihren Zusagen stehen. Deutschland allein wäre jedenfalls nicht in der Lage, einen Ausfall der USA auch nur ansatzweise zu kompensieren.

Und Europa?

Lindner: Auch für Europa insgesamt wäre dies in jeder Hinsicht ein Kraftakt. In keinem Fall ginge es in der bisherigen Lastenteilung. Deutschland leistet bereits die Hälfte der gesamten europäischen Hilfen für die Ukraine. Das ist doppelt so viel wie unser Anteil an der europäischen Wirtschaftskraft. Es darf nicht dazu kommen, dass Deutschland jetzt noch mehr leistet, damit andere in Europa weiter weniger tun als es eigentlich ihre Pflicht wäre.

Wäre die Einhaltung der Schuldenbremse wichtiger als die Hilfe für die Ukraine?

Lindner: Sowohl die Stabilität der Staatsfinanzen als auch die Unterstützung der Ukraine sind Teil unserer Wehrhaftigkeit. Beides darf man also nicht gegeneinander ausspielen. Tatsächlich gibt es gegenwärtig einen Sport, nach immer neuen Anlässen und Gründen zu suchen, um mehr Schulden zu machen. Das ist gefährlich. Unsere Verfassung verlangt von uns, dass, wenn es außerordentliche Ausgaben gibt, zunächst geprüft wird, ob es Möglichkeiten im Haushalt gibt. Das Ausrufen einer Notlage ist nicht die erste, weil bequemste Option, sondern die letzte. Dafür gibt es gute Gründe. Schon heute kommen nämlich auf jeden Bürger gut 500 Euro Zinsen für Schulden der Vergangenheit. Diese 40 Milliarden Euro an Zinsausgaben fehlen uns für Investitionen in Bildung, Infrastruktur oder für Steuerentlastung.

Aber wäre es nicht auch ein wichtiges Signal an den russischen Präsidenten zu zeigen, im Zweifel zu noch viel mehr Unterstützung bereit zu sein?

Lindner: Dazu sind wir bereit.

Sie haben auch den Geschädigten des Hochwassers in Niedersachsen und anderen Ländern Unterstützung zugesagt. Wie kann die aussehen?

Lindner: Wir kennen die Schadensbilanz noch nicht. Deshalb kann man dazu heute noch nichts sagen.

Sie haben kürzlich eine deutsche „Lust am Untergang” konstatiert. Aber die schlechten Wirtschaftsdaten und der Wohlstandsverlust sind doch real und nicht nur ein Gefühl…

Lindner: Natürlich nicht. Aber mir geht es um den Umgang damit. Weder Schwarzsehen noch Gesundbeten werden uns helfen. Die richtige Antwort sind Realismus und etwas zu unternehmen, um die Lage zu ändern. Wir sind ein Land mit viel Wissen, fleißigen Menschen und privatem Kapital im Mittelstand. Wir müssen diese Substanz freisetzen. Wir stehen uns stattdessen oft genug selbst im Weg und verschieben notwendige Reformen. Das will ich ändern. Wann, wenn nicht jetzt, sollten wir den Arbeitsmarkt flexibilisieren, die Bürokratie reduzieren, die privaten Investitionsanreize maximieren. Nach dem Konsolidierungspaket für den Haushalt muss nun ein Dynamisierungspaket für die Wirtschaft folgen.

Vor der FDP liegt ein schwieriges Wahljahr mit drei Wahlen in ostdeutschen Bundesländern. Was wird das Thema sein, mit dem Sie punkten wollen?

Lindner: Freiheit ist ein umfassendes Lebensgefühl, für das die FDP steht. Die Menschen schützen vor Bevormundung und finanzieller Überforderung einerseits, andererseits durch Bildung und Arbeit Lebenschancen verbessern – das ist unser Auftrag überall. Gerade in diesem Jahr kommt der wirtschaftlichen Kompetenz der FDP eine besondere Rolle zu. Wenn man uns eines zutraut, dann wie man den Staatshaushalt solide aufstellt und das Wachstum in der Wirtschaft verbessert.

Was ändert sich, wenn die AfD in den ersten Ländern stärkste Kraft wird?

Lindner: Dazu darf es nicht kommen. Man sollte sich als Wähler aber schon fragen, ob man eine andere Politik oder ein anderes System möchte. Beispielsweise wünschen sich viele eine neue Realpolitik in der Migration. Die haben wir schon verabredet und müssen sie nun umsetzen. Das nimmt der AfD viel Wind aus den Segeln. Wir haben eine klare Zäsur zur Migrationspolitik der früher CDU-geführten Bundesregierung gezogen. Schutz der Außengrenzen, beschleunigte Asylverfahren, die Einschränkung des Asylbewerberleistungsgesetzes, die Abschiebegewahrsam und mehr sichere Herkunftsländer haben wir zum Beispiel auf den Weg gebracht.

Bleibt die Ampel bis 2025 zusammen? Die CSU fordert Neuwahlen…

Lindner: Es ist die Pflicht der Opposition, Kritik zu äußern und Vorschläge zu machen. Aber sie sollte einer demokratisch gewählten Regierung nicht die Legitimation absprechen. Damit beschädigt man die politische Kultur insgesamt für eine kleine Schlagzeile.

Friedrich Merz hat gerade vorgeschlagen, Ukraine-Flüchtlingen nicht gleich Bürgergeld zu geben, damit sie schneller in Arbeit kommen. Ist das ein konstruktiver Vorschlag?

Lindner: Der Vorschlag löst kein Problem, sondern schafft neue. In der Ukraine ist offensichtlich Krieg. Nach einem wochenlangen Verfahren würde also jeder Asylantrag genehmigt und die Menschen wären doch im Bürgergeld. Die eigentliche Aufgabe ist eine andere: Es muss verkürzte Integrationskurse, eine intensive Kontaktrate und schnellere Angebote geben. Wir müssen denen, die bei uns Schutz suchen, klarmachen: Ihr habt Schutz in Frieden und Freiheit in Deutschland, aber nicht freie Kost und Logis ohne Arbeit. Wir bieten keine Rente an, sondern Sicherheit und eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt. Es ist unsere klare Erwartung, dass man sich um Arbeit bemüht. Das wird jetzt durch den Jobmotor korrigiert.

Kommt das Klimageld noch in dieser Legislaturperiode?

Lindner: Der CO2-Preis ist jetzt dort, wo er auch nach dem Willen der CDU-Vorgängerregierung ohnehin wäre. Das ist wichtig zu wissen, wenn man über Belastungen nachdenkt. Wir hatten den Preispfad zuvor nur unterbrochen. Die Idee des Klimagelds ist, den Menschen diese Einnahmen aus dem CO2-Preis pro Kopf zurück zu überweisen. Gegenwärtig werden die Einnahmen aber genutzt für die Förderung von Heizungen, Gebäudesanierung, grüner Stahlproduktion, Ladesäulen für E-Autos und so weiter. Kurz gesagt, weil ein Haushalt eine Wärmepumpe gefördert bekommt, können in dem Jahr einige hundert andere kein Klimageld ausbezahlt bekommen. Man kann das Geld nicht zweimal ausgeben. Das Klimageld würde also die Förderungen, die wir jetzt haben, ersetzen. Ab 2025 können wir technisch eine Pro-Kopf-Auszahlung vornehmen. Damit liegen wir im Plan. Ob wir die Förderlandschaft in diese Richtung politisch umbauen, das wird nach der nächsten Wahl zu entscheiden sein.