Die Regierungspolitik wäre ohne die FDP eine völlig andere.

Christian Lindner Subventionen
Stuttgarter Zeitung

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Herr Lindner, mehr als 47 Prozent haben bei der Mitgliederbefragung in der FDP gegen die Ampel gestimmt. Können Sie die Parteifreunde verstehen?

Lindner: Mein Respekt ist groß gegenüber allen, die wollen, dass Deutschland freier, moderner und digitaler wird und gleichzeitig ein weltoffenes Land bleibt. Ich teile manche Ungeduld. Aber ich sehe, was die FDP tatsächlich erreicht. Die Regierungspolitik wäre ohne die FDP eine völlig andere. Deshalb sollte man nicht ohne Not aufgeben, Einfluss darauf zu nehmen, in welche Richtung unser Land geht.

Welchen Einfluss hat das Ergebnis der Mitgliederbefragung auf die künftige Zusammenarbeit mit SPD und Grünen?

Lindner: Wir haben bislang für unsere Projekte gearbeitet. Das werden wir weiter tun. Die Schuldenquote des Staats sinkt, obwohl wir auf Rekordniveau in Infrastruktur investieren und die Einkommensteuer gesenkt haben. Wir haben eine neue Realpolitik bei der Kontrolle der Einwanderung und der Bekämpfung der illegalen Migration erreicht. Beim Klimaschutz haben wir Planwirtschaft durch Technologieoffenheit ersetzt. Mit dem Startchancenprogramm wollen wir in den kommenden Jahren 10 Milliarden Euro in Schulen investieren. Außerdem kommt mit dem Einstieg in eine Kapitaldeckung bei der Rente eine bedeutsame Modernisierung. Wir erreichen mehr, als zu erwarten war.

Aber gerade für Durchschnittsverdiener werden die Steuerentlastungen durch höhere Verbraucherpreise aufgefressen. Ist das nicht ein berechtigter Grund für den Unmut sowohl Ihrer Parteifreunde als auch der Bürger im Land?

Lindner: Ich verstehe die Stimmung. Der Staat kann aber zum Beispiel nicht dauerhaft mit Subventionen ausgleichen, wenn wir auf dem Weltmarkt höhere Preise zahlen. Krisenhilfen wie reduzierte Mehrwertsteuersätze, der Aufschub beim CO2-Preis oder die Preisbremsen beim Strom waren befristet. Ihr Auslaufen ist die Rückkehr zur Normalität. Auf der anderen Seite stehen die Senkung der Einkommensteuer, die hohe Kindergelderhöhung, die Abschaffung der Umlage für Erneuerbare Energie auf der Stromrechnung und anderes. Verglichen mit der Politik der Vorgängerregierung wurde die Mitte des Landes entlastet.

Wie will die Ampel angesichts der schlechten Stimmung eine neue Aufbruchstimmung im Land erzeugen?

Lindner: Die Stimmung ist auch eine Folge der Krisen, auf die wir keinen Einfluss haben. Es tobt ein Krieg in der Ukraine, es gibt schreckliche Bilder aus Nahost, den Rückgang der Nachfrage aus China, die Auswirkungen der Zinserhöhungen. Die hohen Zahlen bei der Migration wecken Ängste der Überforderung. Die Bundesregierung handelt. Wir haben die wirtschaftlichen Folgen gedämpft, die Vernachlässigung der Bundeswehr beendet, die Inflation durch restriktive Fiskalpolitik bekämpft und eine neue Realpolitik bei der Migration eingeleitet. Nach meiner Überzeugung sollte nun ein Dynamisierungspaket für die Wirtschaft folgen, damit wir beim Wachstum bessere Zahlen sehen.

Wie soll das aussehen?

Lindner: Ein Baustein ist das Wachstumschancengesetz, mit dem wir steuerliche Anreize für Investitionen und Forschung in der Wirtschaft setzen. Ich hoffe, die CDU kehrt hierzu bald an den Verhandlungstisch zurück, damit der Bundesrat zustimmen kann. Die Betriebe brauchen diese Signale. Daneben sollten wir konkret werden bei der Verschlankung der Bürokratie, der Beschleunigung der Verwaltungsverfahren und der Mobilisierung um Arbeitsmarkt. Mit der großen Substanz, die unsere Wirtschaft hat, ist schneller der Turnaround zu schaffen, als manche denken.

Viele Menschen befürchten eine Deindustrialisierung. Ist das ein Schreckgespenst, das Lobbyisten an die Wand malen, um Subventionen einzustreichen, oder eine reale Gefahr?

Lindner: Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stärken. Das ist aber eben nicht eine Frage der Subventionen. Wir müssen die Rahmenbedingungen verbessern, damit die Wirtschaft selbst auf Herausforderungen reagieren kann. Know-how und Kapital ist ja vorhanden. In der Vergangenheit war es die sehr starke D-Mark, die man die Produktivitätspeitsche für die Wirtschaft genannt hat. Jetzt sind es die durch den Ukraine-Krieg gestiegenen Energiepreise und die europäischen Klimaschutzauflagen, die dazu führen, dass Deutschland sich nach der Decke strecken muss. Ich bin überzeugt, dass damit ein Effizienz- und Technologieschub verbunden sein wird.

Andere Länder nehmen gerade sehr viele Schulden auf, um Ihre Wirtschaften mit Subventionen wettbewerbsfähig zu halten, China etwa oder die USA. Die FDP hingegen beharrt auf die Schuldenbremse. Haben die Liberalen die Zeichen der Zeit nicht erkannt?

Lindner: Ich bin skeptisch, ob die USA über die nächste Präsidentschaftswahl hinaus diese Politik überhaupt fortsetzen kann. Und zwar unabhängig davon, wer regiert. Die USA zahlen inzwischen immens hohe Zinsen und haben ein gewaltiges Haushaltsdefizit. Im Übrigen: Deutschland investiert öffentliche Mitteln auf Rekordniveau. Wo wir besser werden müssen, das ist die Attraktivität für privates Kapital.

Aus der SPD kommen Rufe, die Schuldenbremse wegen des Hochwassers auszusetzen. Was sagen Sie?

Lindner: Die Not der Menschen in den Katastrophengebieten eignet sich nicht für Parteipolitik. Unsere Gesellschaft wird solidarisch sein. Wer aber ohne den Umfang des Schadens zu kennen, sofort nach neuen Schulden ruft, verkennt den Ernst der Lage. Hier sucht eine parteipolitisch gewünschte Lösung nach einem Problem – nicht umgekehrt.

Müssen Sie wegen der Hilfe für die Ukraine die Schuldenbremse im Lauf des Jahres aussetzen?

Lindner: Wir können alle absehbaren Hilfen für die Ukraine aus dem Bundeshaushalt finanzieren. Deutschland zahlt übrigens die Hälfte aller europäischen Unterstützungsleistungen. Es darf nicht dazu kommen, dass Deutschland mehr tut, damit andere weiter wenig tun können.

Wer muss mehr tun?

Lindner: Ohne unsere starken Partner in der EU wird es nicht gehen.

Die Hürden für eine Aussetzung der Schuldenbremse sind also hoch?

Lindner: Die umfassende Auslegung der Schuldenbremse durch das Verfassungsgericht hat die rechtlichen Anforderungen verschärft. Aber auch die hohen Zinszahlungen sollten alle belehren, die glauben, höhere Staatsverschuldung sei der leichteste Weg. Tatsächlich hat dieser Staat große finanzielle Möglichkeiten. Die Aufgabe heißt Schwerpunktsetzung. Wer etwas Neues will, muss sich von Altem lösen.

Thema Haushalt. Die Ampel will die geplanten Kürzungen für Landwirte teilweise zurücknehmen. Ist das jetzt die bessere Lösung – oder knicken Sie nur vor dem Protest der Bauern ein?

Lindner: Die nähere Prüfung hat bürokratische Hürden ergeben. Wir haben von Anfang an auch gesagt, dass wir Hinweise auf eine wirtschaftliche Überforderung der Betriebe ernst nehmen. Der Subventionsabbau wird nun zeitlich gestreckt. Ich bin froh, dass innerhalb der Koalition eine alternative Gegenfinanzierung vereinbart werden konnte.

Als Ausgleich für den steigenden CO2-Preis sollte es eigentlich ein Klimageld geben. Die Einnahmen scheinen aber bereits für alle möglichen Subventionen verplant zu sein. Kommt das Klimageld: ja oder nein?

Lindner: Moment, die Bundesregierung kehrt lediglich auf den Pfad des CO2-Preises zurück, den die CDU-geführte Vorgängerregierung beschlossen hat. Wir hatten befristet einen niedrigeren Preis wegen der ruinösen Gaspreise. Deshalb wundere ich mich über die Kritik der Union. Die CDU hatte kein Klimageld vorgesehen, sondern die Einnahmen für bestimmte Fördermaßnahmen eingeplant. Daran hat sich nichts verändert. Das Klimageld ist ein Instrument für die nahe Zukunft.

Kommt das Klimageld in dieser Legislaturperiode?

Lindner: Der Plan war, in dieser Legislaturperiode den Mechanismus einzuführen. Das wird bis 2025 abgeschlossen. Die Idee des Klimageldes ist, die Einnahmen aus dem CO2-Preis pro Kopf an die Bürger auszuzahlen. Dann kann aber dasselbe Geld nicht für Subventionen eingesetzt werden. Zu gegebener Zeit wird man sich also die Förderpolitik des Bundes ansehen müssen, wenn es ein Klimageld in signifikanter Höhe geben soll.

Bereuen Sie es, mit der Ampel die Reform von Hartz IV hin zum Bürgergeld gemacht zu haben?

Lindner: Nein, denn es gab Verbesserungen auch für mehr Leistungsgerechtigkeit. Ich nenne das Beispiel einer Auszubildenden aus einer Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaft, die von 800 Euro Ausbildungsvergütung früher 600 Euro abgeben musste. Das war ungerecht.

Ist das Bürgergeld also völlig zu Unrecht in der Kritik?

Lindner: Nein, manche Kritik ist berechtigt, galt aber auch schon bei Hartz IV. Ich nenne zwei Probleme. Wir müssen erstens stärker für den Arbeitsmarkt mobilisieren. Wer sich verweigert und Jobangebote ablehnt, muss stärker sanktioniert werden. Das tun wir jetzt. Gleichzeitig werden wir die Ukrainerinnen und Ukrainer im Land schneller in Arbeit bringen.

Und das zweite Problem?

Lindner: Wir müssen sicherstellen, dass sich Arbeit immer mehr lohnt als Nicht-Arbeit. Das bezieht sich nicht nur auf das System Bürgergeld, sondern auf den ganzen Sozialbereich mit Kinderzuschlag und Wohngeld beispielsweise. Aufgrund der Inflationserwartung ist auch der Regelsatz des Bürgergelds zum 1. Januar sehr stark gestiegen. Deshalb muss die Berechnungsmethode überprüft werden, damit die Inflation nicht überschätzt wird.

Müsste der Kanzler – wie so oft gefordert wird – in der Ampel mehr führen? Oder funktioniert das in einem lagerübergreifenden Dreierbündnis nicht?

Lindner: Der Kanzler kann gar nicht anders führen, als er es mit seinem Verhandlungsstil tut. Diejenigen, die das von ihm fordern – beispielsweise aus dem linken Flügel der SPD – erwarten von ihm ja, dass er einfach FDP-Überzeugungen unterpflügt. So könnte man aber keine Koalition erhalten.

Gilt nach der nächsten Bundestagswahl: Besser nicht regieren als noch mal mit den Grünen?

Lindner: Die Karten werden neu gemischt. Was nach der Wahl kommt, entscheiden die Bürgerinnen und Bürger. Die FDP wird jedenfalls eigenständig in die Wahl gehen. Und wie bei den beiden letzten Bundestagswahlen kämpfe ich dafür, dass wir wieder ein zweistelliges Ergebnis erreichen.